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Reiz und Risiken von Crystal Meth

August 2014

Wie gefährlich und wie verbreitet ist Crystal Meth? Warum wird das synthetische Aufputschmittel überhaupt konsumiert? Und was sind sinnvolle Maßnahmen für die Suchtprävention? Diese Fragen werden derzeitig von Expertinnen und Experten diskutiert. Dabei wird auch deutlich, warum Crystal in einigen Regionen ein zunehmendes Problem darstellt.

Schild mit Aufschrift

Bild: © istock.com / ra-photos

„Noch ist der Konsum von Crystal Meth in Europa auf wenige Regionen beschränkt, in Deutschland ist dies die Grenzregion zu Tschechien“, schildert Marlene Mortler, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die derzeitige Situation. Verlässliche Zahlen für das gesamte Bundesgebiet liegen bisher noch nicht vor. Doch in einigen Bundesländern wird tatsächlich eine Zunahme des Crystal-Konsums beobachtet. „Wir müssen die Entwicklung sehr aufmerksam beobachten und wachsam sein. Es ist nun die Aufgabe, gemeinsame Schritte im weiteren Vorgehen festzulegen“, so Mortler.

Deutliche Zunahme in bestimmten Gebieten

Dieser Aufgabe haben sich Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Suchtprävention und Suchthilfe angenommen. Neben Sachsen und Bayern ist Sachsen-Anhalt eines der Bundesländer, in denen der Crystal-Konsum in den letzten Jahren offenbar zunimmt: Immer häufiger stelle die Polizei hier Tütchen mit kristallinem Methamphetamin sicher. Immer öfter würden Konsumierende die Hilfe von Beratungsstellen aufsuchen. In den Notaufnahmen seien Ärztinnen und Ärzte zunehmend mit aufgedrehten und mitunter gewaltbereiten, überdosierten Crystal-Konsumierenden konfrontiert. Auf einer Fachtagung der Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt waren sich die beteiligten Expertinnen und Experten einig: Crystal wird, zumindest in einigen Regionen, ein zunehmend größeres Problem.

Laut dem Landeskriminalamt (LKA) in Sachsen-Anhalt hat sich die Anzahl der Delikte im Zusammenhang mit Amphetaminen dort seit 2009 von jährlich 1.000 auf etwa 2.500 im Jahr 2013 mehr als verdoppelt. In den Beratungsstellen stieg die Anzahl der betreuten Crystal-Konsumierenden von 276 im Jahr 2011 auf 1.177 im Jahr 2013. Auch in Sachsen und Bayern zeigt sich für die letzten Jahre eine ähnliche Entwicklung.

Gefahren unterschätzt

„Methylamphetamine wirken zwei- bis dreimal stärker als herkömmliche Amphetamine“, erläutert Dr. Hendrik Liedtke, Chefarzt der Notfallmedizin in der Klinik St. Elisabeth und St. Barbara in Halle. „Das Zeug führt zu einer permanenten Erregung. Man steht also ständig unter Strom. Es verdrängt unsere körpereigenen Neurotransmitter.“ Der Eingriff der Substanz in die Hirnchemie bleibt laut Liedtke nicht ohne Folgen. „Das bedingt die enorme Gefahr, dass Crystal-Konsumenten schwere psychiatrische Erkrankungen entwickeln.“

Ein zentraler Risikofaktor ist die Entwicklung einer Abhängigkeit, die unter anderem durch eine schnelle Toleranzentwicklung entsteht. „Eines der Hauptprobleme ist, dass es hemmungslose Dosissteigerungen bei Crystal-Konsumenten zu verzeichnen gibt. Kein Heroinabhängiger würde das tun!“, so Liedtke. Bei den Konsumierenden halte sich zudem die Legende, dass Methamphetamin eigentlich nicht so schlimm sei. Negative Effekte von Crystal wären ausschließlich auf unreinen Stoff oder unhygienische Herstellungsbedingungen zurückzuführen. Liedtke widerspricht dem vehement: „Dieses Zeug ist gefährlich! Und je reiner es ist, desto gefährlicher ist es.“

Subjektiv fühlen sich die Konsumierenden allerdings erhaben, Probleme werden ausgeblendet. Die eigene Leistungsfähigkeit scheint sich durch den Crystal-Konsum zu verbessern. Der Körper wird allerdings in einen andauernden Erregungszustand versetzt. Nicht selten bleiben die Konsumierenden vier, fünf oder noch mehr Tage am Stück wach. Gleichzeitig ist Crystal, zumindest in der Grenzregion zu Tschechien, leicht verfügbar und vergleichsweise billig zu haben. Weil die Substanz so stark wirksam ist reichen zunächst Mengen von etwa 10-40 Milligramm.

Erstkonsum im Freundeskreis

Doch wie kommen die Crystal-User überhaupt in Kontakt mit der Substanz? „Das ist nicht der böse Dealer, der mit einem Päckchen an die Schule geht“, erläutert Jana Valentin von der DROBS-Fachstelle für Suchtprävention aus Magdeburg. Der Einstieg in den Konsum geschieht zumeist im Freundeskreis: „Das ist ja das fiese an der Sache. Das ein Konsument denkt: ‚Das ist doch einer den ich kenne. Der will mich ja nicht vergiften. Der will mich auch nicht abhängig machen‘. Da sinkt natürlich die Hemmschwelle“.

Die Mechanismen, die zu einem abhängigen Konsumverhalten führen, sind bei Crystal die gleichen wie bei anderen Rauschmitteln: Vor allem das Konsummotiv stellt eine große Gefahr dar. „Wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass sie Crystal zur Problembewältigung oder zur Alltagsbewältigung einsetzen können, ist das sehr kritisch zu sehen“, sagt Valentin. Dieses „Alltagsdoping“ berge ein enormes Suchtrisiko.

Heterogene Gruppe von Crystal-Konsumierenden

Trotz der Gefahren scheint Crystal in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen konsumiert zu werden. „Früher sind wir davon ausgegangen, dass die klassischen Drogenkonsumenten zwischen 18 und 25 Jahren alt sind. Jetzt haben wir mittlerweile welche die 50 sind“, berichtet Stephan Schröder vom LKA Sachsen-Anhalt. Dabei spielt Crystal nicht nur in sehr verschiedenen Altersgruppen, sondern auch in sehr unterschiedlichen Berufsgruppen und selbst im Kontext der Arbeit oder des Studiums eine Rolle.

„Bei den Konsumenten ist eine sehr spezielle Vorstellung von Leistung und Leistungsfähigkeit vorhanden“, erklärt Sascha Milin. Er hat an einer Studie der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf mitgewirkt, in der Konsumierende interviewt wurden. Etwa die Hälfte der für die Studie befragten Crystal-User konsumierte die Substanz auch im Rahmen ihres Berufes. „Bei jungen Konsumenten, die gerade ihre Ausbildung begonnen haben, bedeutete Leistungsfähigkeit, das ganze Wochenende, beginnend am Donnerstag, durchzufeiern, der Letzte auf der Tanzfläche zu sein - und dann am Montag mit einer entsprechenden Dosis auf die Arbeit zu gehen.“

Prävention durch Abschreckung?

Crystal-Konsumierende entsprechen also nicht unbedingt dem typischen Bild des kaputten Heroin-Junkies - vor allem nicht zu Beginn ihres Konsums. Dieses vorherrschende Bild von Crystal-Konsumierenden wurde nicht zuletzt durch US-amerikanische Kampagnen wie dem „Meth Project“ geprägt. Deren Plakate und Fernsehspots sollen die dramatischen Folgeschäden des Konsums verdeutlichen. Auch deutsche Medien nutzen entsprechende Darstellungen gerne in Berichten über die „Horrordroge“ Crystal Meth.

Doch entsprechen diese Bilder der Realität der Crystal-User in Deutschland? „Wir sehen jetzt, nach drei Jahren Drogenkarriere, die Ersten die auch so aussehen“, schildert Liedtke die Situation in der Notaufnahme in Halle. Allerdings stellt er die Wirkung dieser dramatisierenden Darstellungen auch in Frage. „Diese Bilder haben dazu geführt, dass der Abiturient, der mit 17 in den Konsum eingestiegen ist, nach einem Jahr feststellt, dass er ja doch nicht so schlimm aussieht.“ Liedtke vermutet, dass dadurch die Glaubwürdigkeit der Prävention gelitten hat. „Und das hat die Verbreitung der Droge mit hoher Wahrscheinlichkeit so leicht gemacht.“

Herausforderung für das Hilfesystem

Dass die Realität für abhängige Crystal-Konsumierende in Deutschland nicht ganz so düster aussieht, wie auf den US-amerikanischen Plakaten, liegt laut Liedtke vor allem an einem zentralen Unterschied: „Unser Gesundheitssystem hat nur geringe Hürden, die man nehmen muss, um auch als Schwerstabhängiger noch vernünftig als Mensch behandelt zu werden.“ Die äußerlich sichtbaren Schäden, wie Zahnausfall und entzündliche Hautkrankheiten, halten sich somit zunächst einmal in Grenzen.

Die Konsumierenden erleben die Substanz anfänglich offensichtlich als positiv. Eine „Horrordroge“ ist Crystal also zunächst vor allem für Außenstehende, die den Schwerstabhängigen hilflos zusehen. Dennoch sind die körperlichen, psychischen und sozialen Folgeschäden Realität und eine Herausforderung für das Hilfesystem. Etliche Expertinnen und Experten forderten deswegen eine verstärkte Aufklärung und Prävention, die sich gezielt an die identifizierten Risikogruppen richtet. Eine ausschließlich dramatisierende Darstellung könnte hingegen kontraproduktiv sein.


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