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Mai 2018
Sie wachsen im Vorgarten, auf der Kuhweide oder werden künstlich hergestellt. Es gibt eine Vielzahl an Substanzen, die eine halluzinogene Wirkung haben. Gemeinsam ist ihnen eine außergewöhnliche psychoaktive Wirkung, die vielleicht als traumähnlich beschrieben werden kann. Für manche der Konsumierenden wird der Trip ins Wunderland allerdings zum Albtraum.
Bild: pepipepper / photocase.de
Pflanzen und Pilze mit halluzinogener Wirkung kennt die Menschheit vermutlich seit Tausenden von Jahren. Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Wirkung haben die frühen Menschen den Halluzinogenen vermutlich göttliche oder spirituelle Eigenschaften zugesprochen.
Auch heute noch wird der Peyote-Kaktus mit seinem halluzinogenen Wirkstoff Meskalin zu religiösen Zwecken konsumiert. Die Mitglieder der Native American Church haben in den USA eine Sondergenehmigung für den Konsum, da Meskalin in den USA wie in Deutschland ein illegales Rauschmittel ist.
Das Besondere an Halluzinogenen ist, dass unterschiedliche Substanzen teils sehr ähnliche Wirkungen erzeugen. Darunter finden sich neben Meskalin noch eine Reihe anderer Halluzinogene aus der Natur wie Psilocybin-haltige Pilze, die gerne auf Kuhfladen wachsen oder der mexikanische Zaubersalbei Salvia Divinorum, der als einer der stärksten natürlichen Halluzinogene gilt.
Einige pflanzliche Halluzinogene aus der Familie der Nachtschattengewächse wie Stechapfel, Engelstrompete oder Tollkirsche wachsen schon mal als Zierpflanzen im Vorgarten. Werden sie konsumiert können sie aufgrund ihrer Wirkung auf das vegetative Nervensystem schwere Vergiftungen nach sich ziehen. Im Extremfall sind lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und Atemlähmung möglich.
Das wohl bekannteste Halluzinogen trägt die Bezeichnung Lysergsäure-Diäthylamid, kurz LSD. LSD ist eine halbsynthetische Droge, da Lysergsäure ein natürlicher Wirkstoff des Mutterkorns ist, einem Pilz, der Getreideähren befällt. Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann hat der Lysergsäure nur eine Diäthylamid-Gruppe hinzugefügt.
Auf der Suche nach einem Kreislaufmittel experimentierte Hofmann 1938 mit Lysergsäure, indem er der Reihe nach verschiedene Stoffe hinzufügte. Beim 25. Mal war es Diäthylamid, weshalb gelegentlich auch von LSD-25 die Rede ist. In tierexperimentellen Untersuchungen stellte sich jedoch nicht die erwünschte medizinische Wirkung ein, woraufhin die Forschung zunächst eingestellt wurde.
Erst am 16. April 1943 folgte Hofmann einer „merkwürdigen Ahnung“, wie er später in seinem Buch „LSD - Mein Sorgenkind“ schrieb, und synthetisierte LSD-25 ein weiteres Mal. Im Labor verspürte er plötzlich „eine merkwürdige Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl“. Daraufhin musste er seine Arbeit vorzeitig unterbrechen. „Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete“, berichtet Hoffmann.
Er vermutete, dass er versehentlich LSD-25 durch die Haut aufgenommen hat, da es die einzige Substanz war, mit der er an diesem Tag experimentiert hat. Um seine Vermutung zu überprüfen, nahm er drei Tage später eine vermeintlich geringe Dosis von 0,25 Milligramm LSD ein. Tatsächlich entsprach die gewählte Dosis einem Vielfachem der Menge, die nötig ist, um halluzinogene Effekte zu erzeugen. Hofmanns „Trip“ war entsprechend intensiv.
Doch was kennzeichnet eigentlich die Wirkung von halluzinogenen Substanzen? Allen Halluzinogenen ist gemeinsam, dass sie am Fundament unseres Bewusstseins zu rütteln scheinen. Denken und Fühlen sowie die Wahrnehmung werden massiv beeinflusst. Nach Analyse von Trip-Berichten kommt ein Forschungsteam zu der Feststellung, dass der durch Halluzinogene hervorgerufene Rauschzustand am ehesten zu vergleichen sei mit dem Zustand des Träumens.
Ähnlich wie beim Träumen werden eingefahrene Denkstrukturen durchbrochen und abgelöst von assoziativen Gedankenketten. Auch die Verarbeitung der Wahrnehmungen gerät in Unordnung. Farben erscheinen viel intensiver als sonst. Dinge, die sich normalerweise nicht bewegen, fangen plötzlich an zu fließen oder bilden wabernde Strukturen.
Diesen Effekt hat bereits Albert Hofmann beschrieben: „Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel.“ Im weiteren Verlauf seines Rausches schloss er die Augen und bestaunte ein visuelles Spektakel: „Kaleidoskopartig sich verändernd, drangen bunte, phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluß.“
Dabei erlebte er auch das Phänomen der Synästhesie, bei der zwei oder mehr voneinander getrennte Sinneskanäle miteinander gekoppelt werden. „Besonders merkwürdig war, wie alle akustischen Wahrnehmungen, etwa das Geräusch einer Türklinke oder eines vorbeifahrenden Autos, sich in optische Empfindungen verwandelten. Jeder Laut erzeugte ein in Form und Farbe entsprechendes, lebendig wechselndes Bild.“
Mit zunehmender Intensität der Wirkung verändert sich allerdings auch die Selbst-Wahrnehmung. Dabei geht das im normalen Alltag selbstverständliche Gefühl der Ich-Begrenztheit verloren, was von euphorischen Gefühlen begleitet sein kann. So schrieb der Neurowissenschaftler Solomon Snyder, der LSD im Selbstversuch einnahm, in seinem Buch „Chemie der Psyche“: „Die Grenzen zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich lösen sich auf und machen dem heiter-gelassenen Gefühl Platz, eins mit dem Universum zu sein. Ich erinnere mich noch, wie ich immer wieder vor mir hin murmelte: ‚Alles ist eins, alles ist eins.‘“
Die Grundlage für diesen Effekt bildet vermutlich eine veränderte Informationsverarbeitung im Gehirn, wie 2016 in einer Studie des Imperial College London aufgezeigt werden konnte reagiert. Studienleiter Robin Carhart-Harris erklärt, dass unser Gehirn seine normale spezialisierte Arbeitsweise unter dem Einfluss von LSD aufgibt. „Normalerweise besteht unser Gehirn aus unabhängigen Netzwerken, die verschiedene spezielle Funktionen erfüllen wie Sehen, Bewegungen und Hören - aber auch komplexe Dinge wie Aufmerksamkeit.“ Unter dem Einfluss von LSD funktioniert die getrennte Informationsverarbeitung jedoch nicht mehr. Das Gehirn scheint als Ganzes aktiviert zu werden und arbeitet eher wie eine Einheit.
Anders als bei den meisten psychoaktiven Substanzen ist bei Halluzinogenen jedoch nicht vorhersehbar, in welche Richtung sich die Wirkung entfaltet. Halluzinogene „verändern das Bewusstsein oft in dramatischer und unvorhersehbarer Weise“, erklärt der Pharmakologe David Nichols. Der Rauschverlauf ist sehr stark von der Persönlichkeit und den Erwartungen der konsumierenden Person sowie von den äußeren Umständen abhängig. In diesem Zusammenhang wird auch von Set (Person) und Setting (Situation) gesprochen.
Die Grundstimmung eines LSD-Rausch kann zudem schnell kippen. So berichtet Solomon Snyder weiter, dass ihm sein Rausch zunehmend Angst einflößte: „In meinen Fall folgte dem mächtigen Gefühl, mit dem Universum eine Einheit zu bilden, ein Verlust des Ich-Bewusstseins. Ich begann zu rufen: ‚Wer bin ich? Wo ist die Welt?‘ Auf dem Höhepunkt dieser Auflösung geriet ich in Entsetzen. Ich versuchte mich mit aller Gewalt an meinen Namen zu erinnern - in der Hoffnung, so zur Realität zurückzufinden -, doch ich schaffte es nicht.“
Auch Albert Hofmann erlebte die psychischen Auswirkungen bei seinem ersten Selbstversuch als bedrohlich. „Alle Anstrengungen meines Willens, den Zerfall der äußeren Welt und die Auflösung meines Ich aufzuhalten, schienen vergeblich. Ein Dämon war in mich eingedrungen und hatte von meinem Körper, von meinen Sinnen und von meiner Seele Besitz ergriffen. Ich sprang auf und schrie, um mich zu befreien, sank dann aber wieder machtlos auf das Sofa. Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollte, hatte mich besiegt.“
Snyder und Hofmann beschreiben damit das, was man heute als Horror-Trip bezeichnen würde. Statt Euphorie erleben sie eine extreme psychische Ausnahmesituation, die geprägt ist durch starke Angst.
In der Regel nehmen die bedrohlich wirkenden Bewusstseinsveränderungen mit dem Abklingen der Wirkung wieder ab. In seltenen Fällen kann allerdings eine länger anhaltende Psychose die Folge sein, die psychiatrische Hilfe notwendig macht. Paranoide Wahnvorstellungen, also das Gefühl beobachtet oder verfolgt zu werden, können dabei auftreten. Im Extremfall kann eine Schizophrenie ausbrechen. Angenommen wird, dass die Betroffenen dann meist vorher schon gefährdet waren, an einer Psychose zu erkranken.
Fallberichten zufolge können Rausch-ähnliche Zustände auch Tage oder Wochen später erneut auftreten. Umgangssprachlich wird dann von Flashbacks gesprochen. Vermutet wird, dass Flashbacks durch Stress oder Cannabiskonsum ausgelöst werden kann.
Halluzinogene greifen tief in unser Bewusstsein ein. Das Denken, die Gefühle und die Wahrnehmung werden massiv beeinflusst. Anders als bei die meisten anderen psychoaktiven Substanzen ist die Wirkung von Halluzinogenen kaum vorhersehbar. Sie kann von einer euphorischen Stimmung getragen oder von Todesangst geprägt sein. Das Experimentieren mit Halluzinogenen birgt daher unkalkulierbare Risiken für Konsumierende. Bestimmte halluzinogen wirkende Substanzen wie Nachschattengewächse können durch ihre Wirkung auf das vegetative Nervensystem zudem lebensbedrohliche Zustände erzeugen.
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