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Oktober 2011
Rund 300 Millionen männliche Keimzellen werden bei jedem Samenerguss auf die Reise geschickt, und sie haben nur ein Ziel: die Eizelle finden und befruchten. Aber nur ein Spermium wird sein Ziel erreichen - oder auch nicht. Denn nicht jeder Mann ist biologisch gesehen zeugungsfähig. Studien zufolge könnten der Konsum von Cannabis, Speed und Co. eine Ursache dafür sein, dass der Hormonhaushalt beim Mann dauerhaft durcheinandergewirbelt wird und Unfruchtbarkeit zur Folge hat.
Bild: no more lookism / photocase.com
Ausnahmsweise geht es hier mal nur um Männer. Denn ihr Lebensstil lässt manchmal doch etwas zu wünschen übrig. Männer trinken und rauchen mehr als Frauen und bei illegalen Drogen lässt der eine oder andere es auch gerne mal so richtig krachen. Auch wenn so mancher Mann sich in jungen Jahren für unverwundbar hält, Studien zufolge könnte es ein böses Erwachen geben, wenn später der Wunsch nach einem eigenen Kind aufkommt.
Was viele Männer nicht wissen: Nicht nur bei Frauen, auch beim männlichen Geschlecht tickt die biologische Uhr. Etwa vom 35. Lebensjahr an verschlechtert sich die Samenqualität. Doch schon bei jungen Männern kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigt sein. Entscheidend für die Fruchtbarkeit ist die Produktion einer ausreichenden Anzahl gesunder Spermien. Dieser Vorgang hängt von einer komplexen hormonellen Steuerung ab, die durch Drogen durcheinander gebracht werden kann. Das gilt sowohl für Drogen aus dem Chemielabor, als auch für „naturbelassene“ Substanzen wie Cannabis.
Unfruchtbarkeit des Mannes ist mittlerweile bei vielen ungewollt kinderlosen Paaren ein Problem. Ein US-amerikanisches Forschungsteam ist daher der Frage nachgegangen, wie illegale Drogen die männliche Fruchtbarkeit beeinflussen können. Carolyn Fronczak und ihr Team haben hierzu alle relevanten Studien in einem Übersichtsartikel zusammengetragen.
Schon aufgrund der weiten Verbreitung kommt Cannabis eine große Bedeutung bei der Frage der männlichen Fruchtbarkeit zu. Im Körper dockt THC, der Hauptwirkstoff von Cannabis, an dieselben Rezeptoren an, die auch von körpereigenen Substanzen, den Endocannabinoiden, besetzt werden. Bekannt ist, dass Endocannabinoide eine wichtige Rolle für die Fortpflanzung spielen. Endocannabinoid-Rezeptoren finden sich unter anderem in den Hoden und sind dort an der Steuerung der Spermienproduktion beteiligt. Sogar in den Spermien selbst finden sich Rezeptoren für Endocannabinoide.
Beim Kiffen gelangt THC nicht nur ins Gehirn, sondern wird über die Blutbahn auch zu den Hoden transportiert, wo es an den entsprechenden Rezeptoren bindet und damit die sogenannte Hypothalamus-Hypophysen-Hoden-Achse stören kann. Der Hypothalamus und die Hypophyse sind zwei Strukturen im menschlichen Gehirn, die im Zusammenspiel mit den Hoden die Produktion des Sexualhormons Testosteron regeln. Eine Vermutung lautet: Wenn sich THC an die Rezeptoren in den Hoden bindet, könnte die Produktion von Testosteron vermindert werden. Testosteron spielt eine zentrale Rolle bei der Spermienproduktion.
Tatsächlich stießen Fronczak und ihr Team bei ihrer Recherche auf Studien, in denen der Testosteronspiegel im Blut von chronischen Cannabiskonsumenten signifikant niedriger war als bei abstinenten Kontrollpersonen. Zudem war der Testosteronspiegel abhängig von der Konsummenge: Je mehr die Probanden gekifft hatten, desto weniger Testosteron hatten sie im Blut. Die verminderte Produktion von Testosteron hatte vermutlich wiederum die Anzahl der Spermien im Ejakulat der Kiffer stark vermindert. Diese sogenannte Oligospermie wurde bei über einem Drittel der untersuchten chronischen Cannabiskonsumenten nachgewiesen.
Allerdings verringert sich nicht nur die Anzahl der Spermien, sondern auch deren Qualität. Wie weitere Untersuchungen ergaben, schränkt THC nämlich auch das Bewegungsvermögen der Spermien ein. Dies könnte darin begründet sein, dass THC den so genannten programmierten Zelltod (Apoptose) fördert. Im Ejakulat findet sich dann ein großer Anteil an bewegungslosen Spermien.
Verschärft wird der negative Einfluss von THC womöglich auch durch dessen relativ langfristige Verfügbarkeit im Körper. Normalerweise werden körpereigene Endocannabinoide je nach Bedarf schnell bereitgestellt und ebenso schnell wieder abgebaut. Beim Kiffen wird der Körper aber regelrecht mit THC geflutet. Das pflanzliche Cannabinoid wird zudem im Fettgewebe gespeichert und von dort nach und nach wieder abgegeben. Solche „THC-Reservoire“ in den Hoden könnten die dortigen Cannabinoid-Rezeptoren überstimulieren und die beschriebenen negativen Konsequenzen für die Spermienqualität haben.
Ähnlich wie Cannabis beeinträchtigen auch Ecstasy und Speed die normale Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Hoden Achse und damit auch die Produktion von Testosteron. Die Auswirkungen von Amphetaminen wurden bisher allerdings ausschließlich in Tierstudien untersucht. In einem Experiment wurde männlichen Ratten Ecstasy in einer Menge verabreicht, die etwa der Menge des Freizeitkonsums beim Menschen entsprechen soll. Der Testosteronspiegel der Ratten reduzierte sich daraufhin um 50 Prozent.
Bei genaueren Untersuchungen der Auswirkungen von Ecstasy auf die Hoden und die Qualität der Samenzellen von Ratten zeigten sich zudem signifikant häufiger Schäden an der in den Spermien enthaltenen Erbsubstanz (DNA) sowie in den Hodenkanälchen, in denen die Spermien produziert werden. Anders als THC, führte Ecstasy jedoch nicht zu einem reduzierten Bewegungsvermögen oder anderen äußerlichen Auffälligkeiten der Spermien.
Wie bei den Amphetaminen stammen auch die Erkenntnisse zu den Auswirkungen von Kokain auf die männliche Fruchtbarkeit überwiegend aus Tierstudien. Ratten, die im Experiment über mehrere Monate mit Kokain versorgt wurden, hatten eine etwa um die Hälfte reduzierte Wahrscheinlichkeit, Nachwuchs zu zeugen, verglichen mit ihren abstinenten Artgenossen. Um die Gründe für diese Unterschiede herauszufinden wurden auch diese Versuchstiere nach Abschluss des Experiments eingehend untersucht.
In den spermienproduzierenden Hodenkanälchen der mit Kokain behandelten Versuchstiere fanden die Forscherinnen und Forscher degenerierte und abnormale Zellen. Sowohl in hohen als auch in niedrigen Dosen hatte Kokain somit akute negative Effekte auf die Spermienproduktion. Durch hohe Dosen von Kokain wurde zudem die Blutversorgung der Hoden für mehrere Stunden beeinträchtigt. Auch diese Minderdurchblutung könnte die negativen Auswirkungen von Kokain auf die Fruchtbarkeit teilweise erklären.
Fronczak und ihr Team konnten in ihrer Übersichtsarbeit zeigen, dass in einer Vielzahl an Studien ein negativer Einfluss von Drogenkonsum auf die Spermienproduktion und Spermaqualität nachgewiesen werden konnte. Unklar bleibt jedoch, in wie vielen Fällen der Substanzmissbrauch tatsächlich eine relevante Rolle bei bestehender männlicher Unfruchtbarkeit spielt. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind etwa 5 bis 10 Prozent der Paare in Deutschland aktuell ungewollt kinderlos, bei etwa 3 Prozent bleibt der Kinderwunsch dauerhaft unerfüllt.
Lana Burkman, Forscherin an der Universität Buffalo in den USA, hat ebenfalls an einer Studie zu den Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die männliche Fruchtbarkeit gearbeitet. Sie weist darauf hin, dass Kiffen nicht unbedingt automatisch Unfruchtbarkeit zur Folge habe. Bei Männern, die sich aber bereits an der Grenze zur Zeugungsunfähigkeit befinden, könnte Cannabis der entscheidende Faktor sein, der sie über die Schwelle zur Unfruchtbarkeit trägt.
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