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Drogenmarkt trotzt der Corona-Pandemie

Juli 2021

Neue Drogen, neue Drogenproduzenten und neue Formen des Drogenhandels. Über diese und weitere Entwicklungen berichtet die EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA in einer aktuellen Publikation.

Bild: Darwin Brandis / istockphoto.com

Ein unangenehmer süßlich-scharfer Geruch lag in der Luft. Als ein Boot der niederländischen Küstenwache im Mai 2019 routinemäßig den Hafen des kleinen Ortes Moerdijk ansteuerte, ist die Crew auf einen vor Anker liegenden Frachter aufmerksam geworden. Die Beamten entschlossen sich, an Bord zu gehen. Im Frachtraum des Schiffs entdeckten sie eine große Belüftungsanlage und Trennwände, in die eine Tür eingelassen war. Als sie daran klopften, wurde ein Sichtschlitz geöffnet. Dann sahen sie, woher der beißende Geruch kam. Drei Mexikaner waren gerade dabei, Crystal in großem Stil zu kochen. Das Schiff war umgebaut worden zu einem professionell ausgestatteten Drogenlabor.

Crystal oder Crystal Meth enthält die stimulierende Droge Methamphetamin. Die Nachfrage nach der Droge ist in Europa vergleichsweise gering. Der Fund in den Niederlanden markiert jedoch eine neue Entwicklung, auf die im aktuellen Jahresbericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA hingewiesen wird. Mexikanische Drogenbanden scheinen sich mit der Produktion von Crystal in Westeuropa etablieren zu wollen.

Nach Angaben des NDR beobachtet auch das Bundesinnenministerium, dass sich die Crystalproduktion seit einigen Jahren von der Tschechischen Republik in die Niederlande verlagert. Recherchen des NDR und WDR haben in Zusammenarbeit mit dem Journalisten-Netzwerk „Forbidden Stories“ ergeben, dass allein in den letzten zwei Jahren mindestens 40 illegale Drogenlabore in den Niederlanden und Belgien entdeckt und 19 mexikanische Staatsangehörige dabei festgenommen wurden.

Entwicklungen in der Corona-Pandemie

Eine andere Entwicklung auf dem Drogenmarkt steht unter dem Zeichen der Corona-Pandemie. Die Geschäfte mussten schließen und der Reiseverkehr war zum Erliegen gekommen. In der Corona-Pandemie wurde das gesellschaftliche Leben in den Standby-Modus versetzt. Keine guten Bedingungen für den Drogendeal auf der Straße. Sollte man meinen. Doch der illegale Handel hat sich angepasst.

Die EMCDDA weist in ihrem Jahresbericht auf die rasche Anpassungsfähigkeit des Drogenmarktes hin. Zwar sei der Drogeneinzelhandel im Zuge des ersten Lockdowns zunächst ins Stocken geraten. Dealer und Käufer hätten aber schnell neue Wege gefunden. Der Kontakt laufe verstärkt über verschlüsselte Nachrichtendienste und Social-Media-Apps. Die Drogen würden schließlich durch Lieferdienste an die Haustür gebracht. Im Bericht der EMCDDA wird daher auch die Sorge geäußert, dass die Corona-Pandemie langfristig zu einer fortschreitenden Digitalisierung des Drogenmarkts beitragen könnte.

Auch die Nachfrage nach Partydrogen wie Ecstasy habe schnell wieder angezogen. Zwar habe das Interesse in der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr 2020 nachgelassen, weil das Feiern nicht möglich war. Analysen von Abwasserproben aus einigen europäischen Städten legen jedoch nahe, dass sich der Konsum im Sommer wieder erholt hat. Lockerungen von Reisebeschränkungen und verstärkte soziale Kontakte vor allem in den europäischen „Hotspots“ der Partyszene werden hierfür verantwortlich gemacht.

Ansteigender Trend bei Kokain

Die Anpassungsfähigkeit des Drogenmarktes zeigte sich auch auf Großhandelsebene. Weil Flugreisen eingeschränkt wurden, haben Kriminelle laut EMCDDA-Bericht weniger auf menschliche Kuriere und mehr auf gewerbliche Lieferketten und Container gesetzt. Dazu passt, dass Zollfahnder im Februar dieses Jahres 16 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen sichergestellt haben. Dies sei die größte Kokainlieferung, die jemals in Europa und Deutschland entdeckt wurde.

Eine aufwändige Risikoanalyse mehrerer europäischer Zollbehörden sei dem Fund vorausgegangen. Fünf Container aus Paraguay wurden daraufhin in einer Containerprüfanlage durchgecheckt. In drei Containern, die eigentlich Blechdosen mit Spachtelmasse enthalten sollten, wurde der Zoll fündig. Die Dosen waren in Wirklichkeit mit Kokain befüllt.

Die EMCDDA berichtet, dass schon 2019 ein Rekordjahr war, als insgesamt 213 Tonnen Kokain beschlagnahmt wurden. 2018 waren es noch 177 Tonnen. Die vorläufigen Daten für 2020 würden darauf hindeuten, dass die Verfügbarkeit von Kokain auch in der Pandemie nicht rückläufig gewesen war. So legen Abwasseranalysen aus europäischen Städten nahe, dass seit 2011 ein jährlich ansteigender Trend beim Konsum von Kokain zu verzeichnen ist.

Auch der Reinheitsgehalt von Kokain sei gestiegen. Ein weiteres Indiz, dass es am Angebot der Droge nicht mangelt. Auf Ebene des Endkundenmarktes habe der Reinheitsgehalt von Kokain 2019 zwischen 31 und 91 Prozent geschwankt. In den letzten zehn Jahren sei aber ein Aufwärtstrend zu verzeichnen. Die Reinheit haben 2019 im Mittel um 57 Prozent über dem Vergleichsjahr 2009 gelegen.

Mehr Erst- und Notfallbehandlungen wegen Cannabis

Den weitaus größten Anteil am Drogenmarkt in Europa hat Cannabis. 73 Prozent aller Sicherstellungen entfallen auf Haschisch und Marihuana. Insgesamt meldeten die EU-Staaten rund 640.000 Sicherstellungen, bei einem Gesamtgewicht von 613 Tonnen Cannabiskraut und Cannabisharz. Auffällig sei der inzwischen hohe Wirkstoffgehalt von Cannabisharz. Das zu Platten gepresste Haschisch habe aktuell einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 20 bis 28 Prozent. Marihuana komme „nur“ auf 8 bis 13 Prozent THC.

Europaweite Erhebungen deuten auf eine zunehmende Verbreitung des Cannabiskonsums vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen hin. Diese Entwicklung schlägt sich auch in der Anzahl der Behandlungen nieder. Seit 2009 weisen die Erstbehandlungen wegen Cannabiskonsum eine steigende Tendenz auf. 2019 haben sich insgesamt 111.000 Cannabiskonsumierende in Europa in eine Drogenbehandlung begeben. Ein weiterer Indikator weist ebenfalls auf eine Zunahme der Cannabisproblematik hin: In 11 Ländern war ein Anstieg bei den Notfallbehandlungen wegen Cannabiskonsum zu verzeichnen.

Neue synthetische Substanzen

Ein weiterer neuer Trend ist unter dem Begriff „Fake Hanf“ bekannt geworden. Industriehanf, der eigentlich zu wenig Wirkstoff enthält, um einen Rausch zu erzeugen, wird mit synthetischen Cannabinoiden versetzt. Drogengebrauchende können nicht erkennen, ob es sich um normalen Cannabis oder „aktiviertem“ Industriehanf handelt. Synthetische Cannabinoide können jedoch um ein Vielfaches stärker wirken als pflanzlicher Cannabis. Es gibt Berichte von lebensbedrohlichen Vorfällen in Zusammenhang mit synthetischen Cannabinoiden, die in manchen Fällen auch tödlich geendet haben.

Neue synthetische Wirkstoffe stellen nach Einschätzung der EMCDDA eine besondere gesundheitliche und soziale Bedrohung dar. Laufend werden neue Substanzen auf den Markt gebracht. Allein 2020 wurden 46 neue psychoaktive Substanzen entdeckt. Insgesamt sind über 830 neue Substanzen bekannt, darunter synthetische Cannabinoide, Cathinone und Opioide.

Fazit

Nach Einschätzung des Direktors der EMCDDA, Alexis Goosdeel, illustriert der Jahresbericht wie sehr sich die Lage im Bereich des Drogenkonsums und Drogenhandels in den letzten 25 Jahren verändert hat. Beständig kommen neue Drogen auf den Markt und neue Drogenbanden mischen in Europa mit. Befördert durch die Pandemie schreitet die Digitalisierung auch im Bereich des illegalen Drogenhandels voran.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson betrachtet die Drogenkriminalität und die daran beteiligten Gruppierungen der organisierten Kriminalität als eine wachsende Bedrohung für die Gesellschaft. „Sie verbreiten Tod und Zerstörung. Drogenkriminalität ist das gewalttätigste aller organisierten Verbrechen“, warnt Johansson in einer Rede zur Veröffentlichung des Jahresberichts.

 

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