Topthema
Januar 2013
Die Nachrichten klingen dramatisch. Von einer „Horror-Droge“ ist die Rede und von einer neuen „Welle“, die über die Bundesrepublik rollt. Gemeint ist die Droge Methamphetamin, die auch unter dem Szenenamen Crystal bekannt ist. Was ist dran an der Berichterstattung und wie gefährlich ist die Droge wirklich?
Bild: Drug Enforcement Administration (USA)
Die Bilder gehen einem nicht mehr so schnell aus dem Kopf. In den USA ist auf der Website rehabs.com eine Kampagne über „The horrors of methamphetamine“ geschaltet, von der auch in den Medien hierzulande berichtet wurde. Abgebildet sind schaurige Vorher-Nachher-Fotos von Menschen, die ihre Gesundheit durch den Konsum von Methamphetamin ruiniert haben sollen. Auch wenn unklar ist, wie authentisch die Fotos sind und ob die sichtbaren Folgen tatsächlich auf Methamphetamin zurückzuführen sind, gibt es tatsächlich wissenschaftliche Hinweise, dass Methamphetamin äußerst schädlich ist.
Dabei ist die Droge nicht neu. Bereits 1938 wurde das Aufputschmittel unter dem Handelsnamen Pervitin auf den Markt gebracht. Im zweiten Weltkrieg soll es den Soldaten als „Panzerschokolade“ gedient haben, um Hunger, Durst, Müdigkeit und Angst zu vertreiben. Dass die Droge eine euphorische Stimmung erzeugen kann, die zudem mehrere Stunden anhält, dürfte dem Einsatz an der Front ebenfalls dienlich gewesen sein.
Dennoch wurde Methamphetamin bereits 1941 unter das Opiumgesetz gestellt, da man die erhebliche Suchtgefahr damals schon erkannt hatte. 1972 wurde das Opiumgesetz vom Betäubungsmittelgesetz abgelöst. Darin ist Methamphetamin in Anlage II unter den verkehrsfähigen, aber nicht verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln gelistet. Eine medizinische Anwendung von Methamphetamin ist somit ausgeschlossen und der Besitz ohne Genehmigung illegal.
Die rechtliche Einstufung von Methamphetamin wurde 2008 nochmals verschärft. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung die Grenze der „nicht geringen Menge“ Methamphetamin von 30 auf 5 Gramm herabgesetzt. Grundlage hierfür bilden nach Ansicht des Gerichts die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Wirkung und Gefährlichkeit von Methamphetamin.
So komme es bei rasch aufeinander folgendem Konsum innerhalb weniger Stunden zu einer Toleranzentwicklung, bei der die Dosis weiter gesteigert werden müsse, um noch dieselbe Wirkung zu erzielen. Aufgrund seiner chemischen Eigenschaften überbrücke Methamphetamin die Blut-Hirn-Schranke schneller als Amphetamin. Dies habe zur Folge, dass die aufputschende Wirkung schneller eintrete und intensiver erlebt werde. Der Abbau sei im Vergleich zu Amphetamin hingegen verlangsamt, die Wirkung hält somit länger an. Konsumierende berichten von einer bis zu 20-stündigen Rauschwirkung. Die Gerichtsgutachter kamen schließlich zu der Feststellung, dass Methamphetamin bis zu zweimal stärker wirke als „normales“ Amphetamin, vor allem wenn es geraucht anstatt durch die Nase gezogen wird.
Dementsprechend muss auch von einem höheren Abhängigkeitspotential ausgegangen werden. Denn die Frage, wie sehr einer Substanz die Eigenschaft innewohnt, abhängig zu machen, wird maßgeblich von der Schnelligkeit des Wirkeintritts und der Intensität der Rauschwirkung bestimmt. Ob sich eine Abhängigkeit entwickelt hat, wird meist erst offensichtlich, wenn die Betroffenen versuchen, den Konsum wieder einzustellen. Nach dem Absetzen der Droge kommt es dann zu Entzugserscheinungen wie Übellaunigkeit bis hin zu Depressivität, Müdigkeit und massiven Schlafproblemen sowie seltsamen Träumen und erhöhtem Appetit. Die psychische Komponente der Abhängigkeit ist gekennzeichnet durch einen starken Drang nach weiterem Konsum, das auch als Craving bezeichnet wird.
Wenn in Medienberichten davon gesprochen wird, dass Methamphetamin besonders gefährlich sei, so gibt es also durchaus wissenschaftliche Grundlagen, die dies unterstützen. Allerdings scheinen manche Formulierungen doch etwas übertrieben, wenn es heißt, dass schon der einmalige Konsum eine schwere Abhängigkeit nach sich ziehen könne.
Denn die Entwicklung einer Abhängigkeit lässt sich nicht ausschließlich durch die Wirkung einer Substanz erklären. Es ist nicht nur die „böse“ Droge, die aus unschuldigen Menschen Schwerstabhängige macht. Denn an der Entstehung von Abhängigkeit sind immer mehrere Komponenten beteiligt. Neben der Wirkung einer Droge ist entscheidend, ob die konsumierende Person überhaupt empfänglich ist für die Wirkung. Während die eine Person „drauf abfährt“, lässt die andere wieder schnell die Finger davon, weil ihr die Wirkung nicht ganz geheuer ist oder sie sich nicht der Gefahr der Abhängigkeit aussetzen will.
Zudem lebt der Mensch nicht in hermetisch abgeriegelten Labors, sondern in einer Umwelt, in der mal mehr mal weniger gute Bedingungen für ein drogenfreies Leben herrschen. Die Verfügbarkeit ist eine Umweltbedingung, die die Abhängigkeitsentwicklung beeinflusst. Die Verfügbarkeit von Methamphetamin scheint zumindest regional relativ hoch zu sein. Methamphetamin wird in Europa vor allem im Tschechien hergestellt und gelangt von dort über die Grenze nach Sachsen und Bayern.
Die besondere Schädlichkeit von Methamphetamin beruht nicht nur auf dem vergleichsweise hohen Abhängigkeitspotential, Methamphetamin gilt auch als besonders neurotoxisch. Der Konsum von Methamphetamin führt zur vermehrten Ausschüttung der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin. Wiederholter Konsum führt schließlich zum Absterben dopaminerger und serotonerger Nervenzellen. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass diese Schäden besonders dauerhaft sind und sich bis zu vier Jahre nach dem letzten Konsum noch nachweisen lassen.
Studien an Menschen haben zeigen können, dass bei Konsumierenden der Hippocampus und die weißen Hirnsubstanz signifikant an Volumen abnehmen, es also zu strukturellen Hirnschädigungen kommt. Langfristig erhöht der Methamphetaminkonsum auch das Risiko für die Parkinson Krankheit. Bis zu achtfach erhöht ist die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung. Typische Anzeichen sind verlangsamte Bewegungen und Muskelzittern. Berühmte an Parkinson erkrankte Patienten sind der ehemalige Boxweltmeister Mohammed Ali oder der Schauspieler Michael J. Fox (bekannt aus „Zurück in die Zukunft“). Bei beiden dürften aber andere Ursachen als der Konsum von Methamphetamin eine Rolle gespielt haben.
Besonders frappierend auf den oben erwähnten Fotos sind die äußeren Verfallserscheinungen. Tatsächlich gibt es Berichte, dass dauerhafter Methamphetaminkonsum Hautentzündungen mit sich bringt und zu Zahnausfall führt.
Bekannt ist, das Methamphetamin Mikrohalluzinationen hervorrufen kann, bei der die Betroffenen das Gefühl haben, kleine Ameisen, Läuse oder Wanzen würden unter der Haut kriechen. Die Folge ist ständiges Kratzen, das zu Hautverletzungen führt. In einer Studie aus den USA konnte nachgewiesen werden, dass Methamphetaminkonsumierende häufiger mit Keimen vom Typ Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) infiziert sind. Das sind Keime, die gegen die meisten Antibiotika resistent sind und sich somit sehr schwer bekämpfen lassen. Eine MRSA-Infektion ist bei gesunden Menschen meist unproblematisch, bei immungeschwächten Menschen - hervorgerufen beispielsweise durch Drogenkonsum - können sich die Keime jedoch ausbreiten und zu schwer ausheilenden Wunden führen. Vor allem wenn die Droge gespritzt wird, können die Keime in die Haut eindringen und eine nekrotisierende Fasziitis auslösen, bei der das umgebende Gewebe abstirbt.
Die Ursachen für den Zahnausfall sind zwar nicht gänzlich geklärt, am wahrscheinlichsten gelten aber drei Gründe: 1) Akute Mundtrockenheit, hervorgerufen durch die stimulierende Wirkung von Methamphetamin, 2) infolgedessen erhöhter Konsum von zuckerhaltigen Getränken und 3) schlechte Mundhygiene bei generell ungesundem Lebensstil.
Darüber hinaus sind weitere körperliche Folgen des Konsums bekannt wie massive Schlaf- und Kreislaufstörungen, Schlaganfälle und Herzinfarkt.
Neben den teils gravierenden körperlichen Auswirkungen des Methamphetamin-Konsums, gibt es zudem das Risiko einer Psychose. Vor allem häufiger Konsum erhöht das Risiko für Halluzinationen und Wahnvorstellungen. In der Regel setzen die Symptome schon wenige Minuten nach dem Konsum ein, können dann aber einige Tage anhalten. Manchmal kann es auch Wochen oder Monate dauern, bis die Symptomatik vollständig verschwindet.
Die gesundheitlichen Risiken des Methamphetaminkonsums sind demnach gut belegt. Wie sieht es aber mit der Verbreitung aus? Medien-Berichte zufolge scheint sich die Lage dramatisch zu verschlimmern. Ist was dran an der „Crystal-Welle“, die Deutschland überrollt? Tatsächlich finden sich auch in wissenschaftlichen Publikationen Hinweise darauf. Beispielsweise berichtete ein Ärzteteam 2005 über eine Häufung von durch Amphetamin und Methamphetamin verursachten Psychosen im Raum Bayreuth (Bayern). Von 1998 bis 2000 habe sich die Zahl der Drogenpsychosen um das 2,5-fache erhöht.
In Sachsen hat es in den vergangenen Jahren ebenfalls eine deutlich Zunahme der Klientinnen und Klienten gegeben, die sich aufgrund von Stimulantienkonsum an eine Drogenberatungsstelle gewendet haben. Allein von 2010 bis 2011 sei der Anteil der Personen, die wegen ihres Crystal-Konsums eine Beratungsstelle aufgesucht haben, um 30 Prozent gestiegen.
Allerdings scheint diese Zunahme ein rein regionales Phänomen zu sein. Denn auf Grundlage der verfügbaren Statistiken lässt sich für Deutschland kein Trend oder ähnliches ausmachen. Zu diesem Fazit kommen die Autorinnen und Autoren des Jahresberichts der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD). Es gibt zwar immer wieder Schwankungen bei der Verbreitung des Drogenkonsums, um von einem Trend sprechen zu können muss eine Zu- oder Abnahme jedoch über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Für Crystal bzw. Methamphetamin sind solche Hinweise nicht zu finden.
So wird in einer Studie aus Frankfurt jährlich der Drogenkonsum unter 15- bis 18-Jährigen ermittelt. 2007 wurde Crystal erstmals mit erfasst. 1 Prozent der Befragten gab an, in den letzten 12 Monaten Crystal konsumiert zu haben. Dieser Wert hat sich bis 2011 nicht verändert. Bundesweite Repräsentativstudien zeichnen ein ähnliches Bild. 1995 hatten 0,7 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Amphetamine in den letzten 12 Monaten konsumiert, 2009 waren es 0,8 Prozent. Als abhängig werden lediglich 0,1 Prozent der Bevölkerung eingestuft.
Zunahmen gab es allerdings bei den Beschlagnahmungen der Polizei und dem Anteil erstauffälliger Drogenkonsumenten. So hat sich die Menge an sichergestelltem Methamphetamin bundesweit von 2010 zu 2011 verdreifacht. Jedoch liegt die Gesamtmenge auf einem insgesamt niedrigen Niveau.
Methamphetamin ist zweifelsohne eine gefährliche Substanz. In der Forschung gibt es genügend Belege für ein hohes Abhängigkeitspotential und teils gravierende gesundheitliche Folgewirkungen. Das medial verbreitete Bild einer „Horror-Droge“ suggeriert allerdings, dass die Droge jeden gesunden Menschen in ein körperliches und psychisches Wrack verwandelt. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass jahrelanger Drogenkonsum sehr wahrscheinlich auf eine Vielzahl an Risikofaktoren zurückzuführen ist und nicht nur auf die Wirkung einer Substanz.
Ebenso scheint es übertrieben, von einer „Crystal-Welle“ zu sprechen. Zumindest geben die verfügbaren Zahlen zur Verbreitung von Methamphetamin dies nicht her. Regional, also in Sachsen und Bayern, scheint es hingegen durchaus eine Zunahme zu geben, wenn man die Anzahl der Behandlungsfällen in der Suchtkrankenhilfe zugrunde legt. Im Jahresbericht 2012 der DBDD resümiert das Autorenteam: „Erstmalig ist konkret über die Verbreitung und das Angebot von Methamphetamin berichtet worden. Der Konsum begrenzt sich aber bisher auf einige wenige experimentierfreudige Szenen und wurde nur von einer Minderheit betrieben.“
Quellen:
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