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August 2008
Kiffer sind faul, hängen nur rum und kriegen nichts auf die Reihe. So in etwa ließe sich umgangssprachlich die psychiatrische Diagnose des „Amotivationalen Syndroms“ beschreiben. Es sei eine mehr oder weniger zwangsläufige Folge intensiven Cannabiskonsums. Nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand gibt es dieses Syndrom allerdings nicht. Dennoch hat sich das Bild vom antriebsarmen Loser, dem alles egal ist, solange der Joint glüht, tief in die öffentliche Wahrnehmung eingeprägt. In einem Experiment konnten zwei Berliner Forscherinnen zeigen, dass auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Studierende nicht gefeit davor sind, wenn sie Schülerinnen und Schüler beurteilen sollen.
Es geht um Thomas, 16 Jahre alt, keine besonderen Kennzeichen. Über diese frei erfundene Person haben die Wissenschaftlerinnen Renate Soellner und Ute Gabriel von der Freien Universität Berlin drei kurze Beschreibungen verfasst, die sich nur in einem einzigen Satz unterscheiden. In einer Variante wurde hinzugefügt, „dass er ab und zu mal einen Joint raucht.“ In einer zweiten Version wurde Thomas stattdessen „vor kurzem beim Schwarzfahren erwischt.“ Eine dritte Kurzbeschreibung blieb neutral.
Die drei Varianten wurden 158 Lehrerinnen und Lehrern sowie 127 Studierenden aus Deutschland und aus der Schweiz zur Beurteilung vorgelegt. Ziel der Studie war es herauszufinden, ob eine auf den Cannabiskonsum bezogene stereotype Wahrnehmung existiert und wie sich diese bei Lehrerinnen und Lehrern auf die Beurteilung eines fiktiven Schülers auswirkt. Zu beurteilen waren die vermuteten schulischen Leistungen von Thomas sowie seine Personeneigenschaften. Den Probandinnen und Probanden wurde lediglich mitgeteilt, dass es sich um eine Studie zur sozialen Wahrnehmung handelt.
Die Ergebnisse zeigen, dass bereits bei minimalen Zusatzinformationen wie gelegentlicher Cannabiskonsum oder Schwarzfahren häufiger stereotype Beurteilungen des Schülers die Folge sind. So wurde das schulische Verhalten wie Leistungsbereitschaft, Auffassungsgabe und Arbeitstempo negativer beurteilt, wenn bekannt war, dass Thomas gelegentlich Cannabis konsumiert. Beinhaltete die Kurzbeschreibung hingegen die Information „beim Schwarzfahren erwischt“, erhielt Thomas negativere Beurteilungen hinsichtlich seines Verhältnisses zum Lehrpersonal als in der neutralen Variante.
Interessanterweise unterscheiden sich die Beurteilungen des Lehrpersonals nicht von den im Schnitt 20 Jahre jüngeren Studierenden, die entweder Erziehungswissenschaften studieren oder das Lehramt zum Ziel haben. „Das cannabisspezifische Stereotyp des eher lustlosen, leistungsschwächeren und antriebsarmen ‚Kiffers’, das seit den 70er bis in die 90er Jahre gezeichnet wurde, scheint auch unter heutigen Studierenden weiter zu bestehen“, sagen die Autorinnen der Studie. Zwar gäbe es in der Wissenschaft eine zunehmend differenzierte Sichtweise auf die Risiken des Cannabiskonsums, diese habe aber bislang keinen Einfluss auf die Laiensicht.
Quelle:
R. Soellner & U. Gabriel (2008). Typisch „Kiffer“? Stereotype und Personenwahrnehmung. Sucht, 54, Heft 1, 32-37.
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