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November 2015
Wie schädlich Cannabis für das Gehirn Jugendlicher ist, ist noch nicht vollständig geklärt. Zwei aktuelle Studien zu diesem Thema geben neue Hinweise. Cannabis scheint demnach nicht in jedem Fall die Gehirnentwicklung zu beeinflussen. Sowohl die Gene als auch das Geschlecht könnten eine Rolle spielen.
Bild: fotosipsak / iStockphoto.com
Es hämmert und brummt. Die „Röhre“ macht einen ziemlichen Lärm, ist für den Menschen aber weitestgehend harmlos. Ein Magnetresonanztomograph (MRT) liefert hochaufgelöste Bilder vom Inneren unseres Körpers und macht, anders als beim Röntgen, auch Details von Weichteilen wie dem Gehirn sichtbar. In der Forschung wird diese Technik unter anderem dazu eingesetzt, die Gehirne von Cannabiskonsumierenden mit denen von Personen zu vergleichen, die keine Erfahrung mit Cannabis haben.
Studien, in denen MRT-Aufnahmen eingesetzt wurden, ergeben aber kein einheitliches Bild. Einige Untersuchungen haben nachweisen können, dass Hirnbereiche wie der Hippocampus oder die Amygdala bei Cannabiskonsumierenden etwas kleiner ausfallen. Andere Studien finden keine Unterschiede.
Ein Forschungsteam um Studienleiter David Pagliaccio weist auf einen entscheidenden Nachteil hin, der mit den meisten bisherigen Studien zusammenhängt: Sie können nicht ausschließen, dass die Unterschiede zwischen den Gehirnen von Kiffern und Nicht-Kiffern nicht schon vor dem ersten Joint vorhanden waren.
Hinzu kommt, dass sich Menschen nicht nur äußerlich unterscheiden. Auch das Gehirn kann von Person zu Person Abweichungen aufweisen. In vielen Studien werden aber nur kleine Stichproben von unter hundert Personen untersucht. Bei kleinen Stichproben könnten diese natürlichen Abweichungen dazu führen, dass fälschlicherweise Unterschiede zwischen Kiffern und Nicht-Kiffern gefunden werden, die aber in Wirklichkeit auf natürlich vorkommende Unterschiede zurückzuführen sind.
Pagliaccio und sein Team haben eine neue Studie im Fachmagazin JAMA Psychiatry veröffentlicht, die nach eigenen Aussagen viele methodische Einschränkungen weitestgehend ausschließen sollte. Das Forschungsteam hatte eine große Stichprobe mit 483 Teilnehmerinnen und Teilnehmer untersucht, darunter 241 Geschwisterpaare. 50 von ihnen waren eineiige Zwillinge. Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch. Ihre Gehirne weisen somit ebenfalls eine weitestgehend identische Struktur auf. Wenn nun ein Zwilling kifft und der andere nicht, sich aber Unterschiede in den Gehirnen der Zwillinge nachweisen lassen, so würde dieser Befund dafür sprechen, dass Cannabis eine Ursache hierfür ist.
Tatsächlich konnte das Forschungsteam in bestimmten Hirnarealen Unterschiede zwischen Kiffern und Nicht-Kiffern feststellen. Betroffen waren die Amygdala sowie eine Region die als ventrales Striatum bezeichnet wird. Als das Forschungsteam nur Brüder und Schwestern miteinander verglich, von denen nur einer kifft, so waren allerdings keine Unterschiede mehr nachweisbar. Dies betraf eineiige Zwillinge ebenso wie normale Geschwister, die aber ebenfalls viele Gene miteinander teilen.
Im Klartext: Egal, ob die Geschwister Cannabis konsumierten oder nicht, ihre Gehirne wiesen keine bedeutsamen Unterschiede auf. Würde Cannabis Einfluss auf die Gehirnentwicklung haben, so hätten sich Unterschiede zwischen den Geschwistern abzeichnen müssen, wenn einer von ihnen kifft, der oder die andere aber nicht. Der Hippocampus und das ventrale Striatum waren bei Cannabiskonsumierenden also in der Regel schon vor dem ersten Joint kleiner als bei Nichtkonsumierenden. Die Größenunterschiede waren aber alle noch im Bereich der normalen Variation.
Dieser Befund spricht somit gegen die Hypothese, dass Cannabis zu Hirnveränderungen führt. Vermutlich würden die Gene oder andere Faktoren für größere oder kleinere Hirnareale verantwortlich sein, schreibt das Forschungsteam. Ein vollständiger „Freispruch“ für Cannabis sind die Ergebnisse allerdings nicht. So wurden die Teilnehmenden der Studie nur danach unterschieden, ob sie jemals Cannabis konsumiert hatten oder nicht. Die Häufigkeit des Konsums spielte keine Rolle. Andere Studien geben jedoch Anlass zur Vermutung, dass starker Konsum in der Jugend mit Intelligenzminderung in Zusammenhang steht.
Eine zweite Studie, die in der gleichen Ausgabe des Fachmagazins JAMA Psychiatry veröffentlicht wurde, zeigt auf, dass sich Hirnveränderungen durch Cannabiskonsum womöglich nur auf eine ganz bestimmte Gruppe beschränken: Laut Studie sind nur männliche Cannabiskonsumenten betroffen, die früh eingestiegen sind und die zudem ein erhöhtes genetisches Risiko für die Entwicklung von Schizophrenie aufweisen. Wie hat das Forschungsteam das herausgefunden?
Studienleiter Tomáš Paus und sein Team haben eine große Stichprobe von über 1.500 Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der normalen Bevölkerung untersucht. Für jeden Teilnehmenden wurde das genetische Risiko für Schizophrenie ermittelt. Nach Angaben des Forschungsteams gibt es 108 bekannte Stellen in unseren Genen, die mit Schizophrenie in Zusammenhang stehen, und je mehr derartige Gensequenzen bei einer Person gefunden werden, desto stärker ausgeprägt ist ihr Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken.
Bei allen Teilnehmenden wurde die Dicke der Hirnrinde mit Hilfe der Magnetresonanztomographie gemessen. Die Hirnrinde ist eine mehrere Millimeter dicke Schicht, die das Gehirn umgibt und die überwiegend aus Nervenzellen besteht. Die dicht gepackten Nervenzellen haben eine graue Farbe, weshalb auch von der grauen Substanz gesprochen wird. Darunter befinden sich vor allem Nervenbahnen, die als weiße Substanz bezeichnet werden.
In der Pubertät machen Jugendlichen nicht nur äußerlich eine Wandlung durch, auch ihr Gehirn gleicht einer Baustelle. Nerven werden neu miteinander verknüpft, neue Verbindungen zwischen Hirnarealen aufgebaut und nicht mehr benötigte abgebaut. Bei männlichen und weiblichen Jugendlich verläuft die Hirnreifung allerdings unterschiedlich.
Das Forschungsteam hat nun herausgefunden, dass Cannabis nur bei männlichen Jugendlichen Einfluss hat auf die Reifung der Hirnrinde: Je mehr die Teilnehmer Cannabis als Jugendliche konsumiert hatten, desto dünner war die Hirnrinde ausgeprägt. Dies traf allerdings nur dann zu, wenn die Teilnehmer gleichzeitig ein genetisch bedingt erhöhtes Risiko für Schizophrenie aufwiesen. Bei Mädchen und Frauen konnte hingegen kein Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und dem Zustand der Hirnrinde festgestellt werden.
Ob Cannabis tatsächlich die Ursache für die Hirnveränderungen ist, kann von der Studie nicht abgeleitet werden. Studienleiter Tomáš Paus erklärt, dass die Ergebnisse ihrer Studie allerdings dafür sprechen würden, dass die Gehirne von männlichen Jugendlichen stärker durch die schädlichen Wirkungen von Cannabis betroffen sein könnten. Es sei möglich, dass nur bei Jungen, die eine entsprechende genetische Veranlagung mitbringen, Cannabis ungünstig in die Hirnreifung eingreift.
Aktuellen Studien zufolge scheint Cannabis das Gehirn nicht grundsätzlich zu schädigen. Zumindest konnten bei einem Vergleich von eineiigen Zwillingen, von denen einer kifft und der andere nicht, keine Unterschiede zwischen den Gehirnen festgestellt werden. Eine weitere Studie hat jedoch aufzeigen können, dass Kiffen unter bestimmten Bedingungen Einfluss nimmt auf die Hirnentwicklung. Betroffen sind demnach nur Jungen, die eine genetische Veranlagung für Schizophrenie aufweisen. Ob diese Jungen ihr Risiko für Psychose tatsächlich durch Kiffen erhöhen, ist noch unklar. Fest steht aber, dass ein Einfluss auf die Gehirnentwicklung nicht auszuschließen ist.
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