Topthema
Juli 2008
Der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und dem Ausbruch einer Psychose ist trotz zahlreicher und zum Teil sehr aufwändiger Studien bislang nicht abschließend geklärt worden. Vermutlich wird die Ursache-Wirkungs-Frage auch nicht endgültig zu klären sein. Kaum noch Zweifel bestehen allerdings an der Aussage, dass Personen, die anfällig sind für eine Psychose, das Risiko für einen Ausbruch einer Psychose erhöhen, wenn sie kiffen. Doch was bedeutet dies für Konsumierende? Gibt es gar Früherkennungsmerkmale einer möglichen Psychose?
Adanos war einer von jenen, die mehr gekifft haben, als ihnen gut tut. Er hatte Depressionen und hörte Stimmen, die nur er in seinem Kopf gehört hat. Nachdem er mehrere Besuche in der Psychiatrie hinter sich hatte, war ihm klar geworden, dass es so nicht mehr weiter gehen kann und beschloss, mit dem Kiffen aufzuhören. Die Gefahr einer Psychose sei beim ihm einfach zu groß, schreibt er in einem Erfahrungsbericht auf drugcom.de.
Nicht allen Cannabiskonsumierenden ergeht es wie Adanos, aber viele dürften schon mal Erfahrungen gemacht haben, die einer Psychose nicht unähnlich sind. Psychotische Symptome haben einschneidende Auswirkungen auf das Erleben der Betroffenen. Oft verschwinden die Symptome nach Abklingen der Wirkung wieder. Bleiben die Symptome aber auch nach längerer Zeit bestehen, so kann es sein, dass eine Schizophrenie vorliegt.
Schizophrenie wird eine besondere Form der Psychose genannt. Sie ist eine sehr ernsthafte psychische Erkrankung, die meist zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr zum ersten Mal auftritt. Damit einher geht immer ein Realitätsverlust, der durch Wahnvorstellungen wie z. B. Verfolgungswahn und/oder Halluzinationen gekennzeichnet ist. Oftmals kapseln sich Betroffene vollständig von der Umwelt ab, manche begehen in ihrer Verzweifelung Selbstmord.
Sind nun alle Kiffer von einer Psychose oder gar von Schizophrenie bedroht? Die Frage mag überspitzt formuliert klingen, tatsächlich war und ist sie Gegenstand einer Vielzahl an Studien zum Ursache-Wirkungs-Zusammenhang bei Cannabiskonsum und Psychose. Denn es sind hier verschiedene Erklärungsmodelle denkbar: Der Cannabiskonsum alleine könnte die Ursache sein für den Ausbruch eine Psychose, die unter anderen Umständen nicht aufgetreten wäre. Dann müsste man von einer eigenständigen „Cannabispsychose“ sprechen. Ebenso ist denkbar, dass der Cannabiskonsum nur bei den Personen eine Psychose auslöst, die bereits anfällig hierfür sind. Cannabiskonsum wäre in diesen Fällen nicht die alleinige Ursache, sondern würde lediglich bewirken, dass die unterschwellig vorhandene Psychose zum Ausbruch kommt. Kiffen wäre also der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Möglich ist auch, dass psychosegefährdete Personen ein besonderes Faible für das Kiffen haben. Der Konsum wäre dann eher Folge als Ursache einer Psychose oder einfach nur ein Begleiterscheinung ohne ursächlichen Zusammenhang.
Klingt kompliziert, ist es auch. So hat auch die Wissenschaft noch keine eindeutige Antwort auf diese Fragen liefern können. In den aktuellen Studien zu diesem Thema kristallisiert sich allerdings eine Tendenz für die so genannte Trigger-Hypothese ab. Das heißt, Cannabiskonsum ist sehr wahrscheinlich nicht Verursacher, aber Auslöser (engl. trigger) einer Psychose, wenn die Personen anfällig sind für psychotische Erkrankungen. Zu diesem Schluss kommt beispielsweise ein Expertenteam aus Australien nach Durchsicht mehrerer Längsschnittstudien. Die Hypothese einer eigenständigen „Cannabispsychose“ kann das Autorenteam - Luisa Degenhardt und Wayne Hall - nicht bestätigen. Vielmehr würden in den Fällen, bei denen sich infolge von Cannabiskonsum eine dauerhafte Psychose etabliert hat, meist die Symptome einer Schizophrenie diagnostiziert.
Eine aktuelle Studie aus den USA gibt der Annahme eines beschleunigten Psychoseausbruchs neue Nahrung. Darin haben die beiden Forscherinnen Karin Kristensen und Kristin Cadenhead 48 Personen, die als psychosegefährdet gelten ein Jahr lang beobachtet. Das Psychoserisiko wurde mit Hilfe von Interviews und Fragebögen ermittelt. 16 Personen wiesen einen starken Cannabiskonsum auf, 32 keinen oder nur einen sehr geringen Konsum. Von den 48 Personen haben sechs innerhalb eines Jahres tatsächlich eine Psychose entwickelt. Fünf davon waren Cannabiskonsumierende. Damit ist bei 31 Prozent der Personen, die zur ersten Untersuchung einen starken Cannabiskonsum aufwiesen ein Jahr später eine Psychose ausgebrochen, wohingegen dies nur bei 3 Prozent der abstinenten bzw. gering Konsumierenden der Fall war.
Ein britisches Forschungsteam um Glyn Lewis hat sich mit der Frage beschäftigt, wie hoch das Risiko von Cannabiskonsumierenden ist, psychotische Symptome zu entwickeln. Das Team führte hierzu eine Meta-Analyse durch, in der sie 35 Studien einbezogen. Meta-Analysen haben eine sehr viel stärkere Aussagekraft als Einzelstudien. Die Forscherinnen und Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass Cannabiskonsumierende ein um 41 Prozent höheres Risiko für eine Psychose haben, als abstinente Personen. Dabei fanden sie zudem eine dosisabhängige Beziehung. Das bedeutet, je mehr die Personen kiffen, desto höher ist ihr Risiko, zu erkranken. Dazu muss man aber auch wissen, dass das generelle Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken weltweit bei etwa 1 Prozent liegt. Durch Kiffen erhöht sich dieses Risiko also um den Faktor 1,41.
Als Erklärung für das erhöhte Psychoserisiko wird meist auf die biologische Wirkung von Cannabis im Gehirn verwiesen. So werden bestimmte Hirnbotenstoffe wie Dopamin, die bei der Ausbildung psychotischer Symptome eine Rolle spielen, durch Cannabis beeinflusst. Zudem bestehe der Verdacht, dass die körpereigenen Cannabinoidrezeptoren bei Schizophrenie und anderen psychotischen Erkrankungen beteiligt sind. Zumindest legen verschiedene Studienergebnisse diesen Schluss nahe. Dies müsse aber noch durch weitere Forschung abgesichert werden.
In der wissenschaftlichen Literatur wird auch darauf hingewiesen, dass zunehmend stärkeres Cannabis auf den Markt kommt, vor allem wenn es aus so genannten Indooranlagen kommt. Darin werden bestimmte Cannabissorten gezielt gezüchtet, um den THC-Gehalt zu erhöhen. In einer Studie aus Großbritannien konnte nachgewiesen werden, dass der THC-Gehalt mit der Züchtung zwar tatsächlich steigt, im Gegenzug aber auch der Anteil an Cannabidiol (CBD) abnimmt. Cannabidiol ist ein Abbauprodukt, das entsteht, wenn Cannabis längere Zeit gelagert oder erhitzt wird. Cannabidiol selber hat keine psychoaktive Wirkung, es kann aber den Rausch, der durch THC erzeugt wird, abmildern und würde eine gewisse Schutzfunktion gegen psychotische Effekte mit sich bringen. Konsumierende fühlen sich dann eher entspannt bis schläfrig. Durch die Abwesenheit von Cannabidiol wird der Rausch deutlich intensiver und halluzinogener. Dies erhöhe nach Ansicht der Autoren das Psychoserisiko, da die Dosis - wie oben erläutert - hierbei eine Rolle spielt.
Grundsätzlich müssen sich Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten im Klaren sein, dass sie mit dem Kiffen ein höheres Risiko für eine Psychose haben, als abstinente Personen. Kiffer, die eine intensive Wirkung bevorzugen und dabei zudem auf hochpotentes Gras zurückgreifen, sind besonders gefährdet. Generell gilt: Je intensiver der Konsum desto höher das Risiko. Wer gewisse psychoseähnliche Symptome bei sich entdeckt, sollte besser die Finger davon lassen. Vorzeichen können sein: Das unbestimmte Gefühl, dass etwas Merkwürdiges mit einem passiert, das Gefühl, verfolgt zu werden oder die Erfahrung, dass die Gedanken rasen und nicht kontrolliert werden können. Wer diese Symptome bei sich feststellt muss nicht zwangsläufig psychotisch werden, um aber auf Nummer sicher zu gehen, sollte man in diesem Fall auf den Konsum verzichten oder ihn zumindest deutlich reduzieren.
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