Topthema

Verursacht Cannabis Schizophrenie?

Juni 2017

Cannabis wirkt meist entspannend. Doch je nach Person und Situation können sich auch unerwünschte Wirkungen einstellen. Angstgefühle und Paranoia sind möglich. Aber ist Cannabis auch eine Ursache für Schizophrenie?

Frau steht mit Händen vor dem Gesicht vor Wand mit aufgemalten Füchse, die ihr Maul aufreißen

Bild: birdys / photocase.de

Ein tiefer Zug am Joint und eine wohlige Entspanntheit durchflutet den Körper. Übliche Denkmuster treten in den Hintergrund und neuartige Ideen und Einsichten strömen ins Bewusstsein. Mitunter stellen sich dabei euphorische Gefühle ein. Unter kiffenden Freunden kann sich auch eine alberne Gelassenheit ausbreiten, begleitet von einem Gefühl der Verbundenheit.

Es geht aber auch anders. Aus den vormals als lustig empfundenen Gedankensprüngen kann sich ein uferloses Durcheinander entwickeln. Konsumierende sind verwirrt, verlieren die „Peilung“. Statt einem Gefühl der Gemeinschaft unter Freunden erleben Betroffene sich als ausgegrenzt oder entwickeln wahnhafte Ideen bis hin zu Paranoia. Besonders bei hohen Dosierungen kann die Wirkung ausufern und Konsumierende in angsterfüllte Zustände katapultieren. Manche entwickeln eine Psychose, die auch nach Abklingen der Wirkung nicht wieder verschwindet. Was ist eigentlich eine Psychose?

Unverrückbare Überzeugung

Wichtiges Kennzeichen einer Psychose sind unverrückbare Überzeugungen, die einen starken Ich-Bezug haben. So berichtet Oliver im drugcom-Video, wie sich sein Denken immer mehr in Richtung Psychose entwickelt hat. „Ich habe ständig in irgendwelche Menschen, in irgendwelche Sachen, in irgendwelche Bilder etwas hineininterpretiert, was gar nicht da war.“ Schon kleine Blicke von anderen Menschen hat er sofort gedeutet als „der beobachtet mich.“ Seine Gedanken schienen ein Eigenleben zu entwickeln und quälten ihn auch nachts. Der Gedankensturm gipfelte darin, dass er schließlich glaubte, der wiedergeborene Jesus zu sein, der gekommen ist, um die Welt zu retten.

Eine Psychose kann je nach Fall ganz unterschiedlich ausgeprägt sein, erklärt Frau Dr. Jockers-Scherübl im drugcom-Interview. Manche der Betroffenen sind der festen Überzeugung, vom Geheimdienst abgehört zu werden. Andere sind sich absolut sicher, dass ihr Leben von der Mafia bedroht wird. Natürlich können derlei Dinge tatsächlich vorkommen. Doch Menschen, die unter einer Psychose leiden, stellen ihre Sicht der Dinge nicht infrage, auch wenn es anderen Menschen völlig unrealistisch erscheint.

Wenn eine Psychose länger anhält, wird meist eine Schizophrenie diagnostiziert. Das ist eine Krankheit, bei der das Denken, die Wahrnehmung und das eigene Erleben grundlegend gestört sind. Warum jemand an einer Schizophrenie erkrankt, ist nach wie vor noch nicht vollständig geklärt. Die Gene spielen wahrscheinlich eine wichtige Rolle. Ungünstige Umweltfaktoren können allerdings das Risiko eines Krankheitsausbruchs erhöhen. Die Forschung legt den Verdacht nahe, dass Cannabiskonsum hierbei ebenfalls eine Rolle spielen kann. Wie muss man sich das vorstellen?

Kiffen überschwemmt Endocannabinoid-System

Der Konsum von Cannabis hat eine psychoaktive Wirkung, weil der Wirkstoff THC an den körpereigenen Cannabinoid-Rezeptoren bindet. Daran docken normalerweise so genannte Endocannabinoide an, die der Körper selbst herstellt. Endocannabinoide werden aber nur bei Bedarf und nur in der benötigten Menge vom Körper produziert. Beim Cannabiskonsum wird das Endocannabinoid-System im Gehirn jedoch regelrecht mit THC überschwemmt, was eine Überreaktion des Körpers nach sich ziehen kann. Dabei scheint auch der Hirnbotenstoff Dopamin eine Rolle zu spielen.

So konnte in experimentellen Studien nachgewiesen werden, dass sich zumindest vorübergehend psychotische Symptome wie Paranoia und Halluzinationen einstellen können, wenn die Dosis THC hoch genug ist. Nach Abklingen der Wirkung verschwinden die psychotischen Symptome in der Regel wieder. In manchen Fällen, wie bei Oliver, entwickelt sich daraus aber eine Schizophrenie.

Ob Oliver auch ohne Kiffen psychotisch geworden wäre, lässt sich nicht sagen. Allerdings folgte ein zweiter Psychoseschub bei ihm zeitlich nachdem er wieder angefangen hatte, Cannabis zu konsumieren. Er fühlte sich zuvor völlig klar in seinem Denken und dachte, dass er sich das Kiffen wieder leisten könne. Während einer Reise nach Indien passierte es dann: „Ich hatte irgendwann die Überzeugung, ich bin hier in der Hölle, die ganzen dunkelhäutigen Menschen sind Tote und ich muss jetzt hier raus aus der Hölle, wieder zurück zu den Lebenden ins Paradies.“

Verschiedene Erklärungsmodelle

Ein Einzelfall reicht allerdings nicht aus, um Cannabis sicher als Ursache nennen zu können. Auffällig ist aber, dass Cannabiskonsum sehr viel stärker verbreitet ist unter Menschen, die an einer Schizophrenie erkrankt sind, als in der übrigen Bevölkerung. Studien zufolge steht der Cannabiskonsum mit einem 2- bis 3-fach erhöhten Risiko für Psychose in Zusammenhang. Verschiedene Erklärungsmodelle sind hierfür denkbar:

  1. Cannabis allein könnte die Ursache sein für eine Psychose, die unter anderen Umständen nicht ausgebrochen wäre.
  2. Psychose-gefährdete Personen könnten auch eine besondere Vorliebe für das Kiffen haben. Der Konsum wäre dann eher Folge als Ursache einer Psychose oder einfach nur eine Begleiterscheinung ohne ursächlichen Zusammenhang.
  3. Denkbar ist auch, dass Cannabiskonsum zwar Psychosen auslösen kann, aber nur bei Personen, die bereits anfällig hierfür sind. Cannabiskonsum wäre in diesen Fällen nicht die alleinige Ursache, sondern würde lediglich bewirken, dass die unterschwellig vorhandene Psychose zum Ausbruch kommt. Kiffen wäre also der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Die Wissenschaft hat bislang noch keine endgültige Antwort dazu geliefert, welches Erklärungsmodel tatsächlich zutrifft. Es gibt aber eine Reihe von Belegen, die eher für die drittgenannte Annahme sprechen, der zufolge Cannabis ein Risikofaktor ist, der den Ausbruch einen Psychose befördert.

So hat eine Studie aus London Hinweise geliefert, dass sich die Anzahl an Personen, die neu an Schizophrenie erkrankt sind, zwischen 1965 und 1999 verdoppelt hat. Im selben Zeitraum hat auch der Cannabiskonsum in der Bevölkerung zugenommen. Der Anteil an Cannabiskonsumierenden ist unter den Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie zudem deutlich stärker gestiegen, als bei Betroffenen anderer psychiatrischer Erkrankungen.

Für die Theorie, dass Cannabis ein Risikofaktor für Schizophrenie ist, spricht auch die Tatsache, dass Cannabiskonsumierende beim erstmaligen Ausbruch einer Psychose im Schnitt etwa sechs Jahre jünger sind als Nicht-Konsumierende bei ihrem ersten psychotischen Schub. Es scheint also, als wenn Kiffen den Ausbruch einer Psychose zeitlich beschleunigt. Wer nach dem erstmaligen Ausbruch der Psychose weiter kifft, bleibt auch länger in Behandlung und erleidet häufiger einen Rückfall in die Psychose als Personen, die das Kiffen aufgeben.

Dosis-Wirkungs-Beziehung

In einigen Studien hat sich auch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung abgezeichnet: Je mehr konsumiert wird und je höher der Wirkstoffgehalt ist, desto wahrscheinlicher treten psychotische Symptome auf. Vor allem hochpotenter Cannabis, der viel THC, aber wenig Cannabidiol (CBD) enthält, scheint Psychosen zu begünstigen. CBD ist ein Cannabinoid, das die Wirkung von THC abzumildern scheint.

Synthetische Cannabinoide, die gar kein CBD enthalten, dafür aber teils um ein Vielfaches stärker wirken als THC, scheinen besonders häufig mit psychotischen Entgleisungen in Zusammenhang zu stehen. Dennoch schließen diese Befunde die zweite oben genannte Annahme nicht völlig aus, der zufolge Personen mit einer Neigung zu Psychosen auch eine Vorliebe für starken Konsum entwickeln.

Dies legen beispielsweise die Ergebnisse einer Forschungsgruppe um Studienleiter Suzanne Gage nahe. Das Forschungsteam hat die verfügbaren Daten zu den genetischen Grundlagen sowohl für Cannabiskonsum als auch für Schizophrenie statistisch ausgewertet. Demzufolge gibt es zwar Hinweise, dass der Einstieg in den Cannabiskonsum das Risiko für Schizophrenie erhöht. Das Team fand aber stärkere Belege für den umgekehrten Zusammenhang. Wer ein genetisches Risiko für Schizophrenie in sich trägt, hat demnach auch ein erhöhtes Risiko für Cannabiskonsum.

Cannabis vermutlich „nur“ eine Komponente bei Entstehung von Psychose

Möglicherweise werden aber sowohl die Anfälligkeit für Psychose als auch die Neigung zum Cannabiskonsum durch die gleichen Gene verursacht. Mehrere Studien deuten in diese Richtung. So deutet eine Studie mit Zwillingen darauf hin, dass es eine Dosis-Wirkungs-Beziehung gibt zwischen dem genetischen Risiko für Schizophrenie und Cannabiskonsum. Das heißt: Je stärker das genetische Risiko für Schizophrenie ausgeprägt ist, desto mehr konsumieren die betroffenen Personen.

In einer weiteren Studie mit Geschwistern zeigte sich, dass Cannabis die Symptome einer bislang verborgenen Psychose bei ansonsten gesunden Personen verstärken kann. Ein ähnliches Ergebnis zeichnete sich in einer Untersuchung mit Kiffern ab: Sie hatten stärkere psychotische Symptome im Rauschzustand, wenn sie Träger einer bestimmten Genvariante waren. Diese Personen könnten somit ein genetisch bedingt erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer dauerhaften Psychose wie die Schizophrenie in sich tragen.

Einiges deutet somit darauf hin, dass das Kiffen allein nicht ausreicht, um eine Psychose auszulösen. Es muss zumindest eine genetische Vorbelastung vorhanden sein. Cannabiskonsum wäre dann zumindest eine Komponente bei der Entstehung einer Schizophrenie.

Fazit

Dass Cannabis tatsächlich alleine Schizophrenie auslösen kann, halten viele Forscherinnen und Forscher für unwahrscheinlich. Cannabis könne aber bei genetisch vorbelasteten Personen entscheidend dazu beitragen, dass eine Psychose zum Ausbruch kommt. Besonders der Konsum hochpotenter Cannabissorten oder synthetischer Cannabinoide könnte diese Entwicklung befördern. Es ist aber weiter unklar, ob eine Psychose auch bei Personen ausbrechen kann, die keine genetische Vorbelastung aufweisen.

Einstweilen lautet die Botschaft für Konsumierende: Wer schon einmal psychotische Symptome wie Paranoia oder Halluzinationen erlebt hat oder Fälle von Schizophrenie in der Familie kennt, sollte besser auf den Konsum von Cannabis verzichten.

Hinweise auf ein möglicherweise erhöhtes persönliches Risiko für eine Psychose liefert der Selbsttest Cannabis Check.


Quellen:

  • Boydell, J., van Os, J., Caspi, A. & Kennedy, N.(2006). Trends in cannabis use prior to first presentation with schizophrenia, in South-East London between 1965 and 1999. Psychol Med, 36, 1441-1446.
  • Gage, S. H., Jones, H. J., Burgess, S., Bowden, J., Smith, D., Zammit, S. & Munafò, M. R. (2016). Assessing causality in associations between cannabis use and schizophrenia risk: a two-sample Mendelian randomization study. Psychological Medicine, 47, 971-980.
  • Hamilton, I. (2017). Cannabis, psychosis and schizophrenia: unravelling a complex interaction. Addiction, 16 April 2017, doi:10.1111/add.13826.
  • Murray, R. M., Quigley, H., Quattrone, D., Englund, A. & Di Forti, M. (2016). Traditional marijuana, high-potency cannabis and synthetic cannabinoids: increasing risk for psychosis. World Psychiatry, 15(3), 195-204.
  • Nesvåg, R., Reichborn-Kjennerud, Gillespie, N. A., Knudsen, G. P., Bramness, J. G., Kendler, K. S. & Ystrom, E. (2016). Genetic and Environmental Contributions to the Association Between Cannabis Use and Psychotic-Like Experiences in Young Adult Twins. Schizophrenia Bulletin, doi.org/10.1093/schbul/sbw101.
  • Power, R. A., Verweij, K. J. H., Zuhair, M., Montgomery, G. W., Henders, A. K., Heath, A. C., Madden, P. A. F., Medland, S. E., Wray, N. R. & Martin, N. G. (2014). Genetic predisposition to schizophrenia associated with increased use of cannabis. Molecular Psychiatry, 19, 1201-1204.
  • Verweij, K. J. H., Abdellaoui, A., Nivard, M. G., Sainz Cort, A., Ligthart, L., Draisma, H. H. M., Minică, C. C., Internation Cannabis Consortium, Gillespie, N., Willemsen, G., Hottenga, J.-J., Boomsma, D. I. & Vink, J. M. (2017). Short communication: Genetic association between schizophrenia and cannabis use. Drug and Alcohol Dependence, 171, 117-121.

Kommentare

Kommentare

Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.