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April 2020
Das neuartige Coronavirus ändert vieles. Kein Handschlag mehr. Keine Umarmungen. Soziale Distanz ist angesagt. Und zu Hause bleiben. Kiffen mag in dieser Situation für manche Menschen besonders reizvoll sein. Doch die aktuellen Herausforderungen lassen sich auch als Chance nutzen, geliebte Gewohnheiten zu hinterfragen.
Bild: portishead1 / istockphoto.com
#WirBleibenZuhause ist das Gebot der Stunde. Mit der Aktion des Bundesministeriums für Gesundheit werden wir alle aufgefordert, möglichst in den eigenen vier Wänden zu bleiben und Abstand zueinander zu halten. Es geht darum, sich selbst und vor allem andere Menschen zu schützen, die gesundheitlich vorbelastet sind.
Kiffen könnte in dieser Situation für manche Menschen ein willkommener Zeitvertreib sein. „Natürlich wäre es in der momentanen Situation schon angenehm, den ganzen Tag zu kiffen. Ich könnte grade ohne Konsequenzen nur rumliegen und Netflix schauen. Das ist schon verdammt verführerisch. Wenn man kifft, fällt einem das Nichtstun unfassbar leicht“, hat Mia in einer Kolumne im Magazin jetzt geschrieben.
Doch gerade jetzt ist Kiffen vermutlich keine gute Idee. Wir kennen bislang zwar keine Studie, die den möglichen Einfluss des Kiffens auf eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus untersucht hat, jedoch gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Rauch jedweder Art der Lungengesundheit nicht zuträglich ist.
So zählen Raucherinnen und Raucher zu den Risikogruppen, die vergleichsweise häufig von einem schweren Verlauf der Erkrankung betroffen sind. Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, warnt davor, dass Rauchen die Gefahr erhöht, an COVID-19 zu erkranken. COVID-19 heißt die Erkrankung, die das neuartige Coronavirus auslöst. Der Begriff ist eine Abkürzung aus dem Englischen: Corona Virus Disease 2019.
Raucherinnen und Rauchern sind besonders gefährdet, weil ihr Immunsystem nicht mehr angemessen reagiert. Unter anderem schwächt eingeatmeter Rauch die Selbstheilungskräfte der Atemwege. Normalerweise sorgt eine spezielle Schleimhaut, die als Flimmerepithel bezeichnet wird, für die Entsorgung eingeatmeter Fremdstoffe aus den Atemwegen. Feine Flimmerhärchen in der Schleimhaut bewegen sich wellenartig nach oben in Richtung des Rachens. Dadurch werden kleine Teilchen wie Staubpartikel oder Krankheitserreger Stück für Stück aus den Atemwegen heraustransportiert, bis sie in den Magen heruntergeschluckt werden können. Rauch oder der Dampf aus E-Zigaretten, schwächt die Beweglichkeit der Flimmerhärchen. Der Abtransport von Viren und Bakterien ist gestört. Dadurch erhöht sich das Risiko einer Lungenerkrankung.
Ob Cannabiskonsum unabhängig vom Tabakrauchen eine Lungenerkrankung auslösen kann, das ist in der Forschung noch nicht vollständig geklärt. Dafür spricht, dass ein Joint drei- bis fünfmal mehr Teer enthält als eine Zigarette. Einer Studie zufolge steht Kiffen auch in Zusammenhang mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Asthma, chronische Bronchitis und Lungenentzündung. Personen, die regelmäßig Cannabis rauchen, müssen somit davon ausgehen, dass sie ein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen wie COVID-19 haben.
Die Corona-Krise bereitet manchen Cannabiskonsumierenden noch eine ganz andere Sorge: Wie komme ich an Nachschub? Der Ausgang ist eingeschränkt. Grenzkontrollen werden verschärft. Die Kolumnistin Mia hat den Eindruck, dass „seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen vermehrt herumgefragt wird, wer noch Gras übrig hat.“ Sie selbst habe vorgesorgt, aber: „Wenn ich jetzt wirklich gar nichts mehr daheim hätte, dann würde ich ziemlich sicher gerade ausrasten. Allein bei dem Gedanken, dass es Lieferengpässe bei meinem Dealer geben könnte.“
Gleichzeitig komme ihr aber auch der Gedanke: „Vielleicht ist die Coronakrise ja meine Chance, weniger zu kiffen?“ Daher nimmt sie die aktuelle Situation als „Challenge“ an, möglichst ohne Gras auszukommen. Schließlich würden andere Menschen in der gleichen Situation auch ohne Kiffen klarkommen.
In der Corona-Krise bewusst auf das Kiffen zu verzichten, kann eine durchaus anspruchsvolle Herausforderung sein. Wer wie Mia schon bei der Vorstellung, das Gras könnte ausgehen, Anflüge von Panik erlebt, ist jedoch ohnehin gut beraten, das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen. Tut mir das Kiffen eigentlich noch gut? Verläuft mein Leben so wie ich es mir vorstelle?
Wenn das Kiffen bereits auf Kosten anderer wichtiger Dinge geht und große Bereiche des Alltags dominiert, dann könnte jetzt der Moment sein, das eigene Leben in neue Bahnen zu lenken. Der aktuell erzwungene Rückzug und die damit verbundene freie Zeit bieten einerseits die Chance, in Ruhe über den Konsum zu reflektieren. Andererseits ist gerade unter Kiffern die Gefahr groß, sich hängen zu lassen und eben doch in der eigenen Komfort-Zone zu bleiben.
Der Verzicht auf eine liebgewordene Beschäftigung sollte daher strategisch angegangen werden. Wer jetzt viel freie Zeit hat, sollte am besten einen festen Tagesablauf planen und diesen auch einhalten. Feste Strukturen helfen gegen Chaos und zähmen den inneren Schweinehund, der gerne den Weg des geringsten Widerstands geht. Zu einem Tagesplan zählen zum Beispiel feste Zeiten fürs Essen, Schlafen, Arbeiten oder Lernen. Wenn das Kiffen bisher viel Zeit beansprucht hat, sollte diese nun mit alternativen Aktivitäten gefüllt werden.
Streamingdienste und andere mediale Unterhaltung mögen verführerisch erscheinen. Jedoch sollte auch für den Medienkonsum ein klar definierter zeitlicher Rahmen abgesteckt werden. Ganz wichtig ist es in dieser Situation, trotz oder wegen der erzwungenen Kontaktbeschränkungen soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten, beispielsweise über das Telefon oder per Videotelefonie. Und nicht zu vergessen: Sport hilft, um sich abzulenken und Entzugserscheinungen zu lindern. So lange Ausgangsbeschränkungen gelten, gibt es sicherlich Einschränkungen bei der Wahl der sportlichen Betätigung. Aber es gibt genügend Möglichkeiten, sich in den eigenen vier Wänden zu bewegen. Videos im Internet liefern eine Vielzahl von Anregungen.
Vermutlich wird der Verzicht auf das Kiffen auch mit Zweifeln und Rückschritten verbunden sein. Wir haben zu der Frage „Wie höre ich mit dem Kiffen auf?“ daher ein kurzes Video mit Tipps produziert. Ein wichtiger Tipp ist: Hole dir Unterstützung. Das kann eine Freundin oder ein Freund sein. Erzähle was du vorhast. Alternativ oder auch zusätzlich kannst du die Hilfe von Quit the Shit nutzen. Dabei handelt es sich um ein Beratungsprogramm speziell für Cannabiskonsumierende. Quit the Shit ist kostenlos, die Teilnahme ist anonym.
Quellen:
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