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November 2018
Kiffen kann Angst auslösen, manchmal sogar Panik. In der Regel normalisiert sich die Stimmung wieder mit dem Nachlassen der Wirkung. Zuweilen bleibt die Grundstimmung jedoch getrübt. Oder psychotische Symptome belasten die Betroffenen noch weit über den Konsum hinaus. Könnte Kiffen womöglich die Ursache für psychische Erkrankungen sein?
Bild: birdys / photocase.de
„Ich war immer ein stabiler und glücklicher Mensch und habe niemals psychische Probleme gehabt“, erläutert Oliver im drugcom-Video. „Ich habe das erste Mal gekifft auf einer Jugendreise, das war ein ganz wahnsinniger Trip für mich.“ Danach fing er an, regelmäßig Cannabis zu konsumieren. Doch ganz langsam veränderte er sich: Er fühlte sich immer häufiger beobachtet und war sich sicher, das andere ihm Böses wollen. Irgendwann kamen Stimmen dazu, die nur er hören konnte. Es gipfelte darin, dass er überzeugt war, der wiedergeborene Jesus zu sein, der gekommen war, um die Welt zu retten. Oliver war an einer akuten Psychose erkrankt. Erst nach einer längeren Behandlung in einer psychiatrischen Klinik konnte er wieder klare Gedanken fassen. „Ich bin mir jetzt im Nachhinein ganz sicher, dass das Cannabis meine Probleme ausgelöst hat.“
Die Gefühle und die Gedanken können durch Cannabis ordentlich durcheinandergebracht werden. Das Wirkspektrum des Cannabisrauschs kann durch Symptome geprägt sein, die auch bei psychischen Erkrankungen auftreten, darunter Angst, Panikgefühle, depressive Verstimmungen und Verwirrtheit. Tatsächlich weisen Studien auf einen Zusammenhang hin zwischen häufigem Cannabiskonsum und psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen.
In den USA litten im Jahr 2016 rund 13 Prozent der Jugendlichen unter einer depressiven Erkrankung. Davon hatte annähernd jeder vierte Jugendliche bereits Cannabis geraucht. Verglichen mit gesunden Jugendlichen war der Cannabiskonsum unter den psychisch Erkrankten damit doppelt so häufig verbreitet.
Die Forscherin Eva Hoch und ihr Team haben kürzlich mehr als 2.000 Studien zu den Potentialen und Risiken von Cannabis gesichtet haben. Im Ergebnis bewertet das Forschungsteam Cannabis ebenfalls als einen Risikofaktor für psychische Erkrankungen. Je nach Intensität des Konsums erhöhe sich das Risiko für Depressionen und Angststörungen um den Faktor 1,3 bis 1,7. Wer früh mit dem Kiffen anfängt und häufig konsumiert, habe ein noch höheres Risiko. Das Risiko an einer Schizophrenie zu erkranken, steige bei intensivem Konsum sogar um das Zwei- bis Dreifache.
Der statistische Zusammenhang sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob Cannabiskonsum die Entstehung psychischer Erkrankungen auch verursacht. Anhaltspunkte hierfür liefern Langzeitstudien, in denen Personen über einen längeren Zeitraum mehrmals untersucht werden. So kann geprüft werden, ob der Cannabiskonsum auch zeitlich vor dem Auftreten einer psychischen Störung vorhanden war. Nur dann könnte der Konsum eine potentielle Ursache sein. Gleichzeitig sollte der Einfluss anderer Faktoren wie das Geschlecht, der Substanzkonsum in der Familie oder das soziale Umfeld berücksichtigt werden.
Eine solche Langzeitstudie wurde in den USA von 2001 bis 2005 durchgeführt. Annähernd 35.000 Personen wurden dafür über einen Zeitraum von drei Jahren mehrmals befragt. Die Ergebnisse zeigen: Das Risiko für eine Angststörung oder eine andere Gemütserkrankung wird durch vorausgehenden Cannabiskonsum nicht signifikant erhöht. Allerdings war eine Abhängigkeitserkrankung bei den Cannabiskonsumierenden etwa sechsmal häufiger.
Die Ergebnisse der Studie weisen somit darauf hin, dass der Cannabiskonsum zwar in engem Zusammenhang mit einer Abhängigkeitsentwicklung steht, aber eher nicht als Ursache für Angststörungen oder Depressionen infrage kommt. Somit müsste es eine andere Erklärung für den engen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychischen Erkrankungen geben.
Eine mögliche Rolle für die Entstehung von psychischen Erkrankungen spielt unsere genetische Veranlagung. Studien deuten darauf hin, dass regelmäßiges Kiffen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit depressive Symptome nach sich zieht, wenn die Person eine entsprechende genetische Veranlagung aufweist. Auch scheint das Auftreten psychotischer Symptome im Cannabisrausch durch bestimmte Genen beeinflusst zu werden.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Jacqueline Vink hat den Zusammenhang zwischen den Genen, Cannabiskonsum und psychischen Erkrankungen im Rahmen einer groß angelegten Studie analysiert. Dem Forschungsteam lagen sowohl Daten zum Cannabiskonsum als auch zu den Genomen von über 180.000 Menschen vor.
Auf Grundlage dieser gewaltigen Datenmenge konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass Personen mit einem genetisch bedingt erhöhten Risiko für Schizophrenie verstärkt dazu neigen, Cannabis zu konsumieren. Gene haben also nicht nur einen starken Einfluss auf die Entstehung einer schizophrenen Erkrankungen, sondern erklären auch, warum manche Menschen eine Vorliebe für Cannabis entwickeln. Umgekehrt fand sich kein Beleg dafür, dass Cannabiskonsum Schizophrenie verursacht. Ist der subjektive Eindruck von Oliver, dass Kiffen seine Psychose verursacht hat, also falsch?
„Die Ergebnisse unserer Studie schließen nicht aus, dass Cannabiskonsum zu dem Ausbruch einer Schizophrenie beitragen könnte“, erläutert Eske Derks, Mit-Autorin der Studie. „Wir haben für diese Theorie in unserer Studie jedoch keine Belege gefunden.“ Welchen Einfluss der Cannabiskonsum beim Ausbruch einer Psychose hat, ist also weiterhin nicht abschließend geklärt. Eine alleinige Ursache für Schizophrenie ist das Kiffen jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht.
Dennoch kann sich das Kiffen ungünstig auf die psychische Gesundheit auswirken. So scheint Cannabis den Verlauf psychischer Erkrankungen ungünstig zu beeinflussen. Beobachtet wurde, dass bei Personen, die an einer Psychose erkrankt sind und die ihren Cannabiskonsum einstellen, die psychotische Symptomatik stärker abnimmt als bei Betroffenen, die weiter kiffen. Cannabiskonsumierende halten sich zudem weniger gut an ihren Medikationsplan, was ebenfalls negative Auswirkungen auf die Genesung hat.
Studien zu anderen Krankheitsbildern liefern zwar teilweise widersprüchliche Ergebnisse, insgesamt scheint sich der Krankheitsverlauf jedoch auch bei Angststörungen und Depressionen durch das Kiffen zu verschlechtern. Hingegen verbessert sich der Verlauf von psychischen Erkrankungen, wenn auf den Konsum von Cannabis verzichtet wird.
Oliver hat diese Erfahrung am eigenen Leib gemacht. Nach seiner ersten erfolgreichen Behandlung bekam er wieder Lust auf Cannabis. „Ich bin dann nach Indien gefahren, und habe da wieder richtig angefangen zu kiffen. Und da ist die zweite Psychose ausgebrochen. Da habe ich gesagt, ‚jetzt muss was passieren, jetzt mache ich einen Schlussstrich, ich will das nicht mehr‘.“ Seit einer erneuten Behandlung ist Oliver frei von Symptomen. „Ich muss zwar zurzeit noch Medikamente nehmen, aber ich nehme die nur in kleinen stabilisierenden Mengen. Ich spüre auch keinerlei Nebenwirkungen. Ich bin jetzt wirklich frei davon.“
Studien zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Cannabiskonsum und psychischen Erkrankungen. Insbesondere der frühe Einstieg in den Konsum und das häufige Kiffen können das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen. Besonders eng scheint der Zusammenhang vom Cannabiskonsum mit psychotischen Erkrankungen wie der Schizophrenie zu sein.
Ob Cannabis auch als Ursache in Betracht kommt, war bislang jedoch nicht eindeutig geklärt. Eine aktuelle Studie deutet nun darauf hin, dass ein erhöhtes genetisches Risiko für Schizophrenie einhergeht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, Cannabis zu konsumieren. Somit wäre der Cannabiskonsum keine Erkrankungsursache, sondern eher die Folge einer genetischen Anfälligkeit für Schizophrenie.
Cannabiskonsum kann sich dennoch ungünstig auf die psychische Gesundheit auswirken, wenn diese bereits angegriffen ist. So hat Kiffen nachweislich einen negativen Einfluss auf den Verlauf und den Behandlungserfolg psychischer Erkrankungen. Wer unter einer psychischen Erkrankung leidet, schon einmal Symptome psychotischer Erkrankungen erlebt hat oder Fälle von Schizophrenie in der Familie kennt, sollte also besser auf den Konsum von Cannabis verzichten.
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