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Cannabis macht dumm - oder doch nicht?

Februar 2013

Eine Studie aus Neuseeland hat im vergangenen Sommer für medialen Wirbel gesorgt. Demnach soll der frühe Einstieg in das regelmäßige Kiffen bis zu acht IQ-Punkte kosten. Ein norwegischer Forscher hat sich die Daten ein zweites Mal angeschaut und will methodische Mängel entdeckt haben. Der Einfluss des familiären Hintergrunds sei zu wenig berücksichtigt worden. Cannabis sei vermutlich nur eine Begleiterscheinung, aber keine Erklärung für die IQ-Entwicklung.

Bekiffter Mann mit Zigarette in der Hand

Bild: Kuzma / istockphoto.com

„Kiffen macht dumm“ lauteten die Schlagzeilen im Sommer 2012. Klingt zu simpel? Ist es vielleicht auch, wenn man dem norwegischen Forscher Ole Rogeberg folgt. Ein halbes Jahr nachdem Madeline Meier und ihr Team mit einer Studie zur Intelligenzentwicklung bei Cannabiskonsum für Aufsehen gesorgt haben, wirft Rogeberg der neuseeländischen Forschungsgruppe vor, fachliche Fehler bei der Auswertung und Interpretation der Daten begangen zu haben. Die verwendeten Methoden von Meier seien „fehlerhaft und die kausale Schlussfolgerung ist vorzeitig gezogen worden.“ Das sind schwere Vorwürfe.

Wie sind Meier und ihr Team vorgegangen?

Grundlage der von Meier und ihrem Forschungsteam veröffentlichten Ergebnisse sind Daten der neuseeländischen Dunedin-Studie. Darin wurden 1.004 Personen von Geburt an bis zum Alter von 38 Jahren wiederholt untersucht. Der Intelligenzquotient (IQ) wurde erstmals im Alter von 7 Jahren ermittelt, also lange bevor zum ersten Joint gegriffen wurde. Es folgten weitere Erhebungen mit 9, 11 und 13 Jahren. Die IQ-Werte aus der Kindheit und Pubertät wurden mit den Testergebnissen verglichen, die von denselben Probandinnen und Probanden im Alter von 38 Jahren erbracht wurden.

Nach Analyse der umfangreichen Daten zeigte sich: Wer schon früh in den regelmäßigen Konsum eingestiegen ist, hatte einen bis zu acht Punkte niedrigeren IQ als abstinente Personen. Je länger die Früheinsteiger gekifft hatten, desto stärker sank ihr IQ. Dies gilt auch dann, wenn die Anzahl der Bildungsjahre mit einbezogen werden. Das bedeutet: Auch wer lange zur Schule gegangen war oder sogar ein Hochschulstudium absolviert hatte, musste im Alter von 38 Jahren Intelligenzeinbußen hinnehmen, wenn er oder sie viel gekifft hat.

Was kritisiert Rogeberg?

Längsschnittstudien sind zwar gut geeignet, um Hinweise auf ursächliche Zusammenhänge zu gewinnen, sie liefern aber keine Beweise. Denn theoretisch können andere Faktoren die „wahre“ Ursache sein, aber unbemerkt bleiben. Rogeberg kritisiert, dass Cannabis vorschnell für eine verminderte Intelligenzentwicklung verantwortlich gemacht worden sei. Das neuseeländische Autorenteam habe es vernachlässigt, den so genannten sozioökonomischen Status in ihr Kalkül mit einzubeziehen. Damit ist vor allem der Bildungshintergrund der Eltern gemeint.

Rogeberg verweist darauf, dass Jugendliche, die einem bildungsfernen Elternhaus entstammen, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit früh in den Cannabiskonsum einsteigen und eher davon abhängig werden. Meier und ihr Team hätten den Einfluss von Cannabis somit möglicherweise überschätzt und den Einfluss der sozialen Schichtzugehörigkeit unterschätzt.

„Booster-Effekt“ als alternative Erklärung

Rogeberg hat ein alternatives Erklärungsmodell entwickelt und bringt die „Flynn-Dickens-Theorie“ ins Spiel, die auch als „Flynn-Effekt“ bekannt geworden ist. Die Wissenschaftler William Dickens und James Flynn haben sich mit einem Phänomen befasst, demzufolge der IQ in den Industrieländern kontinuierlich angestiegen ist. Beispielsweise sei der IQ in Dänemark von 1952 bis 1982 um 20 IQ-Punkte gestiegen. Der IQ gilt jedoch zu 75 Prozent als erblich bedingt, und eine schnelle Änderung des Genpools gilt als eher unwahrscheinlich.

Flynn und Dickens vermuten, dass die zunehmende kognitive Beanspruchung sowohl in der Arbeitswelt als auch im Rahmen von Freizeitaktivitäten verantwortlich dafür ist, dass die IQ-Werte ansteigen. Dies geschieht über eine Art Schneeball-Effekt: Ein kognitiv anspruchsvolles Umfeld erhöht den IQ der Menschen. Personen mit einem höheren IQ halten sich zudem eher in einer kognitiv anspruchsvollen Umwelt auf, die wiederum den IQ fördert und so weiter.

Rogeberg setzt hier an und erläutert, dass der IQ von Kindern aus einem bildungsfernen Elternhaus ansteigt, wenn sie in die Schule kommen. Die Schule habe einen „Booster-Effekt“ auf den IQ. Sobald diese Kinder als Jugendliche oder junge Erwachsene die Schule verlassen, trete allerdings der Effekt des sozial benachteiligten Umfelds wieder in den Vordergrund. Die Folge: Der IQ sinkt.

Bei Kindern aus sozioökonomisch besser gestellten Familien sei die IQ-Entwicklung hingegen stabiler. Diese Kinder würden meist schon vor Eintritt in die Schule in ihrer Intelligenzentwicklung gefördert. Die Schule habe dann keinen so starken Effekt mehr auf den IQ. Nach Abschluss der Schule verbleiben die jungen Menschen aus besser gestellten sozialen Schichten in einem anspruchsvollen Umfeld. Ihr IQ bleibt stabil oder steigt sogar.

Soziale Unterschiede erklären IQ-Differenzen

Rogeberg weist darauf hin, dass die IQ-Tests von Meier und ihrem Team zunächst in der Schulzeit und schließlich im Alter von 38 Jahren durchgeführt wurden. Der Unterschied im IQ-Niveau könne somit eine Folge des „Booster-Effekts“ sein, den die Schule auf die sozial benachteiligten Kinder gehabt habe.

Zur Untermauerung seiner Kritik hat Rogeberg eine mathematische Simulation mit den gleichen Daten durchgeführt, allerdings unter Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds. Seinen Berechnungen zufolge könne die unterschiedliche IQ-Entwicklung vollständig durch die sozialen Verschiedenheiten erklärt werden. Der wahre Effekt des Cannabiskonsums könne sogar gegen null gehen, schlussfolgert Rogeberg in seiner Publikation.

Forschungsteam weist Kritik zurück

Madeline Meier und ihr Forschungsteam kontern daraufhin in einer Stellungnahme. Sie hätten ihre Daten nochmal durchgerechnet und könnten Rogebergs Kritik nicht bestätigen. Auch wenn sie nur Personen aus der Mittelschicht in ihre Kalkulation einbeziehen, kämen sie auf das gleiche Ergebnis: Unabhängig von der sozialen Herkunft sinkt der IQ bei den Personen, die früh in den Cannabiskonsum eingestiegen sind und eine Abhängigkeit entwickelt haben.

Abgesehen davon sei Cannabiskonsum über alle soziale Schichten hinweg vorzufinden, schreibt das Autorenteam. „Wir möchten darauf hinweisen, dass unsere Ergebnisse, die auf einen IQ-Rückgang beim frühen Einstieg und nicht beim Einstieg als Erwachsener hindeuten, übereinstimmen mit Experimenten an Ratten, und Ratten gehen weder zur Schule noch haben sie einen sozioökonomischen Status“.

Fazit

Aus Sicht von Madeline Meier und ihrem Team liegt die naheliegendste Erklärung für den IQ-Unterschied in der pharmakologischen Wirkung von Cannabis auf das sich entwickelnde Gehirn. Rogeberg kritisiert diese Schlussfolgerung als vorschnell und hält dagegen, dass sich Unterschiede auch mit der sozialen Herkunft erklären lassen würden. Wer hat denn nun Recht?

Mit dieser Frage hat sich auch der Autor Arran Frood in der renommierten Fachzeitschrift Nature beschäftigt. Seine Antwort: „Beide Studien analysieren die gleichen Daten auf eine andere Art und Weise, und beide Methoden haben ihre Berechtigung.“ In der Welt des Sports würde man dies als Unentschieden bezeichnen. In der Wissenschaft bedeutet es, dass noch weitere Forschung notwendig ist, um zu klären, welche der beiden konkurrierenden Thesen zutrifft.

Möglicherweise haben beide Recht. Denn vieles deutet darauf hin, dass der frühe Einstieg in das Kiffen in die Hirnentwicklung eingreift und die kognitive Leistungsfähigkeit mindern kann. Unklar ist zwar noch, wie nachhaltig dies ist, möglicherweise kommt aber zusätzlich der Flynn-Effekt zum Zuge: Wer in der Jugend auf das Kiffen verzichtet, ist kognitiv im Vorteil und kann sich womöglich in stärkerem Maße intellektuell anspruchsvollen Dingen widmen.

Quellen:


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