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Januar 2021
Weniger kiffen statt ganz aufhören. Das klingt für manche Cannabiskonsumierende verlockend. Funktioniert das? Und was ist eigentlich mit dem Tabakrauchen?
Bild: .marqs / photocase.de
Abhängig von Cannabis? Gibt es das überhaupt? Manche Menschen können sich nicht vorstellen, dass man von Cannabis abhängig werden kann. Tatsächlich gibt es Menschen, die gelegentlich oder sogar regelmäßig kiffen und keine Einschränkungen in ihrem Leben verspüren. Andere hingegen merken irgendwann, dass das Kiffen immer mehr ihr Leben bestimmt.
Einer Meta-Analyse zufolge entwickelt eine von fünf Personen mit Cannabiskonsum eine so genannte Substanzgebrauchsstörung. Das bedeutet, dass der Konsum Probleme nach sich zieht. Das können Schwierigkeiten in der Schule, im Studium, im Beruf oder in Beziehungen sein. So berichtet eine ehemalige Teilnehmerin des Beratungsprogramms Quit the Shit davon, dass sich ihre Freundin wegen des Kiffens von ihr getrennt habe: „Ich habe oft gesagt aufzuhören, habe es dann aber nicht gemacht, bis sie sich trennte.“
Möglicherweise lag bei der Konsumentin eine schwere Form der Substanzgebrauchsstörung vor, die gemeinhin als Abhängigkeit bezeichnet wird. Laut der Meta-Analyse wird etwa eine von acht Personen abhängig. Das Kiffen gerät dann derart außer Kontrolle, dass Betroffene den Konsum nicht mehr ohne weiteres einstellen können und negative Konsequenzen in Kauf nehmen.
Anfänglich wird meist im Freundeskreis konsumiert. Doch nach und nach wird das Kiffen zu einer individuellen Angelegenheit. Immer häufiger kiffen Betroffene allein und geraten dabei unmerklich in Versuchung, schwierige Alltagssituationen und damit verbundene unangenehme Gefühle oder Gedanken durch das Kiffen auszublenden. Und je länger Cannabis zur Alltagsgestaltung benutzt wird, umso weniger können sich Konsumierende vorstellen, gut leben zu können ohne zu kiffen.
Doch irgendwann kommen sie an einen Punkt, an dem sie erkennen, dass es so nicht weitergeht. „Ich habe 8 Jahre täglich gekifft und hatte es einfach satt, dass sich mein ganzes Leben um die Sucht gedreht hat“, schreibt eine andere Teilnehmerin von Quit the Shit in einem Erfahrungsbericht.
Die Betroffenen entwickeln den Wunsch, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen und die täglichen Rituale des Kiffens zu durchbrechen. Doch der völlige Verzicht auf die liebgewonnene Beschäftigung kann auch Angst auslösen. Schließlich hat ihnen das Kiffen über die Jahre immer wieder als Rückzugsort gedient, der Stress und Sorgen vergessen lässt. Könnte da nicht die Reduktion des Konsums der goldene Mittelweg sein? Mehr auf die Reihe kriegen und trotzdem hin und wieder mit THC chillen?
Das Reduzieren erscheint auf den ersten Blick als ein guter Kompromiss, um die negativen Effekte des Kiffens zu verringern, ohne ganz auf die angenehmen Wirkungen verzichten zu müssen. Allerdings erfordert das Reduzieren wesentlich mehr Anstrengung als der vollständige Ausstieg aus dem Konsum. Denn jeder Joint kann dazu verführen, doch mehr zu kiffen, als man eigentlich vorhatte und birgt das Risiko, wieder in das alte Konsummuster zurückzufallen. Die Entscheidung, kiffen oder nicht kiffen, muss immer wieder getroffen werden.
Für Konsumierende, denen diese Entscheidung nicht schwerfällt, mag das Reduzieren funktionieren. Kiffer mit einer ausgeprägten Abhängigkeit haben damit aber ihre Schwierigkeiten, wie dieser ehemalige Teilnehmer von Quit the Shit zu berichten weiß: „Vor dem Programm hier habe ich öfters probiert, das Kiffen nach einer Pause reduziert fortzusetzen und musste jedes Mal feststellen, dass ich nach einer kurzen Zeit wieder voll im alten Konsummuster gefangen war. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist zu reduzieren und das im Griff zu haben, aber man muss schon echt stark sein.“
Das Reduzieren erfordert mehr Willenskraft und Disziplin als der Konsumausstieg. Die Konsumreduktion ist also nicht für jede Person geeignet. Es gibt Fälle, in denen sogar unbedingt davon abzuraten ist, nur zu reduzieren. So sollte bei Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung wie einer Psychose oder Depressionen Abstinenz angezielt werden. Bei einer Psychotherapie, einer gerichtlichen Auflage oder einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) ist Abstinenz ohnehin Pflicht. Auch bei vorhandenen Atemwegsproblemen wie Asthma oder COPD ist es angeraten, ganz auf das Kiffen zu verzichten.
Auch Konsumierende, die schon öfter die Erfahrung gemacht haben, dass kontrolliertes Kiffen nicht funktioniert, sollten den vollständigen Konsumausstieg in Erwägung ziehen. „Wenn ihr echte Suchtis seid, so wie ich es bin, hört ganz auf! Reduzieren klappt immer nur für eine kurze Zeit. Das Suchtgedächtnis vergisst nicht. Sucht euch was, das euch ausfüllt, euch glücklich macht und genießt das Leben!“, empfiehlt beispielsweise eine Quit-the-Shit-Teilnehmerin.
Wer sich dazu entschließt, mit dem Kiffen aufzuhören, muss diese Entscheidung hingegen nur einmal fällen. Natürlich erfordert die Umsetzung auch Kraft und Ausdauer. Aber durch die Umstellung des Alltags und der Aufnahme alternativer Aktivitäten wird der Suchtdruck nach und nach weniger werden. Man gewinnt immer mehr Distanz zum Kiffen, während sich beim Reduzieren der Wunsch nach häufigerem Konsum immer wieder Bahn brechen könnte.
Gleichzeitig lernen Konsumierende die positiven Veränderungen zu schätzen. Viele ehemalige Teilnehmende von Quit the Shit berichten davon, dass sie nach ihrem Ausstieg aus dem Kiffen ihre Gefühle wieder stärker spüren und ihrem Leben wieder optimistischer entgegensehen können. So berichtet diese ehemalige Teilnehmerin: „Meine neue Lebenssituation ist so viel besser als die mit Kiffen. Ich muss mich gar nicht mehr verstecken, mein Gedächtnis ist wieder da, und ich genieße jeden Tag und koste das süße Leben... ganz ohne Cannabis. Life is good.“
Konsumierende, die gleichzeitig noch Tabak rauchen, laufen allerdings Gefahr, dass sie verstärkt zu Zigaretten greifen. Denn Cannabis und Tabak können eine starke Allianz eingehen. Vermutlich versuchen ausstiegswillige Kiffer bewusst oder unbewusst, Entzugssymptome mit Tabak zu bekämpfen.
Hinzu kommt: Ausstiegswillige Kiffer, die weiterhin Tabak rauchen, erleben häufiger einen Rückfall. Sowohl Cannabis als auch Tabak werden geraucht und erschweren es, Abstand zu finden von alten Konsumgewohnheiten. Das Rauchen von Zigaretten kann so den Wunsch nach einem Joint wieder aufflammen lassen.
Aus diesem Grund empfehlen manche Forscherinnen und Forscher, beim Ausstieg aus dem Cannabiskonsum auch das Tabakrauchen anzugehen und am besten damit aufzuhören. Das bestätigen auch ehemalige Teilnehmende von Quit the Shit wie dieser 29-Jährige: „Ich habe mich entschieden, ganz aufzuhören, auch mit Zigaretten habe ich aufgehört, da das eine Lust auf das andere macht und man meistens sowieso Tabak und Gras mischt. Am besten beides quitten.“
Eine Cannabisabhängigkeit entwickelt sich meist schleichend. Das Kiffen nimmt dann einen immer größeren Stellenwert im Leben von Konsumierenden ein. Irgendwann merken Betroffene, dass sie die Kontrolle über ihren Konsum verloren haben und entwickeln den Wunsch, wieder mehr auf die Reihe zu kriegen.
Ganz aus dem Konsum auszusteigen, erscheint manchen Konsumierenden aber als zu großer Schritt. Doch das Reduzieren ist tückisch. Es erfordert viel Disziplin und eine ständige Auseinandersetzung mit der Frage: Kiffen oder nicht kiffen. Der Ausstieg kann für Konsumierende mit ausgeprägter Abhängigkeit daher der leichtere Weg sein. Wer zusätzlich Tabak raucht, sollte zudem in Erwägung ziehen, auch hiermit aufzuhören. Denn das Rauchen von Zigaretten erhöht das Risiko eines Rückfalls in das Kiffen.
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