Seit 2009 sind neue gesetzliche Bestimmungen im Führerscheinrecht sowie im Bußgeldkatalog in Kraft getreten, die auch Auswirkungen auf die medizinisch psychologische Untersuchung (MPU) haben. Axel Uhle, Fachpsychologe und Verkehrspsychologe vom TÜV SÜD, erläutert im Interview die Änderungen und erklärt, worauf sich Betroffene einstellen müssen. Der Co-Autor des Buches „Drogen und Straßenverkehr“ ist seit 1987 für den TÜV SÜD tätig und hat langjährige Erfahrungen zum Thema MPU. Das Interview mit Axel Uhle wird freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Zeitschrift Konturen (www.konturen.de).
Frage: Es gibt jetzt eine Reihe von Änderungen rund um die Begutachtung. Wie sehen diese aus?
Axel Uhle: Es gibt Änderungen sowohl in Bezug auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch auf die fachlichen Grundlagen. Die gesetzlichen Änderungen betreffen z. B. die Frage, wann eine Untersuchung verlangt wird. Es ist jetzt so, dass bereits bei einem gravierenden Verkehrsdelikt oder einer gravierenden Straftat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs eine MPU gefordert werden kann. Obligatorisch wird zukünftig bei bekannter Alkoholabhängigkeit eine MPU verlangt. Verändert hat sich auch, dass nicht automatisch eine erneute Führerscheinprüfung verlangt wird, wenn der Führerschein zwei Jahre entzogen war. Weitreichende Folgen hat die seit dem 01.07.2009 geltende Regelung, dass Beratung und Begutachtung institutionell und personell strikt getrennt werden müssen. Mit der 4. Änderungsverordnung zur Fahrerlaubnisverordnung hat der Gesetzgeber jetzt geregelt, dass niemand, der Personen hinsichtlich ihrer Fahreignung begutachtet, verkehrspsychologische Ratschläge geben darf.
Frage: Warum hat der Gesetzgeber die personelle und institutionelle Trennung von Beratung und Begutachtung vorgeschrieben?
Axel Uhle: Hier ging es dem Gesetzgeber darum, dass neben der bereits seit langem bestehenden Regelung, dass eine Person nur von einem Gutachter begutachtet werden darf, der bislang keinerlei Beratungs- oder Schulungskontakt zu dieser Person hatte, auch die begutachtende Institution generell keine Beratungs- und Schulungsmaßnahmen durchführt.
Frage: Wie waren Beratung und Begutachtung früher geregelt?
Axel Uhle: Vor der Neuregelung hatten die Begutachtungsstellen selbst qualifizierte Hilfsangebote entwickelt, welche die Klienten beim Veränderungsprozess unterstützten. Diese Angebote reichten von kostenlosen Informationsabenden über individuelle Beratungen bis hin zu speziellen Kursangeboten.
Frage: Welche Auswirkung hat die oben erklärte Trennung?
Axel Uhle: Zunächst einmal eine große Verunsicherung. Während man früher einen betroffenen Fahrer einfach zu einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle schicken konnte, damit er sich dort über seine persönlichen Voraussetzungen informiert, besteht diese Möglichkeit jetzt nicht mehr. Mit der Änderung der Fahrerlaubnisverordnung ist es den Begutachtungsstellen ausdrücklich untersagt, individuelle Ratschläge zu erteilen. Die Begutachtungsstellen dürfen auch keine Adressen nennen oder Listen aushändigen. Die Folge ist, dass der betroffene Kraftfahrer jetzt keine konkreten Informationen bekommt und Gefahr läuft, unseriösen Geschäftemachern in die Hände zu fallen, selbsternannten Experten, die die Not der Betroffenen ausnutzen, um einen schnellen Euro zu machen. Aber auch für seriös arbeitende Fachleute z. B. in Beratungsstellen ist es schwer, mit einem betroffenen Fahrer die Voraussetzungen für eine positive MPU zu klären. Das geht nur, wenn man mit den einschlägigen Richtlinien und Kriterien vertraut ist, und diese Sicherheit kann man nur haben, wenn der Berater bestimmte Qualifikationskriterien erfüllt.
Frage: Leidet unter dieser Trennung die Beratungsqualität?
Axel Uhle: Bezogen auf die Tätigkeit der Verkehrspsychologen bei seriösen Trägern wie bei TÜV SÜD: Nein. Wir beschäftigen bei TÜV SÜD Pluspunkt ausschließlich hervorragend ausgebildete und erfahrene Verkehrspsychologen. Die regelmäßige fachliche Fortbildung gewährleistet, dass diese Spezialisten immer auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand sind, was die MPU und die Anforderungen an eine sichere Verkehrsteilnahme betrifft. Wir können wirklich helfen, dass jemand den Weg zurück zu einer gefahrlosen Verkehrsteilnahme findet. Allerdings benötigt man dafür Zeit. Deshalb ist es uns wichtig, dass die Betroffenen frühzeitig den Weg zu uns finden, am besten gleich am Anfang der Sperrfrist. Ein erstmals auffälliger Kraftfahrer bekommt vom Gericht in der Regel zehn bis zwölf Monate die Fahrerlaubnis entzogen. Das ist ein Zeitraum, der bei den meisten Betroffenen ausreicht, damit sie ihr Trinkverhalten stabil ändern und ihre Fahreignung im Rahmen einer MPU nachweisen können.
Frage: Wie sollten Betroffene vorgehen?
Axel Uhle: Die betroffenen Fahrer sollten möglichst früh einen kostenlosen Informationsabend über die MPU besuchen und dann ein individuelles Beratungsgespräch in Anspruch nehmen – bei einem fachkundigen und seriösen Berater. In guten Händen ist man in der Regel bei Beratern mit einem Hochschulstudium der Psychologie, die nachweisen können, dass sie mehrjährige verkehrspsychologische Erfahrungen als Gutachter und eine entsprechende verkehrspsychologische Zusatzqualifikation haben, die als Kursleiter oder Fachpsychologen für Verkehrspsychologie anerkannt sind und sich in regelmäßiger Fortbildung befinden.
Frage: Kann man sich direkt bei einer medizinisch-psychologischen Begutachtungsstelle zur Untersuchung anmelden?
Axel Uhle: Man kann sich auf jeden Fall seine Untersuchungsstelle frei aussuchen. Der erste Schritt ist aber die Antragsstellung bei der zuständigen Führerscheinstelle. Dort gibt man die Begutachtungsstelle an, bei der man untersucht werden möchte. Sobald die Unterlagen der Behörde bei der Begutachtungsstelle eintreffen, verschickt diese nähere Informationen zur MPU an den Betroffenen und vereinbart mit ihm einen Termin.
Frage:Welche Anforderungen muss ein Gutachten erfüllen?
Axel Uhle: Das Gutachten muss verständlich formuliert sein, in seinen Argumenten nachvollziehbar und wissenschaftlich nachprüfbar sein. Das wird von der Führerscheinstelle geprüft, denn das Gutachten stellt lediglich eine Entscheidungsgrundlage für die Behörde dar.
Frage: Wie läuft eine MPU ab?
Axel Uhle: Eine MPU beinhaltet mehrere Untersuchungsschritte. Im ersten Schritt wird an einem Testgerät die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit des Fahrers überprüft. Als zweiter Schritt folgt die Untersuchung durch einen Verkehrsmediziner. Dabei wird über Erkrankungen gesprochen, die für die Fahreignung relevant sein können. Es erfolgt eine körperliche Untersuchung, und je nach Untersuchungsanlass werden Blut- und Urinuntersuchungen durchgeführt. Im dritten Schritt werden in einem psychologischen Gespräch die Einstellungen des Klienten zu seinem Verkehrsverhalten erfasst. Dieses Gespräch mit einem Verkehrspsychologen bildet den Schwerpunkt der Untersuchung und dauert meist 45 bis 60 Minuten. Der Psychologe beurteilt vor allem, ob sein Gegenüber sein Fehlverhalten einsieht, sich mit den Ursachen auseinandergesetzt hat und aktiv die richtigen Konsequenzen zieht – also sein Verhalten dauerhaft ändert.
Frage: Können Sie zu den neuen Nachweismethoden und Durchführungsbestimmungen einen kurzen Überblick geben?
Axel Uhle: Es wurde konkretisiert, dass Klienten mit einer Abhängigkeit oder dauerhaft fehlender Trinkkontrolle den Verzicht auf jeglichen Konsum von alkoholischen Getränken stichhaltig belegen müssen. Dies geschieht mit Urinkontrollen – dem so genannten Abstinenz-Check – oder einer Haaranalyse. Bei beiden Verfahren wird auf Ethylglucuronid (EtG) geprüft, das nur nach vorausgegangenem Alkoholkonsum nachgewiesen werden kann. Fehlt dieses Stoffwechselprodukt bei den Kontrollen, dann kann man auf Abstinenz schließen. Für die Dokumentation eines halben Jahres müssen vier, für ein Jahr sechs EtG-Bestimmungen im Urin erfolgen. Eine Haaranalyse auf EtG ist jedoch nur für einen Zeitraum von drei Monaten verwertbar, da sich das EtG beim Haarewaschen so weit verdünnt, dass länger zurückliegender Konsum nicht mehr sicher nachweisbar ist. Darüber hinaus wurde erstmals der Umfang eines polytoxikologischen Screenings beschrieben und es wurden Nachweisgrenzen für die Analyse von Urin und Haar festgelegt. Zukünftig können nur noch Befunde verwertet werden, die diesen Standards genügen.
Frage: Woher weiß der auffällige Fahrer, welche Nachweise er bringen muss?
Axel Uhle: Es ist wichtig, dass der betroffene Kraftfahrer sich frühzeitig informiert, je früher desto besser. Üblicherweise reicht die Zeit des Entzugs der Fahrerlaubnis aus, um die Voraussetzungen für den Wiedererhalt des Führerscheins zu schaffen. Ich rate dringend zum Besuch eines kostenlosen Informationsabends über Ablauf und Inhalt einer MPU. Der nächste Schritt besteht in einem ausführlichen Beratungsgespräch, in dem ein individueller Fahrplan zum Führerschein erstellt wird und klare Empfehlungen gegeben werden über die notwendige Veränderung im Umgang mit Alkohol (Abstinenz oder veränderter Konsum), die Art und Anzahl der nötigen Nachweise (EtG und/oder Leberwerte), darüber, welche Hilfestellungen der Betroffene für die nötigen Verhaltensänderungen in Anspruch nehmen sollte, und schließlich, wann eine MPU erfolgsversprechend ist.
Frage: Wie viele Wochen vor der Untersuchung müssen Klienten, bei denen keine Abhängigkeit oder dauerhaft fehlende Trinkkontrolle vorliegt, abstinent gewesen sein oder zumindest den Konsum eingeschränkt haben?
Axel Uhle: Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten, sondern nur individuell. Je nachdem, wie der frühere Umgang mit Alkohol ausgesehen hat, wird man mehr oder weniger lange Zeiträume für die Verhaltensänderung benötigen, unterschiedliche Maßnahmen bzw. Hilfen in Anspruch nehmen und Nachweise erbringen müssen. Es kann sein, dass Abstinenz erforderlich ist, das gilt aber sicher nicht für jeden Betroffenen. Es macht auch keinen Sinn, einfach zu behaupten, „Ich trinke nie wieder einen Tropfen Alkohol.“ Wichtig ist: Wer aufgrund einer Trunkenheitsfahrt die Fahrerlaubnis verloren hat, sollte sich zur Frage seines zukünftigen Umgangs mit Alkohol in jedem Fall frühzeitig fachlichen Rat einholen. Die richtige Lösung für den künftigen Umgang mit Alkohol bedarf in jedem Einzelfall einer sauberen fachlichen Diagnostik, welche wir bei TÜV SÜD Pluspunkt z. B. im Rahmen eines Beratungsgespräches anbieten. Und auch die Änderung der Trinkgewohnheiten ist keine Sache, die sich zu Hause im stillen Kämmerlein vier Wochen vor der MPU klären lässt. Sofern sich im Beratungsgespräch allerdings eine Notwendigkeit der Abstinenz ergibt, z. B. wegen Alkoholabhängigkeit, ist es seit dem 01.07.2009 erforderlich, die Alkoholabstinenz hieb- und stichfest nachzuweisen. Das geschieht, wie schon beschrieben, mithilfe eines Abstinenz-Checks an einer anerkannten Stelle wie z. B. einer MPU-Begutachtungsstelle. Wichtig: Der Abstinenznachweis funktioniert nur mit einem solchen Kontrollprogramm, mit den so genannten „Leberwerten“ geht das nicht.
Frage: Wer bekommt nach der Untersuchung das Gutachten, die Behörde oder
der Untersuchte?
Axel Uhle: Das Gutachten bekommt immer nur der Untersuchte, denn er ist der Auftraggeber des Gutachtens. Die Inhalte des Gutachtens bzw. die gesamten Inhalte und Ergebnisse der MPU unterliegen der strengsten Schweigepflicht. Niemand erfährt also etwas davon, außer wenn es der Untersuchte selbst wünscht. Deshalb kann nur er selbst es auch veranlassen, dass das Gutachten direkt zur Behörde verschickt wird, wenn er dies ausdrücklich will.
Frage: Wie lange vor dem Ablauf der Sperrfrist ist es sinnvoll, sich auf eine medizinisch-psychologische Untersuchung vorzubereiten?
Axel Uhle: Immer so früh wie möglich! Das Hauptthema bei der MPU heißt Verhaltensänderung, dabei spielt die Zeit eine wichtige Rolle. Je früher sich jemand darum kümmert, desto besser. Wir von TÜV SÜD Pluspunkt haben derzeit in Kooperation mit dem Deutschen Anwaltsverein (DAV) das Internetportal „Führerscheinfix“ geschaffen, in dem wir Verkehrsrechtsanwälte und Betroffene frühestmöglich mit wichtigen Informationen zur Vorbereitung auf eine MPU versorgen. Mithilfe eines Anwalts eventuell schon vor der Urteilsverkündung aktiv zu werden, ist nur einer von vielen wichtigen Hinweisen, die Kunden bei uns erhalten.
Frage: Es gibt Bücher, die auf die medizinisch-psychologische Untersuchung vorbereiten. Die verschiedenen Tests bei der MPU sind offensichtlich so aufgebaut, dass man sie bei entsprechender Vorbereitung besteht, auch wenn man sein Verhalten nicht geändert hat. Machen die Untersuchungen dann überhaupt einen Sinn?
Axel Uhle: Man kann auf keinen Fall mit „gelernten“ Antworten die MPU bestehen. Sie enthält auch keine Fragen, die auf die immer gleiche Art gestellt würden und auf die es „richtige“ oder „falsche“ Antworten gibt. Wir warnen auch ausdrücklich vor so genannten MPU-Vorbereitern, die versprechen, einem die richtigen Antworten beizubringen, denn das geht gar nicht. In der MPU findet ein langes, sehr persönliches und individuelles Untersuchungsgespräch statt, in dem jeder nur seine ganz persönlichen Antworten auf die Fragen des Gutachters finden kann. Jeder Mensch hat schließlich eine ganz eigene Geschichte und kann nur ganz individuelle Lösungen für seine Probleme finden. Das gilt auch für den Weg zurück zum Führerschein und zur sicheren Verkehrsteilnahme. Gleich am Anfang des erwähnten Buches wird übrigens klargestellt, dass es um echte Hilfe zur Lösung von Führerscheinproblemen geht – nicht um das Lernen von Antworten.
Frage: Die Kosten für eine MPU trägt der Betroffene. Wie teuer ist eine medizinisch-psychologische Untersuchung?
Axel Uhle: Der Preis richtet sich nach der Fragestellung, welche die Behörde beantwortet haben möchte, also im Prinzip nach dem Anlass Alkohol, Drogen oder Punkte. Diese Preise sind in der staatlichen Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) festgelegt und daher an jeder Begutachtungsstelle in ganz Deutschland gleich. Der Preis für eine MPU mit „Alkoholfragestellung“ liegt derzeit inklusive Mehrwertsteuer bei 418,22 Euro.
Frage: Was kann man tun, wenn eine Untersuchung zu einem negativen Ergebnis geführt hat?
Axel Uhle: Am besten mit dem Gutachten und allen Unterlagen so schnell wie möglich zum Fachberater gehen. Nicht immer wird das Gutachten richtig gelesen und richtig verstanden. In einem Gutachten mit negativem Ergebnis werden wichtige Hinweise gegeben, weshalb es jetzt noch nicht gereicht hat und was zu tun ist, damit es im nächsten Anlauf sicher klappt.