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Februar 2017
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge - sagt die Forschung. Aber was genau bedeutet das? Greift womöglich eine Mehrheit zum Joint? Tatsächlich liegen die meisten jungen Menschen weit daneben, wenn sie den Cannabiskonsum Gleichaltriger einschätzen sollen. Fehleinschätzungen haben allerdings Auswirkungen auf den eigenen Konsum.
Bild: Jul B. / photocase.de
Schlagzeilen wie „Kiffen wird immer beliebter“ oder „Deutschland wird zur Kiffer-Republik“ können den Eindruck vermitteln, als wenn eine Mehrheit der Bevölkerung inzwischen zum Joint greift. Ist Kiffen tatsächlich zur Normalität geworden? Sind Nicht-Kiffer gar in der Minderheit?
Um es gleich klar zu stellen: Laut den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung hat nur etwa jeder dritte junge Erwachsene überhaupt schon einmal in seinem Leben Cannabis konsumiert. Bei den Jugendlichen ist es sogar nur etwa jeder zehnte. Die meisten jungen Menschen belassen es auch beim Probieren, was sich an den Zahlen zum aktuellen Konsum ablesen lässt: Nur 6 Prozent der 18- bis 25-Jährigen hat in den letzten 30 Tagen mal an einem Joint gezogen. Selbst wenn nicht jeder Befragte in der Studie die Wahrheit gesagt haben sollte, so dürfte klar sein, dass unter jungen Menschen in Wirklichkeit nur eine eher kleine Minderheit hin und wieder kifft.
Dennoch glauben viele junge Erwachsene, dass die meisten Personen ihres Alters häufiger kiffen als sie selbst. Verschiedene Studien, viele davon aus den USA, haben dieses Phänomen unter den so genannten Peers nachweisen können. Als Peers werden in der Forschung Gleichaltrige oder vergleichbare Personen bezeichnet.
Fehleinschätzungen, was das Verhalten anderer Menschen betrifft, können jedoch Auswirkungen auf den eigenen Konsum haben. Bereits in den 1980er Jahren haben die beiden Wissenschaftler Wesley Perkins und Alan Berkowitz die Konsequenzen von Fehleinschätzungen auf den Substanzkonsum untersucht.
Vor allem der Alkoholkonsum junger Erwachsener ist gut beforscht. Studien konnten nachweisen, dass Studentinnen und Studenten den Alkoholkonsum ihrer Mitstudierenden meist überschätzen. Die Überschätzung des Alkoholkonsums führt jedoch dazu, dass Personen mit gemäßigtem Trinkverhalten dazu tendieren, tiefer ins Glas schauen, um sich der vermeintlichen sozialen Norm anzupassen. Studierende mit starkem Alkoholkonsum neigen hingegen dazu, ihr eigenes Trinkverhalten als normal zu verteidigen, weil ihrer Wahrnehmung nach andere ebenso viel trinken würden wie sie selbst.
Beides, die fehlerhafte Wahrnehmung der gemäßigt trinkenden Mehrheit und die falsche Einschätzung einer stark trinkenden Minderheit, haben schließlich einen sich gegenseitig verstärkenden Effekt zur Folge. Alan Berkowitz erklärt es so: „Die Mehrheit ist still, weil sie glaubt in der Minderheit zu sein und die Minderheit ist laut, weil sie glaubt, sie würde die Mehrheit repräsentieren“.
Das heißt, einige wenige stark Trinkende geben den Ton an und vermitteln einer Mehrheit gemäßigt Trinkender, in der Minderheit zu sein. Studierende mit moderatem Alkoholkonsum fühlen sich dadurch unter Druck, sich der wahrgenommenen sozialen Norm anzupassen. Die Folge ist: Sie trinken mehr. Dadurch fühlen sich die ohnehin stark Trinkenden in ihrem Verhalten bestärkt. Oder um es mit Berkowitz zu sagen: „Wenn Fehleinschätzungen als real definiert oder als real wahrgenommen werden, haben sie reale Konsequenzen.“
Bislang wurden die Effekte der wahrgenommenen sozialen Norm vor allem in den USA am Beispiel des Alkoholkonsums erforscht. In einer kürzlich veröffentlichten Befragung von Studierenden wurde das Phänomen auch in Europa und für den Konsum von Cannabis nachgewiesen.
Studienleiter Robert Dempsey und sein Team haben über 4.000 Studierende in Belgien, Dänemark, Deutschland, der Slowakei, Spanien, der Türkei und dem Vereinigtem Königreich zu ihrem Konsumverhalten und ihren Einstellungen befragt und sie gebeten, den Konsum und die Ansichten anderer Studentinnen und Studenten einzuschätzen.
„Das zentrale Ergebnis unserer Studie war, dass Fehleinschätzungen des Cannabiskonsums auch in Europa unter Studierenden existieren. Studierende schätzen den Cannabiskonsum ihrer Peers zum großen Teil höher ein als ihren eigenen Cannabiskonsum“, erläutert Mitautorin Stefanie Helmer. Laut der Befragung hatten 70 Prozent der Studierenden noch nie Cannabis konsumiert. Lediglich 8 Prozent der Studierenden hatten in den letzten zwei Monaten gekifft. Gleichzeitig ging jedoch eine Mehrheit von 52 Prozent davon aus, dass die meisten ihrer Mitstudierenden in dieser Zeit gekifft haben.
Auch in Deutschland zeigte sich ein Missverhältnis zwischen der Wahrnehmung und der Realität. 25 Prozent der im Schnitt 24-jährigen Studentinnen und Studenten hatten in den letzten zwei Monaten vor der Befragung Cannabis konsumiert. 94 Prozent der Befragten gingen aber davon aus, dass die Mehrheit der Mitstudierenden kifft.
Fehleinschätzungen wurden nicht nur für den Konsum gefunden. Auch die Einstellungen der Studierenden, was den Konsum betrifft, wurden als liberaler eingeschätzt als sie eigentlich sind: Obwohl an den europäischen Universitäten nur eine Minderheit von knapp einem Drittel der befragten Studierenden den Konsum von Cannabis persönlich akzeptiert, gehen zwei Drittel der Studierenden davon aus, dass die Mehrheit ihrer Peers das Kiffen in Ordnung findet.
Problematisch können diese Fehleinschätzungen deshalb sein, weil die wahrgenommenen sozialen Normen das eigene Verhalten beeinflussen wie am Beispiel von Alkohol gezeigt werden konnte. Wer fälschlicherweise davon ausgeht, dass die Mehrheit der Gleichaltrigen häufig Cannabis konsumiert oder dies für akzeptabel hält, könnte mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst zum Joint greifen, um der vermeintlichen Norm zu entsprechen.
Tatsächlich wurde in der Studie ein Zusammenhang zwischen der Einschätzung des Konsums anderer und dem eigenen Konsumverhalten gefunden. Wer glaubte, dass die Mehrheit der Studierenden kifft, konsumierte mit einer höheren Wahrscheinlichkeit selbst. Und der Glaube daran, dass andere eine liberale Haltung zum Kiffen vertreten, steht ebenfalls mit dem Kiffen in Zusammenhang.
Derartige Fehleinschätzungen fand das Forschungsteam nicht nur für Cannabiskonsum, sondern für alle abgefragten Drogen, darunter Alkohol, Tabak und andere illegale Drogen wie Halluzinogene oder Ecstasy.
Die Verbreitung und auch die Akzeptanz des Konsums von Cannabis und anderer Drogen werden häufig überschätzt. Dies betrifft sowohl Konsumierende wie auch Nicht-Konsumierende. Problematisch ist, dass falsche Einschätzungen unter Umständen den Konsum verstärken können.
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