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Juli 2020
Aktuelle Studien lege nahe, dass der Konsum von Cannabis die Gefäße schädigen und Herzrhythmusstörungen auslösen kann. Als Ursache kommen dabei nicht nur die Cannabiswirkstoffe in Betracht.
Bild: Enes Evren / istockphoto.com
Ein Brennen in der Brust riss ihn aus dem Schlaf. Ein 17-Jähriger wachte mit starken Schmerzen auf, die von der Brust bis zum Kiefer und über den linken Arm ausstrahlten. Eine Untersuchung im Krankenhaus ergab, dass er unter einer Verengung der Herzkranzgefäße litt, was eine reduzierte Blutzufuhr im Herzmuskel zur Folge hatte. Eine spezielle Form der Angina pectoris wurde bei ihm diagnostiziert.
Der 17-Jährige hatte keine Vorerkrankungen und zeigte auch sonst keine weiteren Herz-Kreislaufschäden. Unter der Gabe von Medikamenten erholte er sich und konnte nach drei Tagen das Krankenhaus wieder verlassen. Mangels anderer möglicher Ursachen vermutet das Ärzteteam, dass Cannabis die Angina ausgelöst hat. So gab der 17-Jährige an, am Abend vor dem Anfall Marihuana konsumiert zu haben. Das Kiffen habe er seitdem eingestellt. Bis zur letzten Nachuntersuchung nach neun Monaten habe er keinen weiteren Anfall mehr gehabt.
In der Forschungsliteratur finden sich weitere Fallberichte, die einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Herz-Kreislauferkrankungen herstellen. Einzelfälle haben allerdings nur eine begrenzte Aussagekraft, wenn es darum geht, die Ursachen einer Erkrankung zu erforschen. Problematisch ist zudem, dass Cannabiskonsumierende häufig auch Tabak rauchen. Denn wer Zigaretten oder andere Tabakprodukte raucht, hat ohnehin ein hohes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen.
Ein US-amerikanisches Forschungsteam um Theresa Winhusen hat eine groß angelegte Studie durchgeführt, um zuverlässigere Antworten auf die Frage zu erhalten, ob Cannabiskonsum das Herz-Kreislaufsystem schädigt. Das Team hatte Zugriff auf anonymisierte Patientendaten, die bis zu 18 Jahre in die Vergangenheit reichten. Insgesamt konnte das Team knapp 9.000 Patientinnen und Patienten herausfiltern, bei denen eine Cannabisabhängigkeit diagnostiziert wurde und von denen mindestens zwei positiv auf Cannabinoide getestete Urinproben vorlagen. Etwa die Hälfte von ihnen hatte auch Tabak geraucht, die andere Hälfte nicht.
Darüber hinaus wurden zwei gleich große Kontrollgruppen mit Personen gebildet, die keine Cannabisabhängigkeit aufwiesen und von denen keine Urinproben mit positivem Ergebnis für Cannabinoide vorlagen. Eine der Kontrollgruppen bestand aus Tabakraucherinnen und -rauchern, die andere aus nichtrauchenden Personen. Die Kontrollgruppen wurden so zusammengesetzt, dass sie mit Blick auf eine Reihe von relevanten Faktoren wie Alter, Geschlecht, Wohnort oder weiterem Substanzkonsum mit den Cannabiskonsumierenden vergleichbar waren.
Der Gruppenvergleich hat aufgezeigt, dass regelmäßiger Cannabiskonsum tatsächlich mit einem erhöhten Risiko für drei von vier untersuchten Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergeht, darunter Schlaganfälle, Herzrhythmusstörungen und so genannte Subarachnoidalblutungen. Letzteres sind Blutungen, die sich zwischen den Hirnhäuten ereignen, die das Gehirn umspannen. Dadurch wird Druck auf das dahinterliegende Hirngewebe ausgeübt.
Die Ergebnisse verdeutlichten zudem, dass auch Cannabiskonsumierende, die nicht zusätzlich Tabak rauchten, häufiger unter Herz-Kreislauferkrankungen litten als Personen der Vergleichsgruppe. Beispielsweise wurden bei 12 Prozent der Patientinnen und Patienten, die zwar Cannabis konsumierten, aber kein Tabak rauchten, Herzrhythmusstörungen diagnostiziert. In der cannabisabstinenten Kontrollgruppe traf dies nur auf 7 Prozent zu.
Das Forschungsteam hat darüber hinaus eine höhere Sterblichkeitsrate unter den Cannabiskonsumierenden nachweisen können, auch wenn sie nicht zusätzlich rauchten. Jedoch lässt sich nicht sagen, woran die Personen letztlich verstorben sind.
Einzig für Herzinfarkte konnte entgegen dem Ergebnis einer anderen großen Studie kein Zusammenhang nachgewiesen werden. Aus Sicht von Winhusen und ihrem Team könne es daran liegen, dass andere Studien den Tabakkonsum nur unzureichend berücksichtigt hätten und es vor allem das zusätzliche Tabakrauchen sei, das bei Cannabiskonsumierenden eine erhöhtes Herzinfarktrisiko nach sich zieht.
Wurden jeweils nur die tabakrauchenden Gruppen miteinander verglichen, so konnten ebenfalls keine bedeutsamen Unterschiede zwischen ihnen festgestellt werden. Es war somit unerheblich, ob die tabakrauchenden Personen noch Cannabis konsumierten oder nicht. Das Forschungsteams vermutet, dass der schädliche Einfluss des Tabakrauchens bereits so groß ist, dass zusätzlicher Cannabiskonsum nicht mehr ins Gewicht fällt.
Der genaue Wirkmechanismus, wie Cannabis Einfluss nimmt auf das Herz-Kreislaufsystem, ist bislang wenig erforscht. Eine wichtige Rolle spielt vermutlich das Endocannabinoid-System im menschlichen Körper. Nicht nur im Gehirn, auch in den Gefäßen und im Herzmuskel finden sich Cannabinoid-Rezeptoren, an denen neben den körpereigenen auch pflanzliche Cannabinoide andocken und Effekte auslösen können.
Welche Effekte Cannabis im Herz-Kreislaufsystem bewirken kann, dazu hat jüngst ein US-amerikanisches Forschungsteam um Studienleiter Carl Lavie eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit veröffentlicht. Den Recherchen zufolge gehen vom Cannabiskonsum vermutlich drei Effekte aus, die sich auf die Gefäße auswirken.
Eine mögliche Folge des Kiffens sei eine so genannte „Cannabis Arteriitis“, das ist eine Entzündung der Arterien. Cannabis könne auch bewirken, dass sich die Gefäße vorübergehend zusammenziehen und zu Verengungen wie im oben beschriebenen Fall des 17-Jährigen führen. Über Cannabinoid-Rezeptoren auf den Blutplättchen bestehe zudem das Risiko, dass diese sich verklumpen und zu Verstopfungen in den Gefäßen führen, was einen Schlaganfall zur Folge haben kann.
Lavie und sein Team weisen darauf hin, das Cannabis noch andere Giftstoffe enthalten könne, von denen sich manche schädlich auf das Herz-Kreislaufsystem auswirken. Bei Cannabis, der auf dem Schwarzmarkt verkauft wird, sei unklar, wie dieser hergestellt oder weiterverarbeitet wurde. Bestimmte chemische Düngemittel würden beispielsweise N-Nitrosamine enthalten, die sich in Tierversuchen als krebserregend gezeigt haben. Es seien auch Rückstände von Insektiziden und Fungiziden auf Cannabis gefunden worden.
Die Cannabispflanze könne auch von Bakterien und Pilzen befallen sein. Bekannt sei, dass sich ein Schimmelpilz mit dem Namen Aspergillus fumigatus auf Cannabispflanzen einnistet. Der Pilz produziert so genannte Aflatoxine, die nach Angaben von Lavie und seinem Team schwerwiegende Schäden in den Gefäßen und in den Herzmuskelzellen auslösen können. So konnte eine weitere Studie aus den USA aufzeigen, dass Cannabiskonsumierende vergleichsweise häufig von Pilzinfektionen betroffen sind.
Die Risiken durch Cannabiskonsum könnten insbesondere für Personen relevant sein, die bereits unter einer Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems leiden. Zudem nehmen diese Patientinnen und Patienten in der Regel Medikamente ein, die mitunter Wechselwirkungen mit Cannabis eingehen können. Darauf verweist eine Fachpublikation unter der Leitung von Muthiah Vaduganathan.
Den Autorinnen und Autoren zufolge konsumieren in den USA mehr als zwei Millionen Menschen mit Herzleiden Cannabis. Das Forschungsteam empfiehlt, Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Rahmen der ärztlichen Behandlung auf Cannabiskonsum anzusprechen und diesen möglichst zu reduzieren. Vor allem sollten Patientinnen und Patienten über die negativen Effekte von Cannabis auf das Herz-Kreislaufsystem informiert werden.
Cannabiskonsum kann neuen Studien zufolge das Herz-Kreislaufsystem schädigen. Konsumentinnen und Konsumenten würden demnach ein höheres Risiko für Herzrhythmusstörungen und Gefäßschäden haben. Die Ursachen sind noch nicht abschließend erforscht. Angenommen wird, dass Endocannabinoid-Rezeptoren im Herz-Kreislaufsystem eine wichtige Rolle spielen. Denkbar seien auch Giftstoffe, die im Cannabis enthalten sind wie beispielsweise Rückstände von chemischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln. Auch von Pilzen und Bakterien, die sich auf der Cannabispflanze einnisten, gehe ein Risiko aus.
Vor allem für Personen, die bereits unter einer Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems leiden, könnte der zusätzliche Konsum von Cannabis Risiken bergen. Das können direkte schädliche Wirkungen von Cannabis auf das Herz-Kreislaufsystem sein oder unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
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