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September 2020
Westafrika gilt als Transitzone für Kokain, bevor die Droge weiter nach Europa geschmuggelt wird. Nach Expertenmeinung hemmt der Kokainhandel in den westafrikanischen Ländern die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung dieser Region.
Bild: quickshooting / istockphoto.com
„Ich habe Angst. Angst um mein Leben.“ Achmed, der seinen echten Namen nicht nennen möchte, berichtet der Reporterin Bettina Rühl, wie er Mitglied einer islamistischen Terrorgruppe wurde. Sie unterhalten sich im Hof eines Hotels in der Stadt Gao in Mali. Achmed ist Malier aus dem Volk der Tuareg. Während des Gesprächs schaue er sich immer wieder um, weil der Eingang zum Hof in seinem Rücken liegt. Erst als er den Platz mit der Journalistin tauscht, beruhige er sich ein wenig.
Als sein Job als Fahrer einer Hilfsorganisation ausgelaufen sei, habe er eine neue Arbeitsstelle gesucht, erzählt Achmed. Sein Cousin, der Oberst bei der malischen Armee war, habe ihm dann eine neue Einnahmequelle verschafft. Er habe als Fahrer Waffen und Haschisch innerhalb von Mali transportiert. „Damit habe ich viel Geld verdient. Sehr viel Geld.“
Was er anfangs nicht wusste: Sein Cousin war Mitglied des Terrornetzwerks „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“, kurz AQIM. Inzwischen kenne er deren Machenschaften. Er war selbst Zeuge grausamer Verbrechen. Und er wisse, was sie vorhaben. Beinahe im Flüsterton erzählt er: „Sie wollen Mali zu einem islamistischen Staat machen, damit ihr Business endlos weitergeht. Sie verkaufen Schnee. Das ist ihr Geschäft: Kokain.“ Er selbst habe aber kein Kokain transportiert. Das habe sein Cousin immer selbst erledigt, weil er das Kokain niemanden anvertrauen wollte.
Kokain wird in Südamerika produziert. Auf seinem Weg nach Europa wird Kokain unter anderem in den Ländern Westafrikas gehandelt. Isabella Hermann erklärt in einem Artikel der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass Westafrika aufgrund seiner geographischen Lage zwischen den Produktionsstätten in Lateinamerika und den westeuropäischen Endmärkten der „ideale Handelsplatz“ für die Droge sei. „Wenn es den kolumbianischen Kartellen als Großhändlern glückt, das Kokain über den Südatlantik nach Westafrika zu schaffen, verkaufen sie an westafrikanische Händler. Die Kartelle aus Lateinamerika machen ihren Gewinn also unabhängig davon, ob das Kokain später Europa erreicht oder gar beschlagnahmt wird“, schreibt Hermann.
Der südafrikanische Kriminologe Mark Shaw beschäftigt sich seit Längerem mit den transnationalen Verwicklungen der organisierten Kriminalität. Im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, hat er eine Studie zu den illegalen Finanzströmen verfasst, die durch Drogenhandel in Westafrika erzeugt werden.
Der größte Profit werde nach Angaben von Shaw zwar in den Produktionsländern gemacht und dort, wo die Droge an Konsumierende verkauft wird. Westafrika sei als Transitzone aber nicht unerheblich am Geldfluss beteiligt. Seinen Angaben zufolge werden jährlich etwa 35 bis 40 Tonnen Kokain durch Westafrika geschleust. Dies sei zwar nur etwa 20 Prozent der Menge an Kokain, die für Europa gedacht sei, die daraus resultierenden Geldmengen würden dennoch Einfluss nehmen auf die Entwicklung der Region.
Der Umfang des Kokainhandels in Westafrika wird auf 2,1 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt, umgerechnet etwa 1,9 Milliarden Euro. Zusätzlich verdienen lokale Gruppen für den Schutz der Droge weitere 40 Millionen US-Dollar jährlich. Das Kokain gelangt meist per Boot oder mit dem Flugzeug ins Land. Drogenhändler schmuggeln das Kokain weiter nach Europa.
Ein spektakulärer Fall hat sich in diesem Zusammenhang im Jahr 2009 ereignet. In der Nähe von Gao in Mali wurde mitten in der Wüste das ausgebrannte Wrack einer Boeing 727 gefunden, die als „Air Cocaine“ bezeichnet wurde. Schätzungen zufolge soll die Maschine zwischen 7 und 11 Tonnen Kokain transportiert haben. Ob das Flugzeug bei der Landung Feuer gefangen hat oder nach dem Entladen vorsätzlich in Brand gesetzt wurde, ist nicht bekannt.
Wie das Kokain seinen Weg nach Europa findet sei nach Einschätzung von Shaw nicht gänzlich aufzuklären. Der größte Anteil würde vermutlich in Containern per Schiff nach Europa transportiert. Ein weiterer Teil werde auf Kuriere verteilt, die mit dem Flugzeug in Europa einreisen. Eine dritte Methode sei der Überlandtransport durch die Sahel-Zone. Aufgrund der instabilen Lage in Libyen und dem Anti-Terror-Einsatz der französischen Armee in der Region würde diese Route aktuell aber weniger genutzt.
Die Einnahmen aus dem Drogenhandel würden sich in der Region auf vergleichsweise wenige Personen verteilen. Teilweise würden diese Personen das Geld dazu benutzen, ihre Position im politischen System zu festigen. Shaw nennt das Beispiel eines Mitglieds des Parlaments in Ghana. Der Abgeordnete sei in den USA wegen Drogenhandels verhaftet worden. In seinem Wahlbezirk habe er sich als großzügig gezeigt, indem er Traktoren für Farmer gekauft und kleine Geldbeträge verteilt habe. Auch nach seiner Verurteilung sei er weiterhin beliebt in der Bevölkerung.
Mark Shaw habe mit eigenen Augen gesehen, welch luxuriösen Lebensstil sich Angehörige des Militärs und politisch Verantwortliche mit dem Drogengeld leisten. Nach der Einschätzung von Shaw würde das Drogengeld die regionale Wirtschaft künstlich aufblähen und die Ungleichheit bei den Einkommen verstärken. Der Drogenhandel und die Korruption würden zudem die legale Wirtschaft belasten, die so wichtig sei für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. „Die weit verbreitete Korruption und die Beteiligung hochrangiger Staatsbeamter, die als immun gegen kriminelle Handlungen angesehen werden, sind äußerst schädlich für die Struktur des Staates und die Rechtsstaatlichkeit“, erklärt Shaw.
Neben den negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Westafrikas gehe der Drogenhandel zudem eine „unheilvolle Allianz“ mit dem Terrorismus ein, wie Isabella Hermann es nennt. Ihrer Analyse zufolge sei der Drogenhandel zwar nicht die Haupteinnahmequelle islamistischer Netzwerke in der Region, aber eine wichtige. Mit dem Geld seien die Islamisten in der Lage, den Menschen Arbeit zu geben. So wie Achmed, der unwissentlich zum Helfer der AQIM wurde.
Islamistische Gruppierungen wie AQIM füllen nach Einschätzung der Journalistin Bettina Rühl das „Vakuum“, das die schwachen Regierungen hinterlassen. Korruption und Komplizenschaft der staatlich Verantwortlichen würden den Mitgliedern der Terrorgruppen in die Hände spielen, oder wie Achmed es sagt: „Wenn es Arbeit gäbe und die Leute etwas verdienen würden, könnte sich etwas ändern. Aber solange es keine Arbeit gibt, haben wir keine Chance, da wieder rauszukommen. Das liegt am Geld. Wenn du mir Säcke voller Geld gibst, kannst du mich benutzen und manipulieren wie du willst. Das ist das Geheimnis von Al-Qaida.“
Ein Teil des Kokains, das in Lateinamerika produziert wird, gelangt über Westafrika nach Europa. Dadurch wird auch ein Teil des immensen Geldstroms, der aus dem Handel mit Kokain hervorgeht, nach Westafrika gelenkt. Nach Einschätzung von Expertinnen und Experten fördert das Drogengeld die Korruption und hemmt so eine gesunde wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in der Region. Zudem dient der Drogenhandel als Geldquelle für terroristische Netzwerke, die somit attraktiv werden für die arbeitslose Bevölkerung.
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