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Horrortrip auf Amphetaminen

Januar 2014

Amphetamine machen wach und können das Selbstwertgefühl steigern - oder Angst und Panik erzeugen. Die stimulierende Droge kann psychotische Episoden mit paranoiden Wahnvorstellungen und Halluzinationen auslösen. Meist vergehen die Symptome nach ein paar Tagen Abstinenz, in manchen Fällen können Restsymptome aber über Monate anhalten.

Close-Up von ängstlich aufgerissenen Augen

Bild: © istock.com / Yuri_Arcurs

Ein 18-Jähriger nahm bereits seit einem Jahr Amphetamin, als er per Anhalter nach New York reiste, etwa 100 mg des Stimulanziums schluckte und einen Nachtclub betrat. Dort geriet er in einen Streit mit einem Mann und ging wieder. Als er auf der Straße war, wurde er von der Vorstellung beherrscht, dass der Mann womöglich Freunde gerufen habe, die ihn „kriegen“ wollen. Jeder auf der Straße konnte dies sein. Er bekam Angst, ging in sein Hotel und verbarrikadierte die Tür mit dem Bett. Als er im Flur laut ein Radio hörte, nahm er an, dass es extra aufgedreht wurde, damit man seine Schreie nicht hört, wenn er ermordet werde. Dann hörte er plötzlich Stimmen, die sagten: „Jetzt kriegen wir ihn!“ In seiner Panik schnappte er sich ein Messer und rannte aus dem Hotel. Draußen stieß er auf einen Polizisten, der veranlasste, dass er in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde.

Der Arzt Burton Angrist hat diesen Fall veröffentlicht, um zu veranschaulichen, wie der Konsum von Amphetamin eine Psychose auslösen kann. Lange Zeit nahm man an, dass Psychosen bei Amphetaminkonsumierenden nicht durch den Konsum, sondern auf vorher vorhandene Erkrankungen zurückzuführen sind. Zweifelsfrei nachgewiesen wurden Amphetaminpsychosen erst in den 1960er und 1970er Jahren.

Psychose bei hoher Dosierung

In aus heutiger Sicht ethisch fragwürdigen Experimenten wurde gesunden Testpersonen Amphetamin in ansteigender Dosierung verabreicht, und zwar solange sie es ertragen konnten. In einer Studie hatte ein Proband bereits 465 mg Amphetamin bekommen als er plötzlich meinte, eine Horde Gangster auf dem Flur zu hören. Sie seien gekommen, um ihn zu töten. In seiner paranoiden Wahnvorstellung verstieg er sich zu der Annahme, dass die Versuchsleiter ihm eine Falle gestellt haben und der Ausgang des Experiments nur darauf hinauslaufe, ihn umzubringen. Mit solchen und anderen Experimenten wurde eindrucksvoll nachgewiesen, dass sich Psychosen durch hohe Dosen Amphetamin auslösen ließen.

In einer aktuellen Studie konnte belegt werden, dass das Risiko für psychotische Symptome auch beim Konsum von Methamphetamin dosisabhängig ist. Teilnehmende der 3-jährigen Längsschnittstudie hatten ein 5-fach erhöhtes Psychoserisiko, wenn sie konsumierten. Je häufiger sie konsumierten, desto höher war die Wahrscheinlichkeit für psychotische Symptome. Wenn an mehr als 15 Tagen pro Monat konsumiert wurde, war das Psychoserisiko sogar um das 11-fache erhöht.

Verborgene Schizophrenie?

Bei den meisten der Betroffenen verschwanden die Symptome in der Regel nach einer Phase der Abstinenz. Eine Minderheit litt jedoch weiterhin an psychotischen Symptomen, was die grundsätzliche Frage aufwirft, ob länger anhaltende Psychosen bei Konsumierenden ausschließlich drogeninduziert, also auf die Substanz zurückzuführen sind oder ob sich in diesen Fällen nicht doch eine vorhandene, aber vorher nicht sichtbare Schizophrenie dahinter verbirgt.

Eine Antwort hierauf liefert eine große Studie aus Finnland. Das Forschungsteam wertete alle Klinikdaten von 1987 bis 2003 aus. Über 18.000 Patientinnen und Patienten waren in diesem Zeitraum wegen einer substanzbedingten Psychose im Krankenhaus. Nach dem erstmaligen Auftreten psychotischer Symptome entwickelten 30 Prozent der Personen, die aufgrund von Amphetaminkonsum behandelt wurden, später eine Schizophrenie.

Bei einem Teil der Konsumierenden waren die psychotischen Symptome also vermutlich nur die ersten Anzeichen einer latent vorhandenen Schizophrenie. Festzuhalten ist aber, dass nicht alle eine Schizophrenie entwickelt haben. Selbst in den frühen Experimenten, in denen gesunden Testpersonen ansteigende Dosen von Amphetaminen gegeben wurden, sind nicht alle psychotisch geworden. Wie lässt sich das erklären?

Erklärungsmodell

Ein norwegisches Forschungsteam um Studienleiter Jørgen Bramness schlägt in einem Fachartikel vor, den Zusammenhang zwischen Amphetaminen und Psychose mit Hilfe des Vulnerabilitäts-Stress-Modells zu betrachten. Dieses Modell gilt derzeit als beste Erklärung für die Entstehung der Schizophrenie. Eine Amphetaminpsychose sei demnach nicht dasselbe wie die psychotischen Symptome der Schizophrenie, beide können aber miteinander zusammenhängen.

Die individuelle Empfänglichkeit für eine Psychose wird als Vulnerabilität bezeichnet. Hierzu gehören vor allem genetische Faktoren. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass eine genetische Anfälligkeit allein nicht ausreicht. Dafür spricht, dass bei eineiigen Zwillingen das Risiko etwa um 50 Prozent und nicht um 100 Prozent erhöht ist, wenn ein Zwilling erkrankt ist.

Hier kommen nun die Amphetamine ins Spiel. Die stimulierenden Drogen können als Stressor wirken und das Risiko für den Ausbruch einer Psychose erhöhen. Andere Stressoren können kritische Lebensereignisse, traumatische Erfahrungen oder Konflikte im persönlichen Umfeld sein. Ist eine Person beispielsweise durch eine genetisch bedingte Vulnerabilität bereits gefährdet, eine Psychose zu entwickeln, reichen womöglich schon geringe Dosen Amphetamin, um die Schwelle zur Psychose zu überschreiten und die Symptome der latenten Schizophrenie zum Vorschein zu bringen. Personen, die nur wenig oder gar nicht vorbelastet sind, reagieren hingegen erst auf sehr hohe Dosen mit psychotischen Symptomen. Sie entwickeln dann eine ausschließlich drogeninduzierte Psychose.

In dieser Modellvorstellung würde dauerhafter Konsum von Amphetaminen die Vulnerabilität der Personen Stück für Stück erhöhen und sie näher an die Psychoseschwelle rücken, so dass wie in dem beschriebenen Fall des 18-Jährigen, irgendwann nur noch eine weitere Dosis nötig ist, um die Psychose zum Ausbruch zu bringen.

Fazit

Der Konsum von Amphetaminen kann Psychosen auslösen. In der Regel verschwinden die Symptome wieder nach einigen Tagen, in manchen Fällen kann eine Restsymptomatik aber mehrere Wochen andauern oder sogar Auslöser einer bislang verborgenen Schizophrenie sein.

Im Einzelfall ist es aber schwierig zu unterscheiden, ob es sich um eine rein drogeninduzierte Psychose oder doch um die ersten Symptome einer Schizophrenie handelt. Dies habe nach Ansicht von Jørgen Bramness und seinem Forschungsteam Folgen für Personen, die schon einmal eine Psychose aufgrund von Amphetaminen erlebt haben. Bei ihnen müsse in der Folge genau überprüft werden, ob sich Anzeichen einer chronischen Entwicklung abzeichnen - und ihnen ist dringend davon abzuraten, weiter Amphetamine oder andere stimulierende Drogen zu konsumieren.

Quellen:

  • Angrist, B. (1994). Amphetamine psychosis: clinical variations of the syndrome. A. K. Cho & D. S. Segal (Eds.), Amphetamine and its Analogs: Neuropharmacology, Toxicology and Abuse (p. 387-414). New York: Academic Press.
  • Bramness, J. G., Gundersen, Ø. H., Guterstam, J., Rognli, E. B., Konstenius, M., Løberg, E.-M., Medhus, S., Tanum, L. & Franck, J. (2013). Amphetamine-induced psychosis - a separate diagnostic entity or primary psychosis triggered in the vulnerable? BMC Psychiatry, 12, 221.
  • Iversen, L. (2009). Speed, Ecstasy, Ritalin. Amphetamine - Theorie und Praxis. Bern: Huber.
  • McKetin, R., Lubman, D. I., Baker, A., Dawe, S. & Ali, R. L. (2013). Dose-Related Psychotic Symptoms in Chronic Methamphetamine Users. JAMA Psychiatry, 70 (3), 319-324.
  • Niemi-Pynttäri, J. A., Sund, R., Putkonen, H., Vorma, H., Wahlbeck, K. & Pirkola, S. P. (2013). Substance-Induced Psychoses Converting Into Schizophrenia: A Register-Based Study of 18,478 Finnish Inpatient Cases. J Clin Psychiatry, 74(1), e94-e99.

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