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Kiffen und die Folgen im Alltag

Mai 2012

Wo habe ich den Stift nur hingelegt? Im Alltag passieren uns mehr oder weniger häufig kleine Fehlleistungen. Wir finden Dinge nicht wieder, die wir eben noch in der Hand hatten, übersehen Verkehrsschilder, rempeln unbeabsichtigt andere Personen an oder vergessen eine Verabredung. Kleine Aufmerksamkeitsstörungen und Fehlleistungen sind durchaus normal, die Häufigkeit, mit der im Alltag etwas danebengeht, gibt allerdings auch Aufschluss über die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns. Der dauerhafte Konsum von Cannabis und vor allem der frühe Einstieg in das regelmäßige Kiffen haben hierauf einen bedeutsamen Einfluss.

Junger Mann zündet sich einen Joint mit einem Feuerzeug an

Bild: DerMicha / Digitalstock.de

Beginnen wir mit Ecstasy. Warum? 2007 haben Catherine Montgomery und John Fisk eine Studie veröffentlicht, in der sie die Auswirkungen des Ecstasykonsums auf den Alltag untersuchten und zu einem unerwarteten Ergebnis kamen. Ecstasykonsumierende gaben in einer Studie häufiger Fehlleistungen im Alltag zu als Personen, die noch nie Ecstasy konsumiert hatten. Die Selbstangaben wurden zudem bestätigt durch deren Freundinnen und Freunde. Doch es gab einen Haken: Alle Personen der Ecstasygruppe konsumierten auch andere Drogen.

Eine vertiefende Analyse über den Einfluss einzelner Substanzen hat schließlich ergeben, dass nicht Ecstasy, sondern Cannabis den stärksten Effekt hat. Je mehr gekifft wurde, desto mehr Fehlleistungen machten sich im Alltag bemerkbar. Das britische Forschungsteam gab aber zu bedenken, dass der Cannabiskonsum bei den befragten Probanden besonders stark ausgeprägt war.

Kiffern verzetteln sich eher

Um sich nicht auf Selbstangaben oder den Aussagen von Freundinnen und Freunden zu stützen, haben Montgomery und Fisk eine weitere Studie durchgeführt, in der die Testpersonen sich in einem virtuellen Büro bewähren mussten. Die etwa 40-minütige Aufgabe erforderte verschiedene kognitive Fähigkeiten wie Aufgaben zu planen, Prioritäten zu setzen oder bei unerwarteten Ereignissen rasch und flexibel zu reagieren. Zwanzig Cannabiskonsumierende im Alter zwischen 18 und 25 Jahren haben an der Studie teilgenommen. Um die Ergebnisse nicht durch akute Wirkungen zu verfälschen, mussten die Testpersonen an mindestens fünf Tagen vor der Untersuchung abstinent gewesen sein. Zum Vergleich wurden zusätzlich 20 altersgleiche Personen eingeladen, die noch nie illegale Drogen konsumiert haben.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Cannabiskonsumierende verzettelten sich eher bei der Koordination verschiedener Aufgaben und vergaßen häufiger, geplante Dinge zu erledigen. Letzteres wird als prospektives Gedächtnis bezeichnet. Konkret kann das so alltägliche Dinge betreffen wie zum Beispiel, sich daran zu erinnern, einen Brief einzuwerfen, wenn man an einem Briefkasten vorbeikommt, einen Freund zu einer verabredeten Zeit zu treffen oder ein Buch bis zu einem bestimmten Datum zur Bibliothek zurück zu bringen. Studienleiterin Montgomery und ihr Team gehen daher davon aus, dass sich kognitive Defizite bei Cannabiskonsumierenden auch im richtigen Leben bemerkbar machen.

Überforderung durch Multitasking

Darauf weisen auch die Ergebnisse einer Untersuchung hin, in denen die Probandinnen und Probanden besonders anstrengende geistige Aufgaben zu erfüllen hatten. In der vom britischen Forscher Mark Wetherell geleiteten Studie ging es jedoch nicht um die tatsächlich erreichten Leistungswerte. Die Testpersonen mussten mehrere Aufgaben gleichzeitig ausführen. Diese erforderten verschiedene kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Auge-Hand-Koordination oder Kopfrechnen. Das Forschungsteam untersuchte, wie die Testpersonen mit dem Multitasking umgingen und wie sehr es sie stresste. Wetherell und sein Team gehen davon aus, dass Menschen auch im realen Leben häufig damit konfrontiert würden, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.

Wie sich zeigte, konnten Cannabiskonsumierende deutlich schlechter mit Aufgaben umgehen, die Multitasking erforderten, als abstinente Testpersonen. Sie waren stärker gestresst und fühlten sich durch die anstrengenden Aufgaben eher überfordert als die Kontrollpersonen. Das bedeutet: Bei einfachen Aufgaben machen sich Cannabis-bedingte kognitive Defizite womöglich kaum bemerkbar. Sobald es anstrengend wird geraten Cannabiskonsumierende jedoch schneller unter Stress. Dies mindert nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch das Wohlbefinden.

Leichte Einbußen beim Erinnerungsvermögen

Bleibt die Frage, ob Cannabis tatsächlich das Hirn schädigt, also neurotoxisch wirkt. Die Studienlage hierzu ist jedoch nicht eindeutig. Während beispielsweise keine Zweifel daran bestehen, dass chronischer Alkoholkonsum das Gehirn massiv schädigen kann, sieht die Lage für dauerhaften Cannabiskonsum anders aus.

In einer 2001 veröffentlichten Untersuchung konnten Harrison Pope und sein Team zeigen, dass sich die kognitiven Leistungen auch nach jahrelangem Kiffen spätestens nach einem Monat Abstinenz wieder auf einem normalen Niveau bewegen. In einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2003 kommt ein Forschungsteam ebenfalls zu dem Schluss, dass sich kaum Hinweise auf dauerhafte Beeinträchtigungen der Hirnleistungen zeigen, wenn Konsumierende dem Joint nur lang genug abschwören. Offenbar werden keine unwiderruflichen Nervenschäden durch das Kiffen verursacht, wohl aber leichte Einbußen der Merkfähigkeit. Kiffer werden also nicht unbedingt dümmer. Die ständige Überflutung mit THC, dem Hauptwirkstoff von Cannabis wirkt vielmehr wie eine Handbremse, die man vor dem Anfahren vergessen hat zu lösen. Das Auto fährt zwar, aber langsam. Wer aufhört zu kiffen, wird eine Weile brauchen, bis der Denkapparat wieder rund läuft.

Früher Einstieg mindert Hirnleistung

Anders sieht die Lage aus, wenn der Einstieg in das Kiffen schon früh erfolgt ist. Als früher Einstieg wird in der Forschung meist das Kiffen vor dem Alter von 16 Jahren definiert. Eine Vielzahl an Studien weist inzwischen darauf hin, dass der frühe Einstieg in das Kiffen dauerhafte Hirnveränderungen nach sich ziehen kann. Das jugendliche Gehirn befindet sich in einer wichtigen Umbruchphase. Häufiges Kiffen flutet das Gehirn mit THC, während es gerade entscheidende Reifungsprozesse vollzieht. Studien konnten zeigen, dass hierdurch bestimmte kognitive Leistungen beeinträchtigt werden, auch wenn die Personen schon länger abstinent sind.

Eine australische Arbeitsgruppe um die Forscherin Nadia Solowij hat sich auf die Effekte des frühen Einstiegs in den Cannabiskonsum konzentriert. In einer Studie mit jungen Cannabiskonsumierenden im Alter zwischen 16 und 20 Jahren stellten sie fest, dass ihre verbale Lernfähigkeit im Vergleich zu abstinenten Gleichaltrigen schon deutlich eingeschränkt ist. Bereits nach durchschnittlich 2,4 Jahren Konsumerfahrung würden sich Defizite bei ihnen zeigen wie sie bei erwachsenen Kiffern erst nach langjährigem Konsum auftreten.

Kiffen verhindert schnelles gedankliches Umschalten

Die Folgen des frühen Kiffens machen sich nicht nur in der Lernfähigkeit bemerkbar, sondern auch in der so genannten kognitiven Flexibilität. Damit ist die Fähigkeit gemeint, gedanklich schnell umschalten zu können, wenn es die Situation erfordert. Die US-amerikanische Forscherin Ann Gruber hat die kognitive Flexibilität mit Hilfe des Wisconsin Card Sorting Test untersucht.

Bei dem Test werden der Untersuchungsperson vier Karten mit verschiedenen Symbolen vorgelegt. Die Symbole können sich in Form, Farbe und Anzahl unterscheiden. Die Testperson soll nun eine fünfte Karte einer der vier Karten zuordnen und bekommt eine Rückmeldung, ob die Zuordnung richtig oder falsch war (Beispielbild). Dabei gilt es, in aufeinanderfolgenden Durchläufen das richtige Zuordnungskriterium herauszufinden. Nach zehn Durchläufen wird das Kriterium geändert, ohne dass dies der Testperson mitgeteilt wird. Wie schnell die Person diese Regeländerung durchschaut, gibt Hinweise auf die kognitive Flexibilität.

35 Cannabiskonsumierende und 29 vergleichbare, aber drogenabstinente Testpersonen hatten an der Studie teilgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass besonders jene Kiffer, die vor dem 16. Lebensjahr in den Cannabiskonsum eingestiegen waren, schlechter abschneiden als ihre abstinenten Altersgenossen. Die Fehlerquote stieg mit der Menge an konsumiertem Cannabis. „Dies sollte uns zu denken geben“, sagte Ann Gruber in einem Interview mit der Fachzeitschrift Neurology Today. Auch wenn der Test eine künstliche Situation herstelle, würden die gestellten Aufgaben durchaus auch im Alltag gefordert. Dazu gehört beispielsweise die Fähigkeit, Veränderungen in der Lebensumwelt zu erkennen und sein Verhalten entsprechend anzupassen.

Fazit

Kiffen hat vermutlich keine neurotoxischen Auswirkungen, doch der frühe Einstieg in den Cannabiskonsum kann Hirnveränderungen nach sich ziehen, mit nachhaltigen Folgen für die kognitive Leistungsfähigkeit. Dies kann durchaus Folgen für den Alltag haben, besonders wenn Konzentration und die Fähigkeit zum Multitasking gefordert sind. Dann sind Kiffer womöglich stärker gestresst, weil sie schneller den Überblick verlieren.

Quellen:


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