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Warum nehmen mehr Männer als Frauen Drogen?

September 2016

Drogenkonsum ist meist eine Sache der Männer. Ob Alkohol, Cannabis oder Amphetamine, Männer bilden immer die Mehrheit, wenn es um den Konsum von Drogen geht. Wieso ist das eigentlich so?

Mann und Frau sehen sich gegenüber

Bild: Dragon30 / photocase.de

Die Evolution ist schuld, könnte man sagen. Die Gründe für Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind vermutlich vielfältig. Aus Sicht der Hirnforscherinnen Liana Fattore und Miriam Melis von der Universität Cagliari in Italien spielen jedoch Anpassungsprozesse im Laufe der Evolution eine wichtige Rolle. Seit Millionen von Jahren laste der evolutionäre Druck der Selektion auf den Menschen und ihren Vorfahren. Nach Fattore und Melis haben sich infolge des Überlebenskampfes unterschiedliche Verhaltensmuster bei Männern und Frauen entwickelt. So waren Männer meist für die Jagd zuständig, während sich Frauen vorwiegend um den Nachwuchs kümmerten.

Männer sind impulsiver

Eine Folge des Anpassungsprozesses an die Lebensumstände sei die unterschiedliche Entwicklung der Impulsivität von Männern und Frauen. Als impulsiv werden Menschen bezeichnet, die nicht oder nicht so gut in der Lage sind, spontane Verhaltensimpulse zu kontrollieren. Diese können durch innere oder äußere Reize ausgelöst werden.

Eine Reihe von Studien hat nachweisen können, dass Männer tendenziell impulsiver sind als Frauen. Für Frauen habe es sich nach Angaben von Fattore und Melis in der Entwicklungsgeschichte der Menschen vermutlich als vorteilhaft erwiesen, aufkommende Impulse zu kontrollieren. Denn Frauen würden durch das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse besser in die Lage versetzt, sich um ihre Kinder zu kümmern, was die Überlebenschancen der Nachkommenschaft erhöht.

Und was haben Drogen damit zu tun? Drogenkonsum kann eine Folge von impulsivem Verhalten sein. Denn Drogen versprechen eine unmittelbare Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn. Normalerweise dient unser Belohnungssystem dazu, Verhaltensweisen zu fördern, die für unser Überleben von großer Bedeutung sind. Daher werden Essen, Sex und das soziale Miteinander mit besonders guten Gefühlen „belohnt“. Drogen wirken jedoch auf die gleichen neuronalen Netzwerke im Gehirn und können angenehme Gefühle fast nach Belieben liefern.

Die Evolution hat unser Gehirn aber auch mit der Fähigkeit zur Selbstkontrolle ausgestattet. Die ist im Gehirn vor allem im so genannten frontalen Cortex angesiedelt. Und eben hier zeigen sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Der frontale Cortex ist bei Frauen nicht nur dicker, sondern auch stärker mit Hirnarealen vernetzt, die impulsives Verhalten auslösen können. Nach Fattore und Melis können diese anatomischen Unterschiede im Gehirn zumindest teilweise erklären, warum Frauen besser als Männer in der Lage sind, ihr Verhalten zu kontrollieren.

Hormone machen einen Unterschied

Ein weiterer Unterschied, der das Verhalten von Männern und Frauen maßgeblich beeinflusst, sind Hormone. Je nachdem, welche Hormone im Organismus die Oberhand haben, kann das Verhalten mehr oder weniger impulsiv sein. So wurde bei neugeborenen Ratten beobachtet, dass sie umso stärker zu impulsivem Verhalten neigen, je mehr sie unter dem Einfluss von Testosteron stehen.

Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon, weil es unter anderem für die Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane verantwortlich ist. Frauen produzieren auch Testosteron, in der Regel aber deutlich weniger als Männer. Experimente mit Ratten haben hingegen zeigen können, dass sich weibliche Tiere ebenfalls impulsiv verhalten, wenn sie vor der Pubertät Testosteron verabreicht bekommen haben. Testosteron spielt somit eine wichtige Rolle für die Impulsivität.

Teleskop-Effekt bei Frauen

Männer neigen zwar generell eher zu impulsivem Verhalten, bei Frauen findet sich aber ein anderes Phänomen: Sie entwickeln schneller eine Abhängigkeit als Männer, wenn sie Drogen konsumieren. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff des Teleskop-Effekts für Frauen geprägt: So wie beim Blick durch ein Teleskop weit entfernte Dinge näher heranholt werden, entwickelt sich eine Abhängigkeit schneller, wenn die Konsumierenden weiblich sind.

Die Gründe hierfür sind noch nicht vollständig erforscht. Ein wichtiger Faktor scheinen die Geschlechtshormone zu sein, die bei Männern und Frauen unterschiedlich verteilt sind. Studien haben nachweisen können, dass Frauen häufig sensibler auf die belohnenden Effekte von Drogen reagieren. Östrogene scheinen hierbei eine Rolle zu spielen. Östrogene sind weibliche Geschlechtshormone. Beispielsweise gibt es Belege, dass bei Kokainkonsum mehr Kokain im Blut zirkuliert, wenn der Östrogenlevel im Körper hoch ist.

Andere weibliche Hormone wie das Progesteron scheinen hingegen das Craving, den Drang nach weiterem Konsum zu reduzieren. Generell sprechen aktuelle Studien dafür, dass die Wirkung von Drogen bei Frauen nicht immer gleich ist und unter anderem davon abzuhängen scheint, in welchem Menstruationszyklus sie sich befinden bzw. welche hormonell wirkenden Verhütungsmittel sie nehmen.

Soziokulturelle Faktoren

Neben den biologischen Unterschieden sind auch soziokulturelle Faktoren zu nennen, die Einfluss nehmen auf den Drogenkonsum bei Männern und Frauen. Die US-amerikanischen Forscherinnen Jill Becker, Michelle McClellan und Beth Glover Reed weisen in einem Artikel daraufhin, dass Verbote und die gesellschaftliche Ächtung der Drogensucht eine Rolle spielen. Verstößt Drogenkonsum in einer Gesellschaft gegen Konventionen, so scheint dieser Umstand Frauen eher von Drogen fernzuhalten als Männer. Die Forscherinnen nennen auch historische Beispiele, die zeigen, dass der Drogenkonsum unter Frauen zunimmt, wenn es einen freien Zugang gibt, und abnimmt, wenn soziale oder strafrechtliche Konsequenzen wahrscheinlicher werden.

So wurden in den USA im 19. Jahrhundert Opium-haltige Medikamente vor allem von Frauen eingenommen. Als die Verschreibungsfähigkeit von Opiaten jedoch durch die Gesetzgebung eingeschränkt wurde, begann der Anteil an Männern unter den Opium-Konsumierenden zu steigen. Ein weiteres Beispiel betrifft Amphetamine. Als in den 1960er und 1970er Jahren Amphetamine in den USA als Appetithemmer legal zugänglich waren, fielen 80 Prozent der Verschreibungen auf Frauen. Während der 1980er und 1990er Jahre, als die meisten Amphetamine zu illegalen Drogen erklärt wurden, überwogen hingegen die männlichen Konsumenten.

Fazit

Studien legen einerseits den Schluss nahe, dass die stärkere Neigung zu impulsivem Verhalten ein Grund dafür ist, dass Männer eher zu Drogen greifen als Frauen. Geschlechtshormone und Unterschiede in der Hirnstruktur liefern Erklärungen dafür, warum Männer impulsiver sind. Frauen scheinen zudem stärker durch gesellschaftliche Konventionen beeinflusst zu werden. In der Geschichte finden sich Belege, dass Drogenkonsum unter Frauen zunimmt, wenn es einen freien Zugang gibt, und abnimmt, wenn soziale oder strafrechtliche Konsequenzen wahrscheinlicher werden.

Andererseits ist der Drogenkonsum bei Frauen durch eine beschleunigte Entwicklung vom Einstieg bis hin zur Abhängigkeit geprägt. So scheinen Frauen generell sensibler auf psychoaktive Substanzen zu reagieren als Männer. In den meisten Fällen haben sich Frauen aber besser im Griff als Männer und sind eher in der Lage, der Lust auf den schnellen Kick zu widerstehen.

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