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August 2013
Mit durchschnittlich 16,7 Jahren rauchen Jugendliche hierzulande ihren ersten Joint. Einige steigen noch früher ein. Die meisten von ihnen dürften ihren Schulabschluss noch vor sich haben. Doch nicht alle schaffen den Abschluss oder kommen gerade so durch. Wer schon früh anfängt, regelmäßig zu kiffen, hat es in der Regel schwerer, gute schulische Leistungen zu erbringen oder im Beruf oder an der Uni erfolgreich zu sein. Doch liegt das wirklich am Kiffen?
Bild: .marqs / photocase.com
„Ich war in der 11. Klasse als ich damit angefangen hatte, regelmäßiger zu konsumieren und bin auch sofort sitzengeblieben. Der Leistungsabfall war sofort da.“ Nachdem Marco mit dem Kiffen angefangen hatte, ging es mit den schulischen Leistungen bergab. Das Abitur hat er gerade noch geschafft, doch das anschließende Studium musste er abbrechen. „Ich war einfach immer durch den Wind und mit dem Kopf immer irgendwo anders, nicht bei der Sache“, erläutert Marco im drugcom-Video.
Nicht allen Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, ergeht es wie Marco. Die meisten belassen es beim Probieren oder kiffen nur gelegentlich. Doch für manche von ihnen hat Cannabis einen besonderen Reiz. Das Kiffen nimmt dann immer mehr Raum ein im Leben. Kaum noch ein Tag vergeht ohne Joint. Wer täglich kifft, läuft jedoch Gefahr, abhängig zu werden. Oftmals lassen dann die Leistungen in der Schule oder im Studium nach. Doch gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen Cannabis und dem schulischen und beruflichen Erfolg? Oder haben Kiffer wie Marco in Wirklichkeit ganz andere Probleme, die für den Leistungsabfall verantwortlich sind?
Zahlreiche Studien haben sich mit dieser Frage befasst. Bereits im Jahr 2000 hatten die australischen Forscher Michael Lynskey und Wayne Hall einen Übersichtsartikel veröffentlicht, in dem sie die verfügbaren Studien zu diesem Thema zusammengefasst haben. In ihrer Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass der frühe Einstieg in den Cannabiskonsum tatsächlich häufiger mit schlechteren schulischen Leistungen und vorzeitigen Schulabbrüchen in Zusammenhang steht. Einiges sprach dafür, dass es sogar einen ursächlichen Zusammenhang gibt zwischen Cannabiskonsum und Schulleistungen. Doch es lagen noch zu wenige solide Untersuchungen hierzu vor, um diesen Aspekt abschließend klären zu können.
Die Ergebnisse einer im Jahre 2003 veröffentlichten Studie lieferten weitere wichtige Hinweise dafür, dass Cannabis die Bildungschancen junger Menschen verringert. David Fergusson, Joseph Boden und Annette Beautrais haben sich die Daten einer neuseeländischen Längsschnittstudie, der Christchurch Health and Development Study (CDHS) zunutze gemacht. Darin wurden Daten von über 1.000 Personen von der Geburt bis zum Alter von 25 Jahren erhoben.
Das Forschungsteam kam zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Schulabbruch zunimmt, je früher die Befragten in den Konsum eingestiegen sind und je häufiger sie Cannabis konsumiert hatten. Von den 16-Jährigen, die schon mehr als 100-mal gekifft hatten, brachen 82 Prozent die Schule vorzeitig ab. Unter den 16-Jährigen, die noch nie gekifft hatten, betrug die Abbruchquote lediglich 14 Prozent.
Bei der Analyse ist zudem deutlich geworden, dass besonders jene Jugendlichen häufig Cannabis konsumieren, die unter ungünstigen sozialen Verhältnissen aufgewachsen sind. Als ungünstig gelten beispielsweise Scheidungen der Eltern, sexueller Missbrauch oder ein Freundeskreis, in dem Drogen konsumiert werden.
Denkbar ist, dass nicht Cannabis, sondern die sozialen Einflüsse für die schlechten Schulleistungen verantwortlich sind. Cannabiskonsum wäre dann lediglich eine Begleiterscheinung oder selbst Folge der sozialen Verhältnisse. Durch statistische Analysen konnte der Einfluss dieser Faktoren ermittelt werden, um den alleinigen Effekt des Cannabiskonsums herauszufinden. Das Ergebnis: Egal, ob die sozialen Einflüssen gut oder schlecht waren, Cannabiskonsum hat einen signifikant negativen Einfluss auf die schulischen Leistungen. Wer schon als Jugendlicher häufig gekifft hat, hatte die Schule mit einer 3,7-fach höheren Wahrscheinlichkeit ohne Abschluss verlassen.
Das Autorenteam ging zum damaligen Zeitpunkt jedoch nicht davon aus, dass verminderte kognitive Fähigkeiten oder ein „Amotivationssyndroms“ hierfür verantwortlich sind. Denn späterer Cannabiskonsum habe kaum einen Einfluss auf weitere Bildungsabschlüsse wie beispielsweise ein Unistudium. Sie gingen vielmehr davon aus, dass der soziale Kontext, in dem Cannabis konsumiert wird, dafür verantwortlich ist, dass ein alternativer Lebensstil mit unkonventionellen Wertvorstellungen aufgegriffen werde. Dabei würde vermutlich die Wichtigkeit guter schulischer Leistungen abnehmen. Dies würde schließlich dazu führen, dass die Schule vernachlässigt wird.
2008 haben David Fergusson und Joseph Boden die vorliegenden Daten der Längsschnittstudie erneut einer Analyse unterzogen und überprüft, welche Auswirkungen das frühe Kiffen im späteren Leben der Betroffenen haben. Dabei ging es nicht nur um den Schulabschluss, sondern auch um die Jobchancen und die allgemeine Lebenszufriedenheit als Erwachsener.
Die Ergebnisse zeigten erneut: Je früher der Einstieg erfolgte und je intensiver der Konsum zwischen dem Alter von 14 und 21 Jahren war, desto schlechter fielen die schulischen Leistungen aus, bis hin zu vorzeitigen Schulabbrüchen. Bei der Berechnung sind die Einflüsse anderer möglicher Einflussfaktoren mitberücksichtigt worden.
Das frühe Kiffen hatte allerdings noch weitreichendere Folgen. Im Alter von 25 Jahren hatten die Betroffenen ein niedrigeres Einkommen, waren häufiger arbeitslos und entsprechend häufiger auf staatliche Hilfe angewiesen als diejenigen Personen der Studie, die in jungen Jahren abstinent waren oder nur wenig gekifft hatten. Darüber hinaus hatten sie seltener befriedigende Beziehungen und waren insgesamt weniger zufrieden mit ihrer Lebenssituation.
Die Frage der Kausalität, also ob der frühe Cannabiskonsum tatsächlich ursächlich an der schlechten Entwicklung beteiligt ist, konnte zwar nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Aus Sicht des Forschungsteams ist diese Annahme aber plausibel. Insbesondere die gefundene Dosis-Wirkungs-Beziehung würde dafür sprechen, dass Cannabis eine Ursache für niedrigere Bildungsabschlüsse ist.
Diese Einschätzung fand schließlich durch eine weitere Studie aus dem Jahre 2010 Unterstützung. Darin wurden drei Einzelstudien zusammengefasst. Neben der Studie aus Neuseeland wurden noch zwei australische Längsschnittstudien einbezogen, die ähnliche Daten enthalten. Somit umfasste die Meta-Analyse Daten von über 6.000 Einzelpersonen.
Auf der Basis dieser immensen Stichprobe konnten Studienleiter John Horwood und sein Team das so genannte bevölkerungsbezogene Risiko des frühen Cannabiskonsums ermitteln. Das Ergebnis lautet: Wenn kein Jugendlicher vor dem Alter von 18 Jahren anfangen würde zu kiffen, würde die Rate der vorzeitigen Schulabbrüche um 17 Prozent abnehmen.
Allerdings gehen auch die Autorinnen und Autoren der Studie nicht davon aus, dass das Kiffen allein verantwortlich ist für die negativen Folgen in Schule und Beruf. Aber es hat vermutlich einen bedeutsamen Anteil. So gibt es inzwischen eine steigende Anzahl an Studien, die belegen, dass insbesondere der frühe Einstieg in den Cannabiskonsum mit nachfolgenden neurokognitiven Störungen in Zusammenhang steht.
Wayne Hall und Louisa Degenhardt resümieren in einem aktuell erschienenen Übersichtsartikel, dass schlechte schulische Leistungen vermutlich die Folge einer Kombination mehrerer Risikofaktoren sind. Auf der einen Seite gibt es zweifelsohne ungünstige soziale Bedingungen, die bereits vor dem Einstieg in den Cannabiskonsum vorhanden sind und ein Risiko für den Schulerfolg darstellen.
Insbesondere der frühe Einstieg in den Cannabiskonsum kann allerdings zu kognitiven Problemen führen. In einer Studie wurde ermittelt, dass der Intelligenzquotient von Früheinsteigern bis zu 8 Punkte niedriger ist. Hinzu kommt, dass die betroffenen Jugendlichen sich eher mit anderen Jugendlichen zusammentun, die es ebenfalls schwerer haben in der Schule. Alle genannten Faktoren können sich gegenseitig beeinflussen und erhöhen somit das Risiko, die Schule ohne Abschluss zu verlassen.
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