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Januar 2011
„Aber ich habe doch gar nicht gekifft“, soll schon so manch einer reklamiert haben, als die Urinprobe bei der Polizeikontrolle positiv auf THC getestet wurde. Kann das sein? Ist THC in nennenswerter Menge nachweisbar, wenn die Person nur passiv Cannabisrauch eingeatmet hat? Eine deutsche Forschergruppe wollte es genau wissen und hat in Kooperation mit einem holländischen Coffeeshop eine Studie unter realistischen Bedingungen durchgeführt.
Bild: LiliConCarne / photocase.de
Wer sich in Deutschland bekifft hinters Steuer setzt, riskiert nicht nur in erhöhtem Maße, in einen Unfall verwickelt zu werden, sondern auch seinen Führerschein zu verlieren. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu 2005 allerdings in einem Beschluss festgelegt, dass erst ab einer THC-Konzentration von über 1,0 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) im Blut tatsächlich von einer eingeschränkten Fahrtüchtigkeit auszugehen ist. Denn infolge des technischen Fortschritts habe sich die Nachweisdauer für THC deutlich erhöht. So könne auch länger zurückliegender Cannabiskonsum noch zu einem positiven Befund führen, obwohl man aktuell nicht gekifft hat.
Jörg Röhrich und sein Forschungsteam der Universität Mainz und der Universität Jena nennen diesen Aspekt als Ausgangspunkt ihrer Fachpublikation im Journal of Analytic Toxicology. Bisherige Studien hätten demnach nachweisen können, dass auch passiv eingeatmeter Cannabisrauch bedeutsame THC-Konzentrationen im Blut erzeugen können. Allerdings seien diese Experimente unter teils extremen Bedingungen durchgeführt worden, beispielsweise indem man fünf Freiwillige in einen Kleinwagen gezwängt und die wenige Luft darin mit sechs abgebrannten Joints angereichert hat. Bis zu 6,3 ng/ml THC im Blut der passiv rauchenden Insassen waren die Resultate. Da wäre der Führerschein wohl futsch, ohne am Joint gezogen zu haben.
Da Röhrich und seinem Team Szenarien wie das geschilderte doch zu unrealistisch erschienen, gingen sie einen anderen Weg, um herauszufinden, ob Passivrauchen tatsächlich zu kritischen THC-Werten führt. Sie setzten acht Personen - je vier Männer und Frauen - die noch nie gekifft hatten, in einen Coffeeshop im niederländischen Maastricht. Drei Stunden mussten sie ausharren, während der Laden brummte. Bis zu 25 Personen waren in dem 84 Quadratmeter großen Raum gleichzeitig am kiffen. Zur Sicherheit wurden zusätzlich 8 Gramm Cannabis in einem Aschenbecher abgebrannt - um temporär besuchsarme Phasen zu kompensieren. Zu mehreren Messzeitpunkten wurde anschließend die THC-Konzentration in Blut und Urin gemessen.
Im Gegensatz zu den Ergebnissen früherer Studien konnten Röhrich und sein Forschungsteam keine ernsthaft erhöhten THC-Werte feststellen. Nach Angaben der Autorinnen und Autoren hatte keiner der Versuchspersonen den Schwellenwert von 25 ng/ml THC im Urin erreicht. Zu erwähnen ist noch, dass sich auch keiner der abstinenten Männer und Frauen bekifft gefühlt hatte.
Röhrich und sein Team kommen daher zu dem Schluss, dass sehr wahrscheinlich keine der Versuchspersonen bei einer Routinekontrolle der Polizei positiv auf Cannabis getestet worden wäre. Auch eine Blutanalyse hätte Werte von unter 1 ng/ml THC ergeben. Passivkiffen könne also nicht als Ausrede herhalten, wenn der Teststreifen anschlägt.
Da alles aber nur eine Frage der Intensität ist, sollte man aber die Möglichkeit nicht ausschließen, dass auch passives Kiffen zu kritischen Urin-Werten führt. So wurde in einem Fall aus dem Jahre 2004 der Chill-Out-Bereich einer Technoveranstaltung einem Mann zum Verhängnis. Zwei Stunden habe er sich dort aufgehalten, bevor er sich ans Steuer gesetzt hatte. Er selbst habe zwar nicht gekifft, andere im Raum Anwesende dafür umso mehr. Als die Polizei den Mann aufgriff wurde eine THC-Konzentration von 5 ng/ml im Serum beim ihm festgestellt, woraufhin ihm sofort der Führerschein entzogen wurde.
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde schließlich vom Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg zurückgewiesen. Begründung: Es sei allgemein anerkannt, dass der Genuss von Cannabis die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt. Die erhebliche inhalative Aufnahme von Cannabis im Chill-Out-Bereich sei dem Antragsteller durchaus bewusst gewesen. Setze sich ein Fahrer trotz dieses Wissens ans Steuer, sei er wie ein aktiver Rauschgift-Konsument zu behandeln. Seine Fahrerlaubnis könne er nur dann wiedererlangen, wenn er durch ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU oder „Idioten-Test“) oder eine einjährige Drogenabstinenz belegen kann, dass er zwischen Konsum und dem Fahren eines Kraftfahrzeugs trennen kann.
Die Wissenschaft hat nachweisen können, dass es beim passiven Kiffen zu messbaren THC-Konzentrationen im Blut kommen kann. Zwar sei es unwahrscheinlich, dass diese den kritischen Schwellenwert von 1 ng/ml THC im Blut überschreiten, auszuschließen ist es aber nicht, wie die Extrembeispiele der Forschung oder auch die Rechtsprechung zeigt. Im Zweifelsfalle sollte das Auto also besser stehen bleiben.
Quelle:
Röhrich, J., Schimmel, I., Zörntlein, S., Becker, J. Drobnik, S., Kaufmann, T., Kuntz, V. & Urban, R. (2010). Concentrations of ?9 -Tetrahydrocannabinol and 11-Nor-9-Carboxytetrahydrocannabinol in Blood and Urine After Passive Exposure to Cannabis Smoke in a Coffee Shop. Journal of Analytical Toxicology, 34, 196-203. Zusammenfassung
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