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August 2019
Warum werden manche Personen abhängig von Cannabis und andere nicht? Aktuellen Studien zufolge haben unsere Gene einen Anteil am Risiko für die Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit.
Bild: Tunatura / istockphoto.com
„Ich bin aus meiner WG rausgeflogen, hatte meine Ersparnisse aufgebraucht, mein Studium aufgegeben und konsumierte fast nur noch.“ Manche Menschen wie der User davids nehmen eine Menge negativer Konsequenzen in Kauf – und kiffen trotzdem weiter. Offenkundig fiel es davids schwer, mit dem für ihn schädlichen Cannabiskonsum aufzuhören. Erst mit Hilfe des Beratungsprogramms Quit the Shit ist es ihm gelungen, von Cannabis loszukommen. Doch was unterscheidet davids von anderen Menschen, denen es gelingt, nur hin und wieder zu kiffen oder die ihren Konsum ohne große Probleme wieder einstellen?
Studien zeigen, dass Kiffen heute anders als noch vor ein paar Jahrzehnten, nicht unbedingt ein von der Norm abweichendes Verhalten darstellt. Rund 43 Prozent aller jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren haben in Deutschland schon mal Cannabis probiert. Der Konsum wird häufig im Freundeskreis ausprobiert und gehört dann zum geselligen Beisammensein. Für die meisten bleibt der Konsum ein soziales Ereignis, doch bei manchen wird das Kiffen immer mehr eine individuelle Angelegenheit.
Nach und nach verschiebt sich die Motivation fürs Kiffen. Während anfangs noch der Spaßfaktor entscheidend war, wird Cannabis immer häufiger dazu benutzt, sich alleine zu betäuben. Der Konsum bekommt die Funktion, mit unangenehmen Gefühlen wie Angst, Einschlafschwierigkeiten oder Langeweile umzugehen. Für manche Konsumierenden gehören die täglichen Joints irgendwann zum Alltag. Dabei entsteht nicht selten eine Abhängigkeit. Das bedeutet: Sie verlieren die Kontrolle über ihren Konsum. Etwas in ihnen drängt sie, immer wieder zum Joint oder zur Bong zu greifen. Geschätzt wird, dass etwa 9 Prozent der Personen, die Cannabis konsumieren, eine Abhängigkeit entwickeln. Also etwa eine von zehn Personen.
In der Forschung gibt es bereits Hinweise, dass die Gene eine wichtige Rolle dabei spielen können, wenn Menschen eine Drogenabhängigkeit entwickeln. Aktuelle Studien zum Cannabiskonsum unterstreichen die bisherigen Erkenntnisse. Demzufolge ist eine Vorliebe für Cannabis nicht zufällig. So konnten Studienleiterin Emma Johnson und ihr Team aufzeigen, dass der „Werdegang“ von Cannabiskonsumierenden, vom Einstieg bis zum regelmäßigen Konsum, sich zu einem gewissen Grad anhand bestimmter Gene vorhersagen lässt.
In einem ersten Schritt haben die Forscherinnen und Forscher Daten einer großen Studie zum menschlichen Genom genutzt. Das Genom ist die Gesamtheit des Erbguts. Johnson und ihr Team haben Gene identifiziert, die häufiger mit Cannabiskonsum in Zusammenhang gebracht werden. Daraus errechnete das Team einen so genannten polygenen Risiko-Score für Cannabiskonsum. Als nächstes hat das Team die Daten einer Längsschnittuntersuchung ausgewertet, an der 1.167 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 12 und 30 Jahren teilgenommen haben. Im 2-Jahresrhythmus wurden die Teilnehmenden unter anderem zu ihrem Cannabiskonsum befragt. Bei allen Befragten wurde zuvor der polygene Risiko-Score für Cannabis ermittelt.
Drei unterschiedliche Konsumverläufe ließen sich identifizieren: Die größte Gruppe bestand aus 844 Personen, die über den gesamten Zeitraum nie oder nur ganz wenig Cannabis konsumiert hat. 186 junge Menschen hatten einen starken Konsum entwickelt, der auch im Alter von 30 Jahren auf vergleichsweise hohem Niveau war. Eine dritte moderate Gruppe hat ihren Konsum zwar auch über die Jahre gesteigert. Die Steigerungsraten waren aber deutlich niedriger als in der Gruppe mit starkem Konsum.
Die Auswertung der umfangreichen Daten ergab, dass sich die Gruppenzugehörigkeit der Teilnehmenden relativ gut anhand ihres polygenen Risiko-Scores vorhersagen ließ. Das bedeutet: Je höher der Score war, desto stärker hat der Cannabiskonsum über die Jahre zugenommen. Zwar waren soziale Faktoren wie ein Cannabis-konsumierender Freundeskreis ebenfalls bedeutsam, der polygene Risiko-Score war dennoch ein unabhängiger Risikofaktor. Das bedeutet: Zum einen könnte der Freundeskreis zum Kiffen anstiften, zum anderen freunden sich gefährdete Personen möglicherweise unbewusst eher mit Gleichaltrigen an, die Cannabis konsumieren.
Wie die Gene verstärkt zum Kiffen verleiten, dazu hat eine Studie unter der Leitung von Chandni Hindocha vom University College London neue Erkenntnisse vorgelegt. 48 Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren waren an der Studie beteiligt. Die Konsumgewohnheiten der Beteiligten reichte von gelegentlichem bis zu täglichem Kiffen.
Das Forschungsteam untersuchte, ob und wie sich bestimmte Genvarianten, die Einfluss auf die Funktion des Endocannabinoid-Systems haben, auf das Verhalten der Teilnehmenden auswirken. Dazu verabreichten die Forscherinnen und Forscher entweder Cannabis oder ein Placebo. Beides wurde zuvor vaporisiert, also verdampft und in Ballons abgefüllt. Die Teilnehmenden mussten den Inhalt anschließend einatmen. So konnten sie nicht so leicht erkennen, was sie inhalieren.
Mit Hilfe von speziellen Tests wurde erfasst, wie stark die Aufmerksamkeit der Teilnehmenden durch Cannabis-bezogene Reize gefesselt wurde und wie ausgeprägt ihr Bedürfnis war, einen Joint zu rauchen. Letzteres sollte überprüfen, ob sie sich mit dem aktuellen Rauschzustand zufriedengeben oder noch mehr wollen. Beide Tests wurden wohlgemerkt sowohl im nüchternen Zustand als auch nach Inhalation des vaporisierten THC durchgeführt.
Das Forschungsteam konzentrierte sich somit auf spezielle Aspekte einer Sucht und nicht auf ein allgemeines Maß für die Cannabisabhängigkeit. Damit wollten sie ein detaillierteres Bild davon erhalten, wie bestimmte Genvarianten die Motivation und die Aufmerksamkeit beeinflussen, die langfristig zur Abhängigkeitsentwicklung beitragen.
Im Ergebnis ließen sich bedeutsame Effekte für die untersuchten Gene feststellen. Beispielsweise zeigten Personen mit einer bestimmten Genvariante, die Einfluss nimmt auf das Endocannabinoid-System, ein intensiveres Bedürfnis zu kiffen, auch wenn sie schon THC inhaliert hatten. Zudem war ihre Aufmerksamkeit stärker auf Cannabis-bezogene Bilder fixiert. Die genetische Ausstattung einer Person könnte somit dazu beitragen, dass diese sich stärker zu Cannabis hingezogen fühlt und entsprechend ein höheres Abhängigkeitsrisiko in sich trägt, wenn sie mit dem Kiffen experimentiert.
Generell sei es nach Einschätzung des Forschungsteams technisch betrachtet möglich, Personen dahingehend zu testen, ob sie Träger einer Genvariante sind, die mit einem erhöhten Abhängigkeitsrisiko in Zusammenhang steht. Dies sei möglicherweise im Vorfeld einer medizinischen Gabe von Cannabis sinnvoll. Allerdings sei noch mehr Forschung notwendig, bis derartige Tests praxistauglich sind.
Vorlieben und Neigungen werden unter anderem durch Gene beeinflusst. Aktuellen Studien zufolge scheinen bestimmte Genvarianten einen nicht unerheblichen Einfluss darauf zu haben, wie stark sich eine Person zu Cannabis hingezogen fühlt.
Sind manche Menschen somit unweigerlich ihren Genen ausgeliefert und können gar nichts dagegen tun, abhängig zu werden? Ganz sicher nicht. Denn das Vorhandensein bestimmter Gene kann nicht vollständig unser Verhalten erklären oder vorhersagen, aber zumindest die Richtung angeben, in die es tendiert. Eine Verhaltensänderung wie beispielweise die Abstinenz von bestimmten Substanzen mag für bestimmte Menschen daher schwieriger sein als für andere, aber unerreichbar ist sie sicherlich nicht.
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