Topthema

Tödliche Überdosis bei Opioidkonsum mit speziellem Nasenspray verhindern

Mai 2021

Opioide wie Heroin sind die häufigste Ursache, wenn Drogenkonsumierende an einer Überdosis sterben. Ein spezielles Nasenspray kann ihr Leben retten.

Bild: South_agency / istockphoto.com

Die Szene aus dem Film „Pulp Fiction“ von Quentin Tarantino ging unter die Haut. Mia Wallace bricht plötzlich zusammen, weil sie versehentlich Heroin statt Kokain geschnupft hat. Die von Uma Thurman gespielte Frau des Mafiabosses Marsellus Wallace droht an einer Überdosis zu sterben. Im Film überlebt die Protagonistin, weil ihr Begleiter Vincent Vega eine Spritze mit Adrenalin direkt in ihr Herz rammt.

Im echten Leben wäre Mia Wallace vermutlich gestorben. Opioide wie Heroin wirken betäubend auf das Nervensystem. Auch die Steuerung der Atmung ist davon betroffen. Bei einer tödlich wirkenden Überdosis Heroin wird die Atmung immer flacher bis sie ganz aussetzt. Konsumierende sterben am Atemstillstand. Adrenalin ist zwar ebenfalls ein Notfallmedikament. Um die atemlähmende Wirkung von Heroin aufzuheben, wird jedoch ein anderes Mittel verwendet: Naloxon.

Naloxon ist ein sogenannter Opioidantagonist. Opioide wie Heroin oder Fentanyl binden an den Opioid-Rezeptoren im Gehirn und im Körper. Naloxon ist ein Gegenspieler von Opioiden und verdrängt diese von den Rezeptoren. Die betroffene Person kann wieder atmen. Naloxon ist seit Jahrzehnten erfolgreich in der Notfallmedizin im Einsatz. Nach der Gabe wirkt es binnen Minuten. Es kann bei Überdosierungen mit jeglicher Art von Opioiden wie Heroin, Methadon oder Fentanyl eingesetzt werden.

Risiko einer Überdosis besonders nach Phase der Abstinenz

Leider kommen nicht alle Konsumierenden bei einer Überdosis so glimpflich davon wie Mia Wallace. Weltweit sterben jährlich etwa 69.000 Menschen an einer Vergiftung mit Opioiden. In Europa werden jedes Jahr über 7.000 Todesfälle auf eine Überdosis zurückgeführt. In Deutschland sind im letzten Jahr 572 Menschen an einer Überdosis mit Opioiden gestorben. Die Zahl der Todesfälle durch Opioide ist in Deutschland zwar seit einigen Jahren rückläufig, Opioide sind aber immer noch die Hauptursache, wenn Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums versterben.

Schätzungen zufolge haben Drogengebrauchende ein 10- bis 20-mal höheres Risiko zu versterben, als vergleichbare Personen der Allgemeinbevölkerung. Ein Risikofaktor ist der schwankende Reinheitsgehalt. Hat die zumeist illegal erworbene Droge eine unerwartet hohe Wirkstoffkonzentration, kann dies eine Überdosis nach sich ziehen. Auch erhöht der Mischkonsum mit Drogen, die ebenfalls die Atmung dämpfen, wie Alkohol oder Benzodiazepine, das Risiko eines Atemstillstands.

Das Risiko einer Überdosis mit Opioiden ist vor allem dann hoch, wenn Drogengebrauchende nach einer Phase der Abstinenz wieder anfangen zu konsumieren. Das ist oft in den ersten Wochen nach einer Haftentlassung, einer Entgiftung oder nach einer Abstinenztherapie der Fall. Dann hat sich die Toleranz zurückentwickelt, die sich bei längerem Konsum der Droge aufbaut. Nehmen Drogengebrauchende wieder die übliche Dosis, an die sie vorher gewöhnt waren, kann dies eine Überdosis zur Folge haben.

Take-home-Naloxon zur Anwendung durch medizinische Laien

Die meisten Überdosierungen ereignen sich im privaten Umfeld. Häufig sind auch andere Personen anwesend, die ebenfalls Drogen konsumieren. Viele Todesfälle könnten vermieden werden, wenn Umstehende schnell den Notruf 112 anriefen, damit Rettungskräfte das Gegenmittel Naloxon verabreichen. Oftmals wird der Notruf aus Angst vor Strafverfolgung aber nicht rechtzeitig oder gar nicht getätigt, obwohl Rettungskräfte der Schweigepflicht unterliegen.

Um Todesfälle durch Überdosierungen zu vermeiden, gibt es seit einigen Jahren spezielle Präventionsprogramme. Diese haben zum Ziel, so genanntes Take-home-Naloxon an Drogengebrauchende zu verschreiben. Die Verschreibung wird meist kombiniert mit einer Schulung für den Einsatz von Naloxon im Notfall. Daran können auch andere nahestehende Personen wie Freunde oder Familienmitglieder teilnehmen.

Die ersten Take-home-Naloxon-Programme wurden in den 1990er Jahren in den USA und in Europa durchgeführt. Wissenschaftliche Übersichtsarbeiten legen nahe, dass die Vergabe von Naloxon an medizinische Laien die Sterblichkeit unter Opioidkonsumierenden bedeutsam senkt. So stellt die Weltgesundheitsorganisation in einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2014 fest, dass die Sterblichkeitsrate bei Überdosierungen unter Personen, die Take-Home-Naloxon erhalten haben, 1 Prozent betrug. In Gemeinden, in denen kein Naloxon verteilt wurde, lag die Sterblichkeitsrate bei Opioid-Überdosierungen bei 2 bis 4 Prozent.

Empfehlung zum flächendeckenden Einsatz von Take-home-Naloxon

Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht empfehlen, Programme mit Take-home-Naloxon auszuweiten, um den Opioid-Antagonisten leichter verfügbar zu machen. Expertinnen und Experten schätzen, dass bei einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Naloxon etwa zwei Drittel aller Todesfälle durch Opioid-Überdosierungen verhindert werden könnten.

Naloxon wird als sicheres Medikament eingestuft. Bei Menschen, die nicht opioidabhängig sind, habe Naloxon keinerlei Wirkung, weshalb der Wirkstoff auch kein Suchtpotential habe. Zwar könne die Anwendung von Naloxon Entzugserscheinungen bei Opioidabhängigen auslösen, das Potential des Wirkstoffs, Leben zu retten, falle aber deutlich stärker ins Gewicht.

Naloxon-Nasenspray in Deutschland

In Deutschland gibt es seit 2018 ein Naloxon-Präparat, das ganz einfach als Nasenspray verabreicht werden kann. Studien zeigen, dass Naloxon als Nasenspray eine fast ebenso gute Wirksamkeit hat wie eine Injektion. Das Präparat wird in regionalen Modellprojekten eingesetzt und wissenschaftlich überprüft. 2019 erklärte die damalige bayerische Gesundheitsministerin Melani Huml: „Seit dem Beginn des Projektes im Oktober 2018 konnte bislang 17 Menschen in Bayern in Notfallsituationen mit Naloxon geholfen werden.“

Aktuell steht ein Modellprojekt zur deutschlandweiten Durchführung von Schulungen mit Take-Home Naloxon in den Startlöchern. Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig erklärte im Januar dieses Jahres: „Naloxon muss in der Szene verfügbarer werden. Es hat bereits Leben gerettet und kann noch mehr Leben retten.“

Fazit

Opioide wie Heroin oder Fentanyl sind die Hauptursache für drogenbedingte Todesfälle. Bei einer Überdosierung sterben Betroffene an einem Atemstillstand. Das Gegenmittel Naloxon kann die Blockierung der Atmung schnell aufheben. Seit Jahrzehnten kommt Naloxon erfolgreich in der Notfallmedizin zum Einsatz.

Seit 2018 gibt es ein Naloxonpräparat, das als Nasenspray von medizinischen Laien verabreicht werden kann. Drogengebrauchende können es sich ärztlich verschreiben lassen. In regionalen Projekten hat das Nasenspray in Deutschland bereits Leben gerettet. Aktuell steht ein Modellprojekt in den Startlöchern, um das rettende Gegenmittel deutschlandweit verfügbarer zu machen.

 

Quellen:


Kommentare

Kommentare

Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.