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Juli 2019
HPPD ist keine Partei oder der Anfang einer Internetadresse. Die Abkürzung steht für die englische Bezeichnung „Hallucinogen Persisting Perception Disorder“, auf Deutsch „Halluzinogen-induzierte persistierende Wahrnehmungsstörung“. Das Phänomen wird auch als Flashback bezeichnet. Allerdings ist der Begriff nicht vollständig deckungsgleich mit der Diagnose HPPD, die für Betroffene sehr belastend sein kann.
Bild: spacejunkie / photocase.de
HPPD ist selten, kommt aber vor. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich in erster Linie Fallberichte wie diesen: Ein 18-Jähriger hatte auf einer Party mehrere Samenkörner der Hawaiianischen Holzrose zerkaut und geschluckt. Die Samen enthalten das Mutterkorn-Alkaloid Lyserg-Säure-Amid (LSA), das mit LSD verwandt ist. Im Rausch habe er über Stunden visuelle Erscheinungen gehabt, darunter Farbblitze und stroboskopartige Nachbilder von sich bewegenden Objekten, was starke Ängste in ihm ausgelöst hat. Tage später nahm er immer noch optische Veränderungen wie leuchtende Farbringe, Spiralen und Gitter war. Im Dunkeln sah er, wie vorbeifahrende Autos rote Lichtstreifen hinter sich herziehen.
Diese Wahrnehmungsveränderungen traten unregelmäßig und in wechselnder Ausprägung auf. Die optischen Halluzinationen hatten für den 18-Jährigen aber keinen bedrohlichen Charakter mehr, teils empfand er sie sogar als unterhaltsam. Nach etwa zwei Monaten waren die Erscheinungen vollständig abgeklungen.
Die Erlebnisse des 18-Jährigen waren vermutlich gar nicht so ungewöhnlich, zumindest für Personen, die Halluzinogene konsumieren. Eine 2011 durchgeführte Online-Befragung der Website erowid.org, an der 2.455 Drogenkonsumierende teilgenommen haben, lieferte ein ähnliches Bild. 61 Prozent hatten schon mal Nachhalleffekte oder Flashbacks nach dem Konsum von halluzinogenen Drogen. Am häufigsten war die Wahrnehmung von scheinbar sich bewegenden Objekten, intensiven Farben und leuchtenden geometrischen Formen. Für die meisten der Befragten waren die Nachwirkungen lediglich interessante visuelle Effekte. Für etwa 4 Prozent waren die Veränderungen jedoch so stark belastend, dass sie darüber nachdachten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Bei manchen der Betroffenen können die Symptome sehr langanhaltend sein und zu Störungen im Alltag führen, wie bei diesem jungen Mann: Mit 17 Jahren nahm er erstmals LSD und dann ein- bis zweimal jeden Monat. Etwa ein Jahr nach seinem Einstieg in den LSD-Konsum hatte er plötzlich auch im nüchternen Zustand Erscheinungen, wie sie im Rausch aufgetreten waren. Intensiv leuchtende, flackernde geometrischen Formen überlagerten sein gesamtes Sichtfeld. Bewegte Objekte erzeugten wie unter Stroboskop-Licht entstandene Nachbilder. Die optischen Erscheinungen bereiteten ihm erhebliche Probleme beim Lesen und verschlimmerten sich unter Stress, bei Schlafmangel und nach dem Konsum koffeinhaltiger Getränke.
Trotzdem konsumierte der Mann weiter LSD, rauchte Cannabis, entwickelte eine Alkoholabhängigkeit und war zeitweilig auch kokainabhängig. Nachdem er mehrfach notfallmedizinisch wegen der organischen Auswirkungen seines Alkoholkonsums behandelt werden musste, beendete er seinen ausschweifenden Alkohol- und Drogenkonsum. Doch die halluzinogenen Nacheffekte blieben ihm erhalten.
Die bei dem Mann aufgetretenen Symptome entsprechen der Diagnose HPPD wie sie im amerikanischen Diagnosesystem DSM-5 formuliert sind. Demnach muss mindestens eine Wahrnehmungsstörung aus dem ursprünglichen Rauschzustand auftreten. Die Symptome können vielfältig sein, sind aber vorwiegend optischer Natur. Dies kann beispielsweise die Wahrnehmung von geometrischen Formen, leuchtende Farben oder Nachbilder bewegter Objekte sein. Auch die Illusion, dass Dinge viel größer oder kleiner erscheinen wie im Alice-im-Wunderland-Syndrom können vorkommen.
Für die Diagnose HPPD ist zusätzlich erforderlich, dass die Symptome eine subjektiv starke Belastung darstellen, so wie in dem Fall des 17-Jährigen. Flashbacks erfüllen demzufolge streng genommen noch nicht die Diagnose HPPD, sofern sie zu keinen bedeutsamen Einschränkungen im Alltag der Betroffenen führen. In der Fachliteratur wird die Diagnose HPPD zuweilen auch unterschieden in Typ 1 und Typ 2. Kurze wenig belastende Flashbacks wie im eingangs beschriebenen Fall des 18-Jährigen, der nach dem Konsum der Hawaiianischen Holzrose Nachhalleffekte erlebte, würden eher dem HPPD-Typ 1 zugeordnet. Dauerhaft belastende Wahrnehmungsstörungen werden als HPPD-Typ 2 klassifiziert. Allerdings hat die Unterscheidung bislang nicht Eingang in das DSM-5 gefunden.
Bislang gibt es noch kein allgemeingültiges Modell, dass die Entstehung des Syndroms erklärt. Der Konsum von halluzinogenen Drogen gilt jedoch als Grundvoraussetzung. In den meisten Fällen haben die Betroffenen mit LSD experimentiert. Flashbacks und HPPD wurden allerdings auch bei anderen Drogen mit halluzinogenem Charakter beobachtet, darunter Cannabis, PCP, Psilocybin-Pilze, Ecstasy, Ketamin, Meskalin oder synthetische Cannabinoide. Auffällig ist, dass Betroffene in Fällen mit schweren Verläufen, also HPPD-Typ 2, häufig noch andere Drogen konsumieren und nicht selten auch andere psychische Vorerkrankungen mitbringen.
Eine weitere Rolle bei der Entstehung von HPPD könnten Angstreaktionen durch den Verlust der Ich-Kontrolle im Rauschzustand sein. So weist ein Ärzteteam um den Psychiater Leo Hermle daraufhin, dass in experimentellen Studien, in denen Patientinnen und Patienten LSD zu therapeutischen Zwecken gegeben wurde, in keinem Fall ein HPPD dokumentiert wurde. Vermutet wird, dass die beschützenden Rahmenbedingungen bei der medizinischen Verabreichung der Entwicklung eines HPPD entgegenwirkt.
Die neurobiologischen Grundlagen eines HPPD sind noch nicht vollständig geklärt. In einem Review kommen Remco Westerink und sein Team zu der Schlussfolgerung, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu einer sensorischen Störung im Auge, sondern zu Problemen bei der Verarbeitung visueller Informationen im Gehirn kommt. Auffällig ist, dass alle halluzinogenen Drogen das Serotonin-System im Gehirn ansprechen. Für eine korrekte Wahrnehmung ist jedoch nicht nur die Aktivierung von Serotoninrezeptoren erforderlich, sondern gleichzeitig auch die Hemmung bestimmter nervöser Prozesse, bei denen der Neurotransmitter GABA beteiligt ist. Unter dem Einfluss von Halluzinogenen scheint die Balance zwischen den aktivierenden und hemmenden Prozessen zumindest zeitweilig verloren zu gehen.
Für die Behandlung eines HPPD gibt es bislang keine medikamentöse Behandlung, die standardmäßig empfohlen wird. Fallberichten zufolge scheinen die Symptome aber durch bestimmte Neuroleptika und Benzodiazepine zurückgedrängt zu werden. Wichtig wäre aber in jedem Fall, auf den Konsum von Substanzen, die HPPD auslösen oder verschlimmern können, zu verzichten. Welche Substanzen dies sind, wäre von Fall zu Fall zu klären.
Im Fall des beschriebenen 17-Jährigen, der nach dem Konsum von LSD über Jahre unter optischen Halluzinationen litt, wurden eine Reihe von Therapieversuchen unternommen. Erst der Einsatz eines Medikaments, das eigentlich bei Epilepsie gegeben wird, brachte langsam Besserung. In einer Beschreibung seiner Erkrankung soll der Patient berichtet haben, wie sich der „verschmutzte Bildschirm“, durch den er 18 Jahre lang gezwungen war zu starren, langsam zu klären begann.
Der Konsum von Halluzinogenen kann mitunter auch im nüchternen Zustand visuelle Erscheinungen nach sich ziehen. Die als Flashback bekannten Phänomene sind häufig nur kurzweilig. Manchmal nehmen sie allerdings ein Ausmaß an, das den Alltag der Betroffenen stark belastet. In diesen Fällen wird von der Halluzinogen-induzierten persistierenden Wahrnehmungsstörung oder der englischen Abkürzung HPPD gesprochen.
Vermutet wird eine gestörte Informationsverarbeitung im Gehirn. Bislang gibt es noch keine allgemein anerkannten Empfehlungen zur Behandlung. Bestimmte Medikamente aus der Gruppe der Neuroleptika, Antiepileptika und Benzodiazepine haben sich in einigen Fällen als hilfreich erwiesen. In jedem Fall ist aber Abstinenz von Halluzinogenen und anderen Substanzen angeraten, die eine HPPD auslösen können.
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