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Aufhören und trotzdem Kiffer bleiben

Juli 2014

„Ich hätte früher auf die Bremse gehen sollen.“ Im Nachhinein bereut David, dass er seinen Cannabiskonsum nicht eher aufgegeben hat. Er hatte bereits jahrelang gekifft und war stark mit der Cannabiskultur identifiziert. Kiffen war nicht nur der Konsum einer Droge, vielmehr hat es Davids Lebensstil und Identität geprägt. Für viele Konsumierende ist Kiffen Ausdruck einer bestimmten Lebenshaltung. Doch irgendwann ist trotzdem Schluss.

Roter Notausschalter mit Beschriftung

Bild: Dominik Schwarz / photocase.com

David ist einer von 25 Menschen im Alter zwischen 23 und 40 Jahren, die von der norwegischen Forscherin Silje Dahl interviewt wurden. Es waren sehr persönliche Interviews, die bis zu 3 Stunden dauerten. Alle Befragten hatten ihren Konsum ohne fremde Hilfe reduziert oder eingestellt. Der Forscherin ging es um die Frage, was Menschen dazu bewegt, aus dem Kiffen auszusteigen oder zu reduzieren. Jeder der Interviewten hatte seine eigenen Gründe und Erklärungen, dennoch ließen sich typische Merkmale beim Ausstieg herausarbeiten.

Kein Interesse mehr

Für viele sei das Kiffen nur eine Phase gewesen, die irgendwann ein Ende hatte. Sie hätten einfach kein Interesse mehr am Kiffen gehabt. Für Inga beispielsweise sei Kiffen zwar ein wichtiger Bestandteil der Jugend gewesen, den sie nicht missen möchte, der für sie aber keinen Platz mehr habe in der Welt der Erwachsenen. Die Cannabiskultur jenseits des Mainstreams sei zwar eine wichtige Erfahrung gewesen, aber Kiffen passe aus ihrer Sicht nicht zum Erwachsensein.

Oliver geht noch einen Schritt weiter. Er habe viel über das Älterwerden nachgedacht, darüber was es heiß, erwachsen zu werden. Im Nachhinein betrachtet sei ihm das ständige Bekifftsein am Wochenende auch als Zeitverschwendung erschienen. Er wollte vermeiden, dass er eines Tages feststellt, dass er die Dinge, die im wichtig sind, nicht erreicht hat, weil er zu viel kifft.

Eltern werden

Ein Kind zu bekommen dürft vermutlich einer der herausragenden Wendepunkte sein, die bei vielen jungen Menschen das mehr oder weniger unbeschwerte Gefühl des Jungseins vom Erwachsensein trennt. So zeigte sich auch in den Interviews, die Dahl geführt hat, dass sich für viele der Befragten die Herausforderungen der Elternschaft nur schlecht mit der Aufrechterhaltung des alten Konsummusters vereinbaren ließen.

Bei Carl waren es vor allem praktische Überlegungen, die ihn dazu veranlassten, mit dem Kiffen aufzuhören. Er betrachtet Kiffen zwar nicht als gefährlich, aber die Möglichkeit, wegen des Besitzes von Cannabis von der Polizei aufgegriffen zu werden, war eine Vorstellung, die er nicht mit der neuen Rolle als Vater in Einklang bringen konnte. Es passe nicht zu seinem Selbstverständnis als verantwortungsvoller Familienvater.

David hingegen hatte noch jahrelang weitergekifft. Allerdings habe er gemerkt, wie das Kiffen eine Art Barriere zwischen ihm und seinen Sohn aufgebaut habe. Im Nachhinein betrachtet habe er zu viel Zeit mit dem Kiffen verbracht. Zeit, die er sich nicht mit seinem Sohn beschäftigt habe. Manchmal habe er sich wie ein Junkie gefühlt, der nur noch kifft, weil er muss, nicht weil er will. Erst als sein Sohn 15 Jahre alt war, dämmerte ihm, dass es so nicht weiter gehen könne und beschloss, den Konsum endgültig einzustellen.

Beziehungsprobleme

Ein häufiges Thema in den Interviews war die Beziehung zu einem Partner oder einer Partnerin. Vor allem die Männer der Studie berichteten von negativen Auswirkungen des Kiffens auf die Partnerschaft. Ihre Freundinnen hätte sich oftmals darüber beklagt, dass sie zu oft oder und zu viel kiffen würden. Auch Nicolais Freundin habe sich beschwert. Ihrer Ansicht nach sei der Drogenkonsum ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmen würde. Er habe ihr zwar erklärt, dass es nicht so sei, dennoch habe er mit Rücksicht auf die Freundin das Kiffen reduziert.

Einschneidende Erlebnisse

Bei Dina war es die Polizei. Sie ist zu ihrem Freund befragt worden, der Probleme bekommen hatte, weil er mit Cannabis gedealt hat. Die Befragung beschrieb sie als einschneidendes Erlebnis, das sie zu dem Entschluss getrieben habe, mit dem Kiffen aufzuhören. Denn sie fühlte sich stigmatisiert „wie eine Art Zweite-Klasse-Mensch.“

Andere Befragten berichteten von traumatischen Drogenerfahrungen, die zu Wendepunkten in ihrem Leben wurden. Drei Männer waren seit Jahren intensive Kiffer. Plötzlich reagierten sie mit Angst und Depressionen oder hatten psychotische Erlebnisse. Bei Neil führte dies zwangsläufig zur Abstinenz: „Ich hatte intensive Angstattacken. Wenn ich sie nicht gehabt hätte, würde ich vermutlich immer noch ein bisschen kiffen. Aber ich war gewissermaßen gezwungen aufzuhören… Ich muss zugegen, dass ich immer die Phantasie gehabt hatte, dass es irgendwann wieder Spaß macht. Aber ich habe den Traum immer weiter aufgeben müssen.“

Deutlich werde, betont Silke Dahl, dass Neil weniger aus einer aktiven, überzeugten Entscheidung heraus aufgehört habe, als vielmehr aufgrund der Einsicht, dass er die Angst nicht in Griff kriegt, es sei denn, er hört auf zu kiffen. In vielen Interviews seien oftmals mehr die Umstände als Grund für den Ausstieg genannt worden. Die Droge selbst wurde hingegen weiterhin als prinzipiell harmlos dargestellt. „Es gab diese Loyalität gegenüber der Idee, dass Cannabis eine harmlose Droge ist“, schreibt Dahl.

Aufrechterhaltung der Kiffer-Identität

Auffällig sei laut Dahl gewesen, dass viele der Befragten teilweise seit Jahren nicht mehr kifften, sich aber dennoch nicht als Aussteiger bezeichneten. Wie bei David sei das Kiffen bei vielen Interviewten auch Ausdruck eines alternativen Lebensstils, der sich nicht am Mainstream orientiert. Cannabis war und sei immer noch „wertvoll“ für die Befragten, nicht nur aufgrund seiner Wirkung, sondern auch weil es Teil ihrer Identität geworden sei.

Das Reduzieren sei daher ein „bittersüßer“ Prozess, der bei vielen mit einer starken Ambivalenz einhergehe. Die Befragten mussten einen für sie lange Zeit angenehmen Lebensstil hinter sich lassen und sich in einem neuen konsumfreien Leben zurechtfinden. Es sei daher verständlich, dass sie die frühere Version ihrer selbst nicht radikal aufgeben, sondern ihre Identität als freiheitsliebende Menschen aufrechterhalten wollen - allerdings ohne zu kiffen.

Quelle:
Dahl, S. L. (2014). Remaining a user while cutting down: The relationship between cannabis use and identity. Drugs: education, prevention and policy, doi:10.3109/09687637.2014.920765


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