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August 2023
Es fühlt sich nicht gut an. Aber gefährlich ist es nicht. Der Ausstieg vom langjährigen Kiffen löst bei manchen Personen ein Entzugssyndrom aus, das sehr unangenehm sein kann. Die Symptome sind aber von begrenzter Dauer und Betroffene können selbst etwas dagegen tun.
Bild: .marqs / photocase.de
„Ich habe immer gedacht, ich hab’s unter Kontrolle.“ Der 22-jährige Patrick hatte das Gefühl, alles im Griff zu haben. „Es ist ja nur Gras. Es ist ja nicht chemisch“, hat er sich lange eingeredet. „Es ist ja nicht sowas wie Heroin oder Kokain.“ Aber als er versucht hat, mit dem Kiffen aufzuhören, kamen die Entzugssymptome. „Ich kann nicht mehr schlafen, wenn ich nicht konsumiere. Ich werde aggressiv, wenn ich nicht konsumiere. Ich kriege schwitzige Hände. Das sind halt alles so‘ne Anzeichen gewesen, wo ich mir dann schon selber gesagt habe ‚Okay, du bist abhängig‘.“
Was Patrick im drugcom-Video beschreibt, sind Anzeichen einer körperlichen Abhängigkeit. Tatsächlich sind Entzugserscheinungen bei Cannabisabhängigkeit noch gar nicht so lange bekannt. Nach Einschätzung der Mediziner Udo Bonnet und Ulrich Preuss wurde in der Wissenschaft noch bis in die 1990er Jahre angezweifelt, dass es körperliche Entzugserscheinungen von Cannabis überhaupt gibt.
Spätestens seit einem wissenschaftlichen Übersichtsartikel aus dem Jahre 2004 hat sich die Lage geändert. Alan Budney und sein Team hatten bisherige Einzelstudien ausgewertet und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich ein so genanntes Cannabis-Entzugssyndrom bei manchen Cannabisabhängigen eindeutig nachweisen lässt.
Bonnet und Preuss weisen darauf hin, dass sich die Lage möglicherweise auch deshalb geändert hat, weil der Wirkstoffgehalt von Cannabis über die Jahre zugenommen hat. Allein zwischen 2006 und 2016 hat sich der Anteil des Hauptwirkstoffs THC in Haschisch und Marihuana ungefähr verdoppelt.
Etwa neun von zehn Personen mit einer Cannabisabhängigkeit entwickeln ein Entzugssyndrom, wenn sie aufhören zu kiffen. Von einem Entzugssyndrom wird gesprochen, wenn drei oder mehr der folgenden Symptome vorliegen:
Die Symptome treten häufig nach einem, spätestens aber am zweiten Tag nach dem Absetzen des Konsums ein. Die Entzugssymptome können je nach Person sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Auch die aktuelle Lebenssituation und das Geschlecht spielen eine Rolle. Die Forschung hat gezeigt, dass Frauen nicht nur schneller eine Cannabisabhängigkeit entwickeln, auch das Entzugssyndrom fällt bei Frauen tendenziell stärker aus.
Generell dürfte die Intensität des Cannabiskonsums von Bedeutung sein. Je länger und stärker der Konsum war, desto intensiver können auch Entzugssymptome ausfallen. Dies gilt besonders für Personen, die synthetische Cannabinoide über einen längeren Zeitraum konsumiert haben.
Synthetische Cannabinoide haben meist eine stärkere Wirkung und lösen ein intensiveres Entzugssyndrom aus. Der Entzug nach „normalem“ Cannabis sei in etwa vergleichbar mit dem Entzug bei einer Tabakabhängigkeit. Beim Entzug von synthetischen Cannabinoiden können zusätzlich noch Übelkeit und Erbrechen hinzukommen, was eher untypisch ist für den Entzug von pflanzlichen Cannabinoiden.
Grundsätzlich sind zwei unterschiedliche Verläufe zu unterscheiden. Der erste Verlaufstyp ist dadurch geprägt, dass die Entzugssymptome vom ersten Tag an nach und nach abnehmen. Beim zweiten Verlaufstyp nehmen die Symptome in den ersten Tagen hingegen noch zu, um dann etwa ab dem vierten Tag kontinuierlich, also von Tag zu Tag abzunehmen.
Nach etwa drei bis vier Wochen ist der Entzug bei beiden Verläufen weitestgehend überstanden. Allerdings kann der Wunsch nach weiterem Konsum jederzeit wieder aufflammen. Daher ist eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem persönlichen Konsummuster, den Risikosituationen und möglichen Bewältigungsstrategien sinnvoll.
Cannabis entfaltet seine Wirkung, weil der Hauptwirkstoff THC an Cannabinoidrezeptoren im Gehirn andockt. Dauerhafter Konsum führt jedoch zu einer Desensibilisierung der Rezeptoren. Der Körper gewöhnt sich an die häufige Zufuhr von THC. Die Folge ist, dass die Aktivität der Cannabinoidrezeptoren heruntergefahren wird.
Wird der Konsum eingestellt oder bedeutsam reduziert, „fehlt“ die gewohnte Dosis THC. Die Cannabinoidrezeptoren sind auf Entzug. Der Organismus passt sich aber an und regelt die Aktivität der Rezeptoren wieder hoch. Ist die Aktivität des Endocannabinoid-Systems wieder auf Normalniveau, klingen auch die Entzugssymptome ab.
Gerade zu Beginn des Entzugs kann ein besonders starker Wunsch nach weiterem Konsum auftreten. Denn erneuter Konsum kann Entzugssymptome schnell lindern. Die Rückfallgefahr ist entsprechend hoch. Eine der häufigsten Entzugssymptome sind Schlafprobleme. Diese treten meist schon zu Beginn des Entzugs auf, während beispielsweise Angstsymptome oder verstärkte Reizbarkeit eher etwas später auftreten.
Schlafprobleme werden oft als sehr belastend empfunden und bergen das Risiko, dass der Konsum wieder aufgegriffen wird, um endlich wieder wie gewohnt einschlafen zu können. So zeigte sich in einer Studie mit 55 Cannabisabhängigen, die ohne professionelle Unterstützung aus dem Konsum aussteigen wollten, dass die Rückfallquote besonders dann hoch war, wenn die Personen von Schlafproblemen berichteten. Bereits am ersten Tag des Entzugs ist fast die Hälfte der Teilnehmenden mit Schlafproblemen rückfällig geworden. Bei den Teilnehmenden ohne Schlafprobleme waren es „nur“ 24 Prozent.
Eine erhöhte Rückfallgefahr haben Cannabiskonsumierende vor allem dann, wenn sie zusätzlich noch Tabak rauchen. Denn Cannabis und Tabak können eine enge Verbindung eingehen. Eine Lösung des Problems wäre, sowohl den Konsum von Cannabis als auch das Tabakrauchen gleichzeitig einzustellen. Dies mag zwar schwieriger erscheinen als nur eine Substanz wegzulassen. Aus der Forschung gibt es aber Hinweise, dass der gleichzeitige Ausstieg erfolgreicher ist, als wenn nur auf eine der beiden Drogen verzichtet wird.
Bislang gibt es keine speziellen Medikamente gegen Entzugserscheinungen bei Cannabiskonsum. Dennoch kommen mitunter Medikamente im Rahmen einer qualifizierten Entgiftung zum Einsatz, beispielsweise um Schlafprobleme zu behandeln. Eine Entgiftung findet immer stationär in einer medizinischen Einrichtung statt. In dem meisten Fällen ist eine stationäre Behandlung des Cannabisentzugs aber nicht notwendig. Nur eine Minderheit entwickelt starke, behandlungsbedürftige Entzugssymptome.
Betroffene können auch selbst etwas tun, um mit Entzugssymptomen klar zu kommen. Neben der körperlichen Umstellung ist beispielsweise das Einschlafen vor allem „Kopfsache“. Bei sehr vielen Cannabiskonsumierenden hat sich ein abendliches Ritual entwickelt, das stark mit dem Kiffen verknüpft ist und dem Körper signalisiert: Jetzt ist Zeit zum Schlafen. Daher ist es anfangs nicht leicht, ohne die Bong oder den Joint abends zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen.
Wichtig ist es, tagsüber aktiv zu sein und sich abzulenken. Vor allem sportliche Aktivität ist ein gutes Mittel, um nicht nur den Kopf frei zu kriegen und fit zu bleiben. Studien zufolge hilft Sport auch im Entzug gegen das Craving. So wurde in einer Studie belegt, dass 30 Minuten Joggen pro Tag nicht nur den Suchtdruck, sondern auch den Konsum signifikant senkt. Die Beteiligten hatten innerhalb von einer Woche ihren Konsum auf die Hälfte reduziert - obwohl sie nicht einmal vorhatten aufzuhören.
Allerdings ist Sport auch nicht das Allheilmittel. In einer Studie mit Cannabisabhängigen, die selbständig aussteigen wollten, war die Rückfallquote bei den sportlich Aktiven anfänglich zwar niedriger als bei den sportlich nicht aktiven Personen. Nach etwa einer Woche gab es aber keinen Unterschied mehr. Beide Gruppen hatten den Ausstieg allerdings ohne professionelle Unterstützung in Angriff genommen.
Daher ist es für Personen mit langjährigem Cannabiskonsum empfehlenswert, sich professionell unterstützen zu lassen. Das kann eine Drogenberatungsstelle vor Ort sein oder auch online erfolgen. In beiden Fällen unterstützen professionelle Beraterinnen und Berater Ratsuchende kostenlos dabei, sich mit dem Ausstieg auseinanderzusetzen.
Der Ausstieg aus dem Cannabiskonsum kann mit Entzugssymptomen wie Schlafstörungen, erhöhte Reizbarkeit oder körperliche Unruhe verbunden sein. Entzugssymptome können quälend sein und das Risiko für einen Rückfall erhöhen. Bewegung und ein aktiver Umgang mit Entzugssymptomen können jedoch helfen.
Wer Probleme damit hat, den Konsum zu reduzieren oder einzustellen, sollte am besten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, entweder in einer Beratungsstelle vor Ort oder online. Quit the Shit ist ein Onlineprogramm von drugcom.de, das durch professionelle Beraterinnen und Berater betreut wird und kostenlos genutzt werden kann.
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