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Oktober 2006
Es ist eng, die Menschen drücken sich aneinander vorbei, die Luft ist zum Schneiden, reicht kaum zum Atmen. Was wie die Beschreibung eines schlecht belüfteten Szeneclubs irgendwo in der Mitte Berlins klingt, ist in Wirklichkeit tagtägliche Realität in dem Bordbistro eines ICE-Zugs. Schon ein kurzer Aufenthalt darin und die Kleidung riecht, als wenn ihr Träger einen verrauchten Kneipenabend hinter sich hat. Gesund sein kann das nicht, denkt sich der Bahnkunde und beißt lieber in seine mitgebrachte Stulle vom Bahnhofsimbiss.
Dieser subjektive Eindruck trügt nicht. Er wurde kürzlich sogar wissenschaftlich untermauert. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (dkfz) hat deutschlandweit Messungen in Gastronomien, Diskotheken und Fernreisezügen durchgeführt. Gemessen wurde der Anteil so genannter lungengängiger Partikel in einer Größe bis 2,5 Mikrometer (ein Tausendstel Millimeter). Diese Partikel sind besonders gefährlich, da sie aufgrund ihrer geringen Größe tief in die Lunge eindringen und dort verbleiben.
Besonders hoch belastet sind Diskotheken und Bars. Beinahe ebenso dicke Luft findet sich in Zugbistros gefolgt von Restaurants, in denen geraucht werden darf. „Die Gesundheitsbelastung in der deutschen Gastronomie und in Fernreisezügen ist derart gravierend, dass Mitarbeiter und Gäste eigentlich Schutzmasken mit Luftfilter tragen müssten“, fasst Dr. Martina Pötschke-Langer vom dkfz die Ergebnisse zusammen.
Zwar werden häufig Nichtraucherzonen in Restaurants ausgewiesen, aber Messungen des dkfz zufolge schützen Nichtraucherzonen kaum vor Passivrauch. Selbst Belüftungssysteme reichen nicht aus, um die gefährlichen Mikro-Partikel in ausreichendem Maße aus der Atemluft zu vertreiben, sodass eine Gefährdung durch Passivrauchen auszuschließen ist. „Bei fortgesetzter Rauchbelastung, wie sie beispielsweise in Gaststätten und Restaurants üblich ist, führt nicht einmal ein Luftaustausch mit Windstärken eines Tornados zu einer vollständigen Elimination der Schadstoffe des Tabakrauchs“, heißt es in dem Bericht des dkfz. Besonders wenn Raucher- und Nichtraucherzonen eng beieinander liegen, ist ein effektiver Schutz vor Passivrauchen kaum zu gewährleisten. Nichtraucherabteile, die in Zügen an Rauchzonen grenzen, müssten umbenannt werden in „Passivrauchabteile“, urteilt das dkfz.
„Die Gefährdung durch Passivrauchen ist wissenschaftlich gut belegt“, sagt Prof. Dr. Otmar D. Wiestler, Vorstandsvorsitzender des dkfz. Passivrauch enthält giftige Substanzen wie Blausäure, Ammoniak und Kohlenmonoxid, aber auch eine Vielzahl krebserregender Stoffe. „Für die im Passivrauch enthaltenen krebserregenden Substanzen können keine Dosis-Schwellenwerte festgestellt werden, unterhalb derer keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten wäre. Auch kleinste Belastungen können zur Entwicklung von Tumoren beitragen“, hat Pötschke-Langer anlässlich einer im Dezember 2005 vorgestellten Studie zum Passivrauchen zusammengefasst. Das dkfz fordert daher den Gesetzgeber auf, Maßnahmen zu ergreifen, um das Personal und die Gäste in der Gastronomie und in Zügen besser vor Passivrauch zu schützen.
Die Bahn hat inzwischen eingelenkt und will das Rauchen in allen 380 Bordbistros der Fernzüge ab 1. Oktober verbieten. Die Abschaffung der Raucherabteile ist allerdings nicht geplant.
Quellen:
Bericht des dkfz (pdf 847 kB)
Pressemitteilung des dkfz
Pressemitteilung der Deutschen Bahn
News vom 16.012.2005 - Passivrauchen viel gefährlicher als angenommen
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