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Juni 2021
Nicht jeder Mensch kann die Wirkung von Cannabis genießen. Manche entwickeln paranoide Gedanken oder andere psychotische Symptome. Die Gene scheinen eine Rolle dabei zu spielen.
Bild: urbazon / istockphoto.com
„Als würdest du dich in einen dieser Wackeldackel mit einem fetten Grinsen verwandeln.“ So habe eine Freundin von Lisa das Bekifftsein beschrieben. Viele ihrer Freundinnen seien „begeisterte Stoner“. Lisa könne den Rausch jedoch nicht so recht genießen. Wenn sie kifft, fange sie an, sich tausend Gedanken über jede noch so kleine Handlung zu machen. Sie habe den Eindruck, unter dem Einfluss von Cannabis paranoid zu werden. In einem Artikel im Magazin Vice fragt sie sich, warum sie so schlecht draufkommt, wenn sie kifft, während ihre Freundinnen fröhlich chillen.
Lisas Erfahrungen sind jedoch gar nicht so ungewöhnlich. Kiffen wirkt nicht immer gleich und manche Menschen entwickeln im Cannabisrausch paranoide Gedanken. Sie werden misstrauisch oder haben das unbestimmte Gefühl, dass andere Menschen ihnen schaden wollen. Dieses Phänomen konnte sogar experimentell nachgewiesen werden. In einer Untersuchung wurde Studierenden entweder der Cannabiswirkstoff THC oder ein Placebo gespritzt. Es handelte sich um eine so genannte Doppel-Blind-Studie. Weder die Testpersonen noch das Personal, das die Injektion verabreichte, wussten, welche der beiden Substanzen gespritzt wurde.
Es folgten mehrere Tests, in denen die Probandinnen und Probanden verschiedene Aufgaben erledigen sollten und dabei anderen Menschen begegneten. Dabei zeigte sich, dass etwa eine von fünf Testpersonen Paranoia als direkte Folge der THC-Gabe entwickelte.
Die Studie ist sicherlich nicht repräsentativ für alle Konsumierenden, für Studienleiter Daniel Freeman und seinem Team steht aber fest, dass THC ein „potenter Auslöser für Paranoia“ ist. Sie vermuten, dass die durch den Wirkstoff ausgelösten Bewusstseinsveränderungen zu Fehlinterpretationen der Wirklichkeit führen. Paranoia sei das Ergebnis, wenn wir versuchen, aufkommende negative Emotionen und Wahrnehmungsveränderungen einzuordnen. Denn unser Gehirn sei stets bemüht, die Gedanken in Einklang mit unserer Wahrnehmung zu bringen. Der Konsum von Cannabis würde aber nicht bei jeder Person derartige Probleme verursachen. Und das Misstrauen in die Umwelt schwinde meist im selben Maße, wie der Wirkstoff den Blutkreislauf wieder verlässt.
Paranoia kann aber auch darauf hinweisen, dass die betreffende Person generell ein erhöhtes Risiko für psychotische Symptome nach Cannabiskonsum hat. Denn paranoide Gedanken können sich auch zu ernsthaften wahnhaften Vorstellungen steigern, die in eine Psychose münden. So gibt es Hinweise in der Forschung, dass das Risiko für eine Psychose mit der Intensität des Konsums steigt. Dies gelte vor allem für Menschen, die bestimmte Gene in sich tragen.
Ein britisch-kanadisches Forschungsteam unter der Leitung von Shreejoy Tripathy hat den Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum, psychotischen Erfahrungen und dem genetischen Risiko für Psychose auf der Basis einer großen Stichprobe untersucht. Das Team hatte Zugriff auf die UK Biobank, in der Gesundheitsdaten von rund 500.000 Erwachsenen der britischen Bevölkerung gespeichert sind. Von etwa 110.000 Personen lagen Gesundheitsdaten über die Intensität ihres Cannabiskonsums, über psychotische Erfahrungen sowie zu ihrem genetisch bedingten Risiko für Schizophrenie vor.
Die Auswertung der riesigen Datenmenge lieferte ein eindeutiges Bild: Je stärker eine Person in der Vergangenheit gekifft hatte, desto wahrscheinlicher war, dass sie auch psychotische Erfahrungen gemacht hatte. Zwar können auch ansonsten gesunde Menschen psychotische Erlebnisse machen. Cannabiskonsumierende hatten aber früher ihre ersten psychotischen Erfahrungen und erlebten diese als belastender als lebenslang abstinente Personen.
Bei genauerer Betrachtung zeigte sich der stärkste Zusammenhang mit Verfolgungswahn. Das ist eine Form von Paranoia. Menschen, die unter Verfolgungswahn leiden, haben das konkrete Gefühl, dass sie beobachtet oder verfolgt werden. Andere psychotische Symptome wie akustische oder visuelle Halluzinationen traten ebenfalls häufiger auf, je mehr die Personen gekifft hatten.
Das Risiko für psychotische Symptome war aber nicht für alle kiffenden Personen gleich groß. Frauen waren etwas häufiger betroffen als Männer. Vor allem aber zeigte sich ein Zusammenhang mit bestimmten Genen. Forschungsarbeiten aus der Vergangenheit machen es möglich, dass für jede Person ein so genannter polygener Risiko-Score für Schizophrenie ermittelt werden kann, sofern das Genom dieser Person analysiert wurde. Da die UK Biobank diese Daten liefert, konnte das Forschungsteam das genetisch bedingte Risiko für Schizophrenie mit dem Ausmaß des Cannabiskonsums der Person abgleichen.
Die Analysen machten deutlich, dass der Zusammenhang zwischen der Intensität des Cannabiskonsums und psychotischen Symptomen besonders stark ausgeprägt war bei Personen, deren Gene ein erhöhtes Risiko für Schizophrenie mit sich bringen. Anzumerken ist, dass bei keiner der untersuchten Personen eine durch Drogen hervorgerufene Psychose diagnostiziert wurde. Dennoch können psychotische Symptome wie Verfolgungswahn oder Stimmenhören beängstigend sein und die Lebensqualität beeinträchtigen.
Einschränkend erklären Shreejoy Tripathy und sein Team, dass ihre Studie nicht belegen kann, dass Cannabis auch ursächlich psychotische Symptome oder gar eine vollausgeprägte Psychose verursachen kann. Eine alternative Erklärung sei, dass die Gene nicht nur das Risiko für Schizophrenie erhöhen, sondern auch eine Neigung zum Cannabiskonsum mit sich bringen. So konnte in einer anderen Untersuchung mit Zwillingen aufgezeigt werden, dass es eine Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen dem genetischen Risiko für Schizophrenie und der Wahrscheinlichkeit für Cannabiskonsum gibt.
Dies schließe nach Einschätzung des Forschungsteams um Robert Power aber nicht aus, dass Cannabis einen bedeutsamen Anteil daran haben kann, wenn eine Psychose ausbricht. Unter Forschenden wird häufig die Theorie favorisiert, dass Cannabis ein „Stressor“ ist, der bei vorbelasteten Menschen sprichwörtlich das Fass zum Überlaufen bringen kann. Besonders intensiver Konsum sei demnach ein starker Stressor.
So hat eine internationale Studie in mehreren Regionen Europas und Brasiliens nachweisen können, dass die Häufigkeit von Psychosen besonders dort hoch ist, wo viel hochpotenter Cannabis konsumiert wird. Auch konnte in einer weiteren experimentellen Studie Paranoia bei einer kleinen Gruppe von Kiffern ausgelöst werden, diefrüher schon einmal psychoseähnliche Symptome gezeigt haben.
Einen weiteren Beleg für die Hypothese, dass Cannabis psychotische Symptome auslösen kann, liefert eine kürzlich veröffentlichte Publikation, in der zwei große Studien aus Deutschland und den Niederlanden verknüpft wurden. Es handelt sich um eine Kohortenstudie, in der die Teilnehmenden über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren mehrfach befragt wurden. Studienleiter Jim van Os und sein Team fanden heraus, dass Personen mit höherer Wahrscheinlichkeit psychotische Symptome entwickelten, wenn sie in der Vergangenheit Cannabis konsumiert hatten. Der umgekehrte Fall wurde ebenfalls geprüft. Allerdings fand das Team keinen Beleg dafür, dass psychotische Erfahrungen nachfolgenden Cannabiskonsum fördern.
Kiffen wirkt nicht immer gleich. Manche Menschen fangen an zu grübeln, statt zu chillen. Studien legen nahe, dass Cannabiskonsum mitunter psychotische Symptome wie Paranoia oder Halluzinationen auslösen kann. Das Risiko steigt, je häufiger konsumiert wird und wenn hochpotente Cannabissorten verwendet werden. Vor allem jene Personen, die genetisch bedingt ein erhöhtes Risiko für Schizophrenie in sich tragen, sind gefährdet.
Wer gefährdet ist für eine Psychose, der- oder diejenige sollte besser auf den Konsum von Cannabis verzichten. Eine Gefährdung wird meist dann angenommen, wenn bei den Eltern oder den Geschwistern schon mal eine Psychose aufgetreten ist. Auch wer bereits andere psychische Probleme hat oder unter dem Einfluss von Cannabis schon mal psychotische Erfahrungen gemacht hat, könnte betroffen sein. Das persönliche Psychose-Risiko kann mit dem Cannabis Check überprüft werden.
Quellen:
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