Topthema
Dezember 2023
Ketamin ist ein Arzneimittel mit halluzinogenen Nebenwirkungen. Gerade wegen seiner Nebenwirkungen wird Ketamin auch als Rauschmittel missbraucht. Im akuten Rausch droht allerdings ein Zustand, der als „K-Hole“ bezeichnet wird. Bei häufigem Konsum ist mit gravierenden körperlichen Schäden zu rechnen.
Bild: beimer / photocase.com
„Alles fühlt sich so einsam an“, denkt sich Toni, während er im Berliner Techno-Club Berghain auf dem Boden liegt. Im Magazin Vice beschreibt er seinen Rausch auf Ketamin.
Als die Wirkung einsetzte, sah er plötzlich alles verschwommen, wankte und fiel zu Boden. Toni berichtet, dass er sich wie losgelöst von seinem Körper gefühlt hat, als würde er über der Situation schweben. „Toni was ist los?“, hörte er seine Freundin rufen. Allerdings war er nicht mehr fähig zu antworten oder sich zu bewegen. Toni war im „K-Hole“ gefangen.
Die Ursache war vermutlich eine Überdosis Ketamin. Erst hatte er nur eine halbe Tablette eingenommen, wie sein Dealer ihm empfohlen habe. Aber schon 10 Minuten später hatte er eine ganze Tablette „nachgeworfen“, weil er noch keine Wirkung verspürte.
Ketamin ist ein Narkose- und Schmerzmittel, das vor allem bei Notfalleinsätzen und in der Tiermedizin zum Einsatz kommt. Es gilt als vergleichsweise sicheres Medikament, weil es Schmerzen effektiv stillt ohne die Atmung zu sehr zu beeinträchtigen. Aufgrund der halluzinogenen Nebenwirkungen kommt es meist in Kombination mit einem Benzodiazepin, einem Beruhigungsmittel, zum Einsatz.
Doch Freizeitkonsumierenden wie Toni geht es gerade um diese psychedelisch anmutenden Nebeneffekte. Bei niedrigen Dosierungen erleben sie Halluzinationen, nehmen Raum und Zeit verändert wahr. Bei höheren Dosierungen kann Ketamin allerdings extreme psychische Zustände mit Nahtoderfahrungen hervorrufen.
Manche Konsumierende scheinen es aber genau darauf ankommen zu lassen. Sie suchen den „Kick“ der Nahtoderfahrung. Manche bezeichnen sich als „Psychonauten“, als Personen, die mit Hilfe von Drogen die Untiefen ihres Bewusstseins erforschen wollen. Der Ketaminrausch ist jedoch mit einer Reihe an Risiken verbunden.
Ketamin erhöht den Herzschlag und den Blutdruck. Eigenschaften, die im medizinischen Einsatz als Schmerz- und Narkosemittel zu einer erwünschten Kreislaufstabilisierung führen, beim Missbrauch aber Herz-Kreislaufprobleme nach sich ziehen können. Das betrifft nicht nur Menschen, die bereits unter Bluthochdruck leiden. Ketamin wird zuweilen auch mit anderen stimulierend wirkenden Drogen konsumiert, was eine enorme Belastung des Herz-Kreislaufsystems zur Folge haben kann.
Bei tödlichen Konsumverläufen ist häufig Mischkonsum beobachtet worden. Das betrifft vor allem den zusätzlichen Konsum stark betäubend wirkender Drogen wie Opioiden oder GHB. Auch beim Mischkonsum mit Alkohol ist von erhöhten gesundheitlichen Risiken auszugehen.
Weil Konsumierende im Ketaminrausch stark desorientiert sind, besteht zudem eine erhöhte Unfallgefahr. Dazu kann auch die verminderte Schmerzwahrnehmung beitragen. Beispielsweise erlitt eine Person in einem Fall Verbrennungen dritten Grades, nachdem sie im Rausch kollabiert und mit dem Gesicht auf ein elektrisches Heizgerät gefallen ist.
Häufiger Konsum von Ketamin kann Studien zufolge gravierende Schäden an der Harnblase verursachen. Betroffene haben ständig den Drang, urinieren zu müssen oder sind inkontinent, nässen also ein. In einer Studie wurde der Fall eines 30-Jährigen beschrieben, der alle 30 Minuten zur Toilette musste und starke Schmerzen beim Wasserlassen hatte. Aufgrund der Schwere der Erkrankung musste ihm die Blase operativ entfernt werden.
Der Fall des 30-Jährigen hat auch dazu beigetragen, besser zu verstehen, warum Ketamin Blasenschäden verursacht. Es stellte sich heraus, dass Ketamin das Urothel, die oberste Zellschicht im Inneren der Blase, zerstört. Bei Kontakt mit Ketamin scheint ein Vorgang ausgelöst zu werden, der als programmierter Zelltod oder Apoptose bezeichnet wird. Das ist eigentlich ein Schutzmechanismus unseres Körpers bei Fehlfunktionen einzelner Zellen. Bei häufigem Konsum von Ketamin gerät dieser Mechanismus aber außer Kontrolle, weil sich zu viele Zellen in den Tod stürzen und zu wenige übrig bleiben, aus denen sich das Urothel wieder neu bilden könnte.
Während die Symptome in den meisten Fällen nach dem Absetzen des Konsums nachlassen, kann der Harntrakt auch irreversibel geschädigt werden wie bei dem 30-Jährigen. Selbst bei sehr jungen Patientinnen und Patienten musste in Einzelfällen die Blase operativ entfernt werden.
Manche Konsumierende bekommen auch Bauchschmerzen. Die im englischen als „K-Cramps“ („K-Krämpfe“) bezeichneten Schmerzen sind überwiegend im oben Magen-Darm-Bereich verortet, weshalb hierfür andere Mechanismen als bei den Blasenschäden vermutet werden. In jedem Falle ist bei Beschwerden Abstinenz von Ketamin angeraten.
Regelmäßiger Konsum von Ketamin geht auch am Gehirn nicht spurlos vorüber. Studien haben strukturelle Hirnveränderungen bei Ketaminkonsumierenden nachgewiesen. Ob die Veränderungen erst durch den Ketaminkonsum verursacht wurden oder bereits vor dem Einstieg bestanden, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Für einen ursächlichen Einfluss der Droge spricht aber, dass viele der beobachteten Hirnveränderungen umso ausgeprägter sind, je länger und je mehr die Personen konsumiert haben.
Betroffen ist unter anderem die Dicke der Hirnrinde. Das auch als graue Substanz bezeichnete Nervengewebe ist in manchen Bereichen dünner als bei drogenfreien Vergleichspersonen. Auch die Vernetzung zwischen Hirnregionen und die weiße Substanz ist bei Ketaminkonsumierenden teils weniger gut ausgeprägt. Als weiße Substanz werden Nervenfasern bezeichnet, die von einer weißlichen isolierenden Schicht umhüllt sind.
Die Hirnveränderungen stehen zum einen mit kognitiven Einbußen in Zusammenhang. Vor allem Intensivkonsumierende schnitten bei Gedächtnistests schlechter ab als Personen ohne Ketaminkonsum.
Zum anderen scheint auch die psychische Gesundheit betroffen zu sein. So leiden Konsumierende nicht nur häufiger unter Depressionen. Auch leichte psychotische Symptome, ähnlich denen, die einer Schizophrenie vorausgehen, wurden bei Konsumierenden beobachtet. Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Studie zeigten ungewöhnliche Überzeugungen bis hin zu Wahnvorstellungen. Manche glaubten an Telepathie oder neigten zu Verschwörungstheorien.
Einiges deutet darauf hin, dass mit dem missbräuchlichen Konsum von Ketamin auch das Risiko einer Abhängigkeit verbunden ist. So kommt es beim Konsum von Ketamin schnell zu einer Toleranzentwicklung. Das bedeutet, bei wiederholtem Konsum muss die Dosis erhöht werden, damit der gewünschte Effekt einsetzt.
In einer Interviewstudie berichteten Konsumierende auch von der Sorge, dass sie von Ketamin abhängig werden könnten. Viele hätten ihr Konsumverhalten nicht unter Kontrolle und konsumierten vorhandenes Ketamin meist so lange, bis ihr Vorrat aufgebraucht sei. Ausgeprägtes Craving oder der Wunsch, seinen Problemen zu entkommen, führt dann häufig zu erneutem Konsum. Allerdings ist unklar, inwiefern es körperliche Entzugssymptome nach dem Absetzen von Ketamin tatsächlich gibt.
Ketamin wird in Deutschland nicht nur in der Notfallmedizin eingesetzt, seit 2019 kann die Variante Esketamin auch als Nasenspray gegen Depressionen ärztlich verordnet werden. Medikamente mit dem Wirkstoff Ketamin unterliegen nicht den strengen Maßgaben des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Allerdings unterliegt der illegale Handel von Medikamenten den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes (AMG). Verstöße gegen das AMG können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden.
2016 wurde das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) eingeführt. Es behandelt anders als das Betäubungsmittelgesetz keine Einzelsubstanzen, sondern übergeordnete Stoffgruppen. 2021 wurde das NpSG um die Stoffgruppe der Arylcyclohexylamine erweitert. Ketamin ist ein Abkömmling dieser Stoffgruppe. Der Umgang mit Ketamin zu Rauschzwecken ist demnach verboten.
Das Narkosemittel Ketamin wird aufgrund seiner halluzinogenen Nebenwirkungen auch als Rauschdroge konsumiert. Je nach Dosierung können Konsumierende dabei Erfahrungen machen, die als Nahtoderlebnisse beschrieben werden und für die der Begriff „K-Hole“ geprägt wurde. Akute Risiken ergeben sich auch durch eine erhöhte Unfallgefahr – teils mit fatalen Folgen. Dabei spielt Mischkonsum mit anderen Drogen oft eine Rolle.
Der chronische Missbrauch von Ketamin als Rauschmittel kann irreparable körperliche Schäden im Harntrakt nach sich ziehen. In Einzelfällen musste die Blase operativ entfernt werden. Der häufige Konsum kann zudem zu Schäden im Gehirn führen und birgt das Risiko einer Abhängigkeit.
Quellen:
Kommentare
Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.