Topthema
Juli 2010
MDMA-MolekülBild: limbi007 / Clipdealer.com
Vor beinahe 100 Jahren wurde MDMA erstmals von einem deutschen Pharmaunternehmen hergestellt. Allerdings wurde das psychoaktive Potential dieser Substanz damals noch nicht erkannt. Die erste wissenschaftliche Publikation über Versuche am Menschen datiert erst auf das Jahr 1978. Etwa zu der Zeit begann die Verbreitung des Konsums von MDMA, dass unter dem Szenenamen Ecstasy „Karriere“ gemacht hat. Doch die kleinen Muntermacher erzeugen nicht nur kurzweilige Glücksgefühle, sondern womöglich auch langfristige Hirnschäden. Einige Forschungsberichte legen sogar den Schluss nahe, dass bereits der einmalige Konsum Hirnzellen zerstören könne. Werden nun Tausende von Konsumentinnen und Konsumenten verblöden? Oder sind die Warnungen doch übertrieben? Im aktuellen Topthema werden die relevanten Forschungsergebnisse hierzu zusammengefasst. Im Interview hat uns das Forschungsteam um die renommierte Ecstasyforscherin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank zudem Einblicke in noch nicht veröffentlichte Studienergebnisse gegeben.
Lange hielt sich die Mär, dass MDMA als Appetitzügler patentiert worden sei. Roland Freudenmann und Florian Öxler von der Universität Ulm ist es zu verdanken, dass wir es nun besser wissen. Die beiden Forscher haben sich tief in die Archive des Pharmaherstellers Merck begeben und nach über einem Jahr Recherche und mit Unterstützung einer Pharmakologin von Merck zahlreiche Dokumente identifiziert, aus denen sich die Geschichte rekonstruieren ließ (siehe Meldung vom 29.09.2006). Ein Patent, in dem MDMA erwähnt wird, lässt sich tatsächlich auf das Jahr 1912 datieren. MDMA wurde damals als „Methylsafrylamin“ bezeichnet. Hinweise auf die Anwendung als Appetitzügler wurden jedoch nicht gefunden. Vielmehr stellte sich heraus, dass Merck auf der Suche nach einem alternativen Herstellungsweg für die blutstillende Substanz Hydrastinin war, um das hierfür bereits bestehende Patent zu umgehen. Vom damaligen Kaiserlichen Patentamt wurden nicht Substanzen, sondern nur deren Herstellungsverfahren patentiert. Die psychoaktiven Eigenschaften der Substanz blieben dem Unternehmen allerdings lange Zeit verborgen.
Erst 1978 wurden die ersten systematischen Versuche am Menschen von Alexander Shulgin und David Nichols veröffentlicht. Den Chemikern wird zugeschrieben, als erste die so genannte entaktogene Wirkung entdeckt zu haben. Die euphorisierende Wirkung von MDMA wurde alsbald auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, denn in den 1980er Jahren begann die Verbreitung des Konsums in den USA, wo die Droge unter dem Namen „Ecstasy“ bekannt wurde. Schließlich ist die illegale Droge seit Beginn der 1990er Jahre auch in Deutschland - vor allem in der Partyszene - populär geworden.
Mit Ecstasy hat jedoch nicht nur eine neue Partydroge, sondern auch ein neues Forschungsobjekt Einzug gehalten. Weltweit begannen Wissenschaftlerteams sich auf die Erforschung des Amphetaminabkömmlings zu konzentrieren, allerdings mit nicht immer zuverlässigen Ergebnissen. So hat es einen ziemlichen Wirbel gegeben, als George Ricaurte von der John Hopkins University in Baltimore, USA, seine Studie 2002 in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichte. Um die Auswirkungen auf das Gehirn ging es in der Studie. Auf das Affenhirn, um genau zu sein. Zehn Affen bekamen drei Mal im Abstand von drei Stunden Ecstasy verabreicht, was in etwa der typischen Drogeneinnahme von Partygängern entsprechen sollte. Die Wirkung war jedoch heftiger als erwartet. Zwei Affen starben bereits vor Ablauf des Experiments. Die anderen Affen wiesen später erhebliche Hirnschäden auf, was das Forschungsteam umgehend zum Anlass nahm, vor den dramatischen Folgen des einmaligen Konsums zu warnen.
Doch Ricaurte und sein Team waren einem Irrtum aufgesessen. Die Begründung lieferten sie selbst in einem Widerruf, den sie ein Jahr später veröffentlichten. Sie hatten gar kein Ecstasy in der Studie verwendet. Aufgrund eines Beschriftungsfehlers enthielten die Behälter Methamphetamin, das auch als „Crystal“ oder „Ice“ bekannt ist. Bei einer derart hohen Dosis, wie sie im Experiment gespritzt wurde, wären die Folgen für die Primaten zu erwarten gewesen, schreibt das Autorenteam in seinem Widerruf.
Doch die Forschung kreist weiterhin überwiegend um die Frage, wie hoch das so genannte neurotoxische Potential von MDMA ist, sprich: Wie giftig ist Ecstasy für das Gehirn? Ein Kernproblem der wissenschaftlichen Untersuchung ist jedoch untrennbar mit dem Objekt der Forschung verbunden: der Mischkonsum. Will man etwaige Folgen auf den Konsum von Ecstasy zurückführen, so müssen andere Substanzen, die ebenfalls neurotoxisch wirken könnten, ausgeschlossen werden. Doch ist das fast unmöglich. Denn Untersuchungen konnten zeigen, dass der alleinige Konsum von Ecstasy die große Ausnahme ist und Alkohol sowie andere Drogen sehr häufig zusätzlich konsumiert werden. Das allerdings ist nicht nur für die Forschung ein Problem. Vor allem Konsumentinnen und Konsumenten gehen unkalkulierbare Risiken dabei ein, wenn sie Drogen miteinander kombinieren. Beispielsweise in einer Studie belegt werden, dass der Mischkonsum von Ecstasy und Alkohol möglicherweise stärker die Leber schädigt, als Ecstasy oder Alkohol alleine.
Anfang 2009 wurde die derzeit vermutlich umfangreichste Meta-Studie zu den Auswirkungen des Ecstasykonsums veröffentlicht. Meta-Studien fassen viele Einzelstudien zusammen und sind deshalb in ihrer Aussagekraft wesentlich zuverlässiger als einzelne Publikationen. Gabriel Rogers und sein Team haben praktisch alle in Englisch veröffentlichten Studien zum Thema Ecstasy gesichtet und getreu dem Motto „die Guten ins Töpfen, die Schlechten ins Kröpfchen“ nur die Forschungsarbeiten in ihrer Analyse berücksichtigt, die nach wissenschaftlich soliden Kriterien gearbeitet haben. Von über 4.000 Studien, die das Thema Ecstasy bearbeitet haben, wurden nur 422 als methodisch ausreichend zuverlässig bewertet und systematisch analysiert. Genau genommen hat nur eine einzige Studie den Kriterien der höchsten Güteklasse standgehalten. Lediglich in der Langzeitstudie Netherlands XTC Toxicity (NeXT) wurden nicht nur Konsumierende, sondern auch Personen einbezogen, die zum ersten Untersuchungszeitpunkt noch kein Ecstasy konsumiert hatten, aber eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Einstieg in den Konsum aufwiesen, beispielsweise weil ein Freund oder eine Freundin Ecstasy konsumiert. Ein Teil dieser Personen ist schließlich tatsächlich in den Konsum von Ecstasy eingestiegen. Somit konnten die Ergebnisse vor und nach dem Konsum verglichen werden.
In ihrer zusammenfassenden Bewertung aller untersuchten Studien kommt das Autorenteam zu der Schlussfolgerung, dass sich ein durchweg einheitliches Bild hinsichtlich neurotoxischer Effekte bei Ecstasy ergibt. Die meisten Studien würden die gleiche Tendenz bei den Effekten von Ecstasy aufweisen, und zwar in Richtung Neurotoxizität. Ecstasy könne demnach nachweislich Hirnzellen schädigen. So auch in der NeXT-Studie. Personen, die in den Konsum eingestiegen sind, haben ein Jahr nach der Ersterhebung signifikant schlechtere Leistungen insbesondere bei Tests zum verbalen Gedächtnis abgeliefert, als diejenigen, die abstinent geblieben sind. Allerdings sei das Ausmaß des neurotoxischen Potentials eher gering, betonen Rogers und sein Team. Die Unterschiede zwischen den Konsumierenden und den vergleichbaren abstinenten Personen seien klein und würden noch innerhalb des Bereichs liegen, der als normal betrachtet wird. Die Autorinnen und Autoren bezweifeln zudem, ob die eher geringen Effekte von Ecstasy tatsächlich Auswirkungen auf den Alltag der Konsumierenden haben.
In einem Übersichtsartikel kommen die bekannte Ecstasy-Forscherin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank und ihr Kollege Jörg Daumann 2009 zu ähnlichen Einschätzungen. Zwar gebe es durchaus noch methodische Probleme bei den Studien, doch die Ergebnisse weisen alle in die gleiche Richtung: Ecstasy wirke demnach selektiv neurotoxisch auf serotonerge Axone. Das bedeutet, dass Ecstasy in erster Linie die Nervenzellen schädigt, die Serotonin als Botenstoff haben - und zwar an den Nervenendigungen, die als Axone bezeichnet werden. Axone stellen besonders viele Kontaktpunkte zu anderen Nervenzellen her. Eine Schädigung verhindert somit die Kommunikation mit anderen Nervenzellen.
Prof. Gouzoulis-Mayfrank und Dr. Daumann im drugcom-Interview
Im drugcom-Interview hat das Forschungsteam um Professorin Gouzoulis-Mayfrank zudem Einblicke in ihre aktuelle Studie gegeben, die kurz vor der Veröffentlichung steht. Das Forschungsteam hat eine ähnliche Vorgehensweise wie in der NeXT-Studie gewählt, d. h. sie haben eine Gruppe von Personen über einen längeren Zeitraum beobachtet. Die Probandinnen und Probanden hatten zu Beginn der Studie ihre ersten Ecstasyerfahrungen, die sie im Laufe der zweijährigen Studiendauer fortgesetzt haben. Nach Angaben des Forschungsteams konnten sie bereits bei einer vergleichsweise moderaten Konsumhäufigkeit von etwa 15-20 Pillen pro Jahr signifikante Lerndefizite in den Nachuntersuchungen feststellen. So haben sich die Ergebnisse der Ecstasygruppe in kognitiven Leistungstests verschlechtert, wohingegen sich die Personen der nicht-konsumierenden Kontrollgruppe verbesserten. Letzteres sei als normal zu bezeichnen, da es bei Testwiederholungen in der Regel zu Trainingseffekten kommt - bei normaler Lernfähigkeit.
Berichte, die auf eine Schädigung durch lediglich eine Ecstasypille hinweisen, würden ihre Ergebnisse jedoch nicht unterstützen. „Wir gehen davon aus, dass einmaliger Ecstasykonsum nicht zu neurotoxischen Störungen führt, dafür gibt es jedenfalls keine Belege“, sagt Jörg Daumann im drugcom-Interview. Vielmehr weisen die Daten auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung hin. Das bedeutet, je mehr jemand Ecstasy konsumierte, desto stärker ist mit kognitiven Einbußen zu rechnen. Bei nur einer Pille sie eine nachhaltige Schädigung eher unwahrscheinlich.
Zwar seien die Defizite insgesamt noch als subtil, d. h. als eher geringfügig zu bezeichnen, sagt Gouzoulis-Mayfrank, doch zum einen könnten die Lerndefizite, auch wenn sie von den Konsumierenden noch gar nicht als solche wahrgenommen werden, weitreichende Folgen haben für die Schule, das Studium oder im beruflichen Bereich. Zum anderen weist sie auf ein mögliches Folgeproblem hin, das mit der Störung des serotonergen Systems einhergeht. Die Aktivität der Nervenzellen, in denen Serotonin der Botenstoff ist, würde mit dem Älterwerden ohnehin heruntergefahren, was mit Demenzerkrankungen in Verbindung steht. „Es gibt auch die Befürchtung, dass solche subtilen Veränderungen ein Risikofaktor sind für eine Vorverlagerung oder Intensivierung normaler Altersprozesse. So können z. B. Demenzerkrankungen früher eintreten“, erläutert Gouzoulis-Mayfrank (siehe Interview).
Ecstasy wirkt nicht nur neurotoxisch, in Zusammenhang mit dem Konsum der illegalen Droge wurden auch Todesfälle berichtet. In der Meta-Analyse von Gabriel Rogers wurde berichtet, dass in Großbritannien je nach Statistik zwischen 17 und 50 Todesfälle pro Jahr gezählt wurden, in denen Ecstasy mit im Spiel war. Bei 10 bis 17 Todesfällen pro Jahr soll Ecstasy die alleinige Todesursache gewesen sein. Diese seien vermutlich jedoch überwiegend auf eine Überhitzung und dem nachfolgenden Nieren- oder Leberversagen zurückzuführen. Besonders unter ungünstigen Bedingungen, beispielsweise in schlecht klimatisierten und heißen Räumen sowie bei starker körperlicher Beanspruchung wie es bei ausdauerndem Tanzen der Fall ist, steige die Gefahr der lebensgefährlich erhöhten Körpertemperatur.
In 10 dokumentierten Fällen ist es nach dem Ecstasykonsum zu einer tödlichen Wasservergiftung gekommen. Die ausschließlich weiblichen Konsumentinnen sind daran verstorben, weil sie zur Vermeidung einer Überhitzung zu viel Wasser getrunken hatten. Bei der Wasservergiftung kommt es zu einer so starken Verdünnung des Bluts, dass sich Ödeme in Gehirn bilden, die zum Tode führen können.
Auch noch Tage oder Wochen nach dem Konsum seien zudem Fälle von Leberversagen beobachtet worden. Allerdings können die Autorinnen und Autoren der Meta-Studie für diese Fälle Ecstasy nicht zweifelsfrei als alleinige Ursache ausmachen.
Die Risiken des Ecstasykonsums sind weiterhin noch nicht vollständig abgesichert, doch es verdichten sich die Hinweise auf neurotoxische Effekte besonders auf das serotonerge System. Betroffen sind vor allem kognitive Funktionen wie das Einspeichern neuer Informationen in das Langzeitgedächtnis. Auch wenn die in den Studien gefundenen Defizite eher im subklinischen Bereich sind, sollte sich jeder Konsument und jede Konsumentin fragen, ob er oder sie bereit ist, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Als sicher gilt jedoch, je mehr konsumiert wird, umso stärker werden sich die Einbußen bemerkbar machen.
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