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Juni 2013
„Es gibt keine Hinweise darauf, dass Ecstasy Hirnschäden verursacht“, beginnt ein Artikel in der Online-Ausgabe der britischen Zeitung Guardian. Der Autor beruft sich auf die Studie eines Forschungsteams um Professor Harrison Pope von der Harvard Medical School. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Addiction veröffentlicht. In derselben Ausgabe des Magazins hagelt es jedoch auch Kritik von anderen Forschungsteams. Ist Ecstasy nun ungefährlich - oder doch nicht?
Bild: Janski / photocase.com
„Nach 30 Minuten 6 Fliegen tot.“ Die Notiz stammt aus einem der ersten Tier-Experimente mit MDMA, die 1952 von dem Chemiker Albert van Schoor durchgeführt wurden. Welche Schlussfolgerung van Schoor daraus zog, ist unbekannt, da er keine wissenschaftliche Publikation hierzu erstellt hatte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später lässt sich die Anzahl an Studien zu MDMA kaum noch zählen. Inzwischen hat auch der Szenename Ecstasy Eingang in Fachpublikationen gefunden und wird mehr oder weniger mit MDMA gleichgesetzt.
In den 1980er Jahren wurden erste systematische Tierversuche durchgeführt, die Hinweise dafür liefern, dass hohe Dosen Ecstasy zu dauerhaften Schäden an den so genannten serotonergen Nervenzellen führen können. Serotonin ist der Neurotransmitter. Es stellt sich daher die Frage, ob auch Menschen mit Hirnschäden zu rechnen haben, wenn sie Ecstasy konsumieren. Studien aus der Party-Szene haben gezeigt, dass Konsumierende ebenfalls teils hohe Dosen beim Feiern einnehmen.
Aus ethischen Gründen verbieten sich allerdings derartige Experimente an Menschen. Hinzukommt ein weiteres Problem, das scheinbar untrennbar mit dem Ecstasykonsum verbunden ist: der Mischkonsum.
Will man bei Konsumierenden die gesundheitlichen Folgen des Konsums auf die Substanz Ecstasy zurückführen, so müssen andere Substanzen, die ebenfalls neurotoxisch wirken könnten, ausgeschlossen werden. Doch das ist fast unmöglich. Der alleinige Konsum von Ecstasy ist die große Ausnahme und andere Drogen werden sehr häufig zusätzlich konsumiert. Zahlreiche Studien wurden bereits durchgeführt, von denen die meisten aber mit dem Makel behaftet sind, dass Personen einbezogen wurden, die Erfahrung mit mehreren Substanzen haben.
Harrison Pope und sein Team haben es sich dennoch zur Aufgabe gemacht, nur solche Personen in der Rave-Szene ausfindig zu machen, die zwar Erfahrung mit Ecstasy haben, aber so gut wie keine anderen Drogen konsumieren. Zum Vergleich wurden Kontrollpersonen gesucht, die noch nie Ecstasy konsumiert hatten, sich aber ebenfalls nächtelang auf Partys vergnügen.
Die Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten erwies sich offenkundig als eher schwierig. Von den rund 1.500 Personen, die sich auf Anzeigen in Clubs hin gemeldet hatten, verblieben aufgrund des strengen Rasters nur 111 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, 52 mit und 59 ohne Ecstasyerfahrung.
In insgesamt 15 psychologischen Tests mussten die Probandinnen und Probanden Hirnschmalz zeigen und ihre kognitive Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Das Ergebnis: Ecstasykonsumierende schnitten kaum schlechter ab, als abstinente Testpersonen. Auch in Tests zum verbalen Gedächtnis, die in früheren Studien meist signifikante Ergebnisse hervorgebracht haben, ließen sich keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Gruppen feststellen.
Ist der Konsum von Ecstasy also ungefährlich, zumindest für das Gehirn? Der Autor des Artikels im Guardian hat sich immerhin dazu hinreißen lassen, eben dies zu behaupten. Warum aber wurde in anderen Studien bislang das Gegenteil festgestellt?
Pope und sein Team argumentieren, dass in den anderen Studien methodisch unsauber gearbeitet worden sei. Die betrifft vor allem die Auswahl der Kontrollgruppe, also die Personen, die mit Ecstasykonsumierenden verglichen werden. Andere Forscherteams hätten quasi Äpfel mit Birnen verglichen, weil sie oftmals abstinente Vergleichspersonen einbezogen hätten, die nicht in Kontakt mit der Subkultur der Rave-Szene stehen. Ein Vergleich dieser Personen mit Ecstasykonsumierenden sei daher im Grunde nicht zulässig. Denn üblicherweise bringe das nächtelange Tanzen Schlafentzug und Dehydrierung, also eine zu geringe Flüssigkeitsaufnahme mit sich. Beides habe ebenfalls Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit.
Die offene Kritik an den bisherigen Studien hat umgehend zu einer Reaktion in der Forschergemeinde geführt. In derselben Ausgabe der Zeitschrift Addiction haben sich andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort gemeldet, die ihrerseits das methodische Vorgehen von Pope und seinem Team kritisieren.
Angesicht der verwendeten Tests sei es kein Wunder, dass keine signifikanten Ergebnisse erzielt wurden sind, merken beispielsweise John Fisk und sein Team an. Die von Pope verwendeten Tests seien ohnehin nicht in der Lage, leichte Defizite aufzudecken. Bislang spreche aber vieles dafür, dass die durch Ecstasy hervorgerufenen Einbußen eher im subklinischen Bereich liegen. Das bedeutet, dass die Einschränkungen noch im Bereich der normalen Unterschiede liegen, die man bei gesunden Menschen finden kann.
Auch die strenge Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie sei problematisch, weil hierdurch Personen mit besonders starkem Konsum systematisch ausgeschlossen worden seien. Die Konsumierenden in der Pope-Studie würden vielmehr ein vergleichsweise moderates Konsummuster aufweisen. Insofern könnten die Ergebnisse auch nicht auf alle Ecstasykonsumierenden verallgemeinert werden.
Alles in allem zielt die Kritik darauf ab, dass es vorschnell von Pope und seinem Team gewesen sei, Ecstasy eine Art Freifahrtschein zu erteilen. Denn dies werde von den Medien gerne aufgegriffen und in Aussagen wie „Ecstasy ist doch nicht schädlich“ teils verkürzt dargestellt, wie der Artikel im Guardian zeige.
Die vielen bisherigen Studien würden vielmehr aufzeigen, dass es zwar nur geringfügige Einschränkungen sind, besonders stark Konsumierende hätten aber durchaus mit bedeutsamen Defiziten zu rechnen, da vieles für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung spricht. Wer viele Pillen einwirft, hat mit stärkeren kognitiven Einschränkungen zu rechnen, als diejenigen, die nur ein paar Mal Ecstasy konsumieren.
Ob Ecstasy tatsächlich Ursache kognitiver Probleme ist, lässt sich genau genommen nur mit Studien untersuchen, die eine Gruppe von Personen über einen längeren Zeitraum beobachten. Denn Ecstasykonsumierende könnten ja schon vor der ersten Pille kognitive Probleme gehabt haben.
Um mehr Klarheit zu bekommen, hat ein Forschungsteam der Universität Köln eben dies getan. Sie rekrutierten 149 junge Erwachsene, die bislang nur minimale Erfahrung mit Ecstasy hatten und sonst keine weiteren Drogen außer Cannabis konsumiert haben. Die Idee dabei: Ein Teil der jungen Erwachsenen wird vermutlich stärker in den Ecstasykonsum einsteigen, ein anderer Teil nicht.
Und so kam es auch. Ein Jahr später hatten 43 Personen keine weiteren Drogen außer Cannabis konsumiert. 23 Personen hatten ihren Ecstasykonsum hingegen gesteigert, bei einem Durchschnittswert von 34 Pillen im Jahr. Das Forschungsteam wendete in der Nachuntersuchung die gleichen Leistungstests an wie ein Jahr zuvor.
Bei der Auswertung der Testergebnisse wurden eine Reihe von Faktoren mit einbezogen, die ebenfalls Einfluss auf die Hirnleistung haben kann wie beispielsweise Alter, Intelligenz, sportliche Betätigung, Ernährung oder Schlafgewohnheiten.
Sieben unterschiedliche Hirnleistungstests wurden angewendet. In einem der Tests zeigten sich signifikante Unterschiede. Dabei handelte es sich um einen Gedächtnistest, der mit Bildern arbeitet. Wer innerhalb eines Jahres mehr als 10 Ecstasypillen geschluckt hatte, erzielte hierbei schlechtere Werte als die Vergleichsgruppe, die kein Ecstasy mehr konsumiert hat.
Bei dem Test wurden Symbole eingeblendet, die von einem Rahmen umgeben waren. Nach einer kurzen Lernphase wurden nur die Symbole gezeigt und vier unterschiedliche Rahmen vorgegeben. Die Personen mussten angeben, in welchem das Symbol eingebettet war. Eigentlich eine simple Sache. Ecstasykonsumierende taten sich aber etwas schwerer als Nichtkonsumierende.
Nun könnte man einwenden, dass aber in den anderen sechs Tests keine signifikanten Ergebnisse erzielt worden sind. Nach Meinung des Autorenteams sei es jedoch bemerkenswert, dass sich überhaupt Unterschiede gezeigt haben, und das schon nach einem Jahr. Denn zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung waren alle auf vergleichbarem Leistungsniveau. Sie vermuten, dass Ecstasy die serotonergen Nervenzellen im Bereich des Hippocampus schädigt, da die Tests insbesondere diese Region beanspruchen.
In einer weiteren Studie konnten Daumann und sein Team diese Vermutung bestätigen. Im Abstand von einem Jahr wurden Ecstasykonsumierende mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) „durchleuchtet“. Mit diesem Verfahren kann dem Gehirn gewissermaßen beim Lernen zugeschaut werden. Ein Teil der Versuchspersonen ist nach einem Jahr aus dem Ecstasykonsum ausgestiegen, ein anderer hat weiter konsumiert. Von besonderem Interesse war, ob sich Unterschiede in der Hirnaktivität beider Gruppen zeigen.
Die MRT-Aufnahmen offenbarten tatsächlich signifikante Unterschiede zwischen den Personengruppen. Bei Personen, die weiter Ecstasy konsumierten, war der Hippocampus in der Nachuntersuchung weniger aktiv als zum ersten Messzeitpunkt. Bei abstinenten Personen hat die Aktivität im Bereich des Hippocampus im Vergleich zur Ersterhebung hingegen zugenommen.
In der Wissenschaft finden sich scheinbar widersprechende Ergebnisse zu der Frage, ob Ecstasy das Gehirn schädigt und zu kognitiven Einschränkungen führt. Keine Studie konnte bislang alle methodischen Probleme völlig ausräumen. In zwei Längsschnittstudien mit Ecstasykonsumierenden finden sich jedoch Hinweise darauf, dass der Konsum dieser Droge den Hippocampus schädigt und sich dies in einer verschlechterten Merkfähigkeit auswirkt.
Zwar seien die negativen Folgen eher moderat, allerdings deutet vieles auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung hin: Wer viel konsumiert, wird mit höherer Wahrscheinlichkeit Einschränkungen in der Merkfähigkeit bekommen. Dies macht sich auch durchaus im Alltag bemerkbar.
Und wer Mischkonsum betreibt, geht ohnehin höhere Risiken ein, da sich die Risiken der einzelnen Substanzen nicht einfach addieren, sondern es zu Wechselwirkungen kommt, die mitunter sogar tödlich enden.
Quellen:
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