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Amphetamine - Von Benzedrin bis Crystal Meth

Mai 2016

Crystal Meth? Das ist doch diese neue Modedroge aus den USA, oder? Bei oberflächlicher Betrachtung der medialen Berichterstattung könnte der Eindruck entstehen, als wenn Crystal Meth eine neue Designerdroge ist. Doch das ursprünglich als Medikament entwickelte Stimulanzium wurde schon Mitte des 20. Jahrhunderts in großem Stile missbräuchlich verwendet.

Crystal-Kristalle

Bild: Kaesler Media / Fotolia.com

„Diese Erregung wird immer hochgradiger, die Tiere haben dauernd etwas zu tun, sie drehen sich ‚tanzend‘ oft stundenlang im Kreis, teils fressen sie sich vor Erregung die Pfoten und Bauchdecken an, so daß sie heftig bluten.“ So beschrieb der deutsche Chemiker Fritz Hauschild das Verhalten von Laborratten, nachdem er den Tieren eine hohe Dosis Methamphetamin verabreicht hatte. Das war 1938. Ein Jahr zuvor hatte sein Arbeitgeber, das Pharma-Unternehmen Temmler in Berlin, das Patent für das Stimulanzium erhalten.

Hauschild hatte Methamphetamin jedoch nicht als Erster synthetisiert. Es war der Japaner Akira Ogata, der im Jahre 1919 erstmals Methamphetamin in seiner kristallinen Form hergestellt hat. Ogata hatte allerdings kein Patent angemeldet und betrieb keine Vermarktung der Substanz.

Die Temmler-Werke hatten Methamphetamin hingegen schon ein Jahr nach der Patentierung unter dem Namen Pervitin als frei verkäufliche Tabletten und Ampullen auf den Markt gebracht. Die empfohlenen Anwendungen reichten von der Behandlung von Asthma, der Entwöhnung von Morphin und Alkohol bis hin zur Heilung psychiatrischer Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen. Von einer möglichen Suchtgefahr war da noch nicht die Rede.

Pervitin unter deutschen Soldaten

In der Folge hatte sich die Droge sowohl in der zivilen Bevölkerung Deutschlands als auch unter den Soldaten der deutschen Wehrmacht rasch verbreitet. Es hatte sich offenbar schnell herumgesprochen, welche verlockende Wirkung die Substanz hat. Laut den Recherchen des Medizinhistoriker Nicolas Rasmussen wurden in der Zeit zwischen 1939 und 1940 über 10 Millionen Pervitin-Tabletten pro Monat unter den deutschen Soldaten verteilt.

Der hohe Verbrauch in der Wehrmacht soll nach Einschätzung von Historikern jedoch nicht von der Nazi-Regierung angeordnet, sondern von den Soldaten und ihren Vorgesetzen ausgegangen sein. Vermutlich war es der Wirkung von Pervitin zuzuschreiben, also der Kombination von erhöhter Leistungsfähigkeit und optimistischer Gestimmtheit, die die hohe Nachfrage von Pervitin unter Soldaten angetrieben hat. Die Journalisten Maik Baumgärtner, Mario Born und Bastian Pauly haben ein Buch über das Phänomen Crystal Meth verfasst und schreiben, dass sich die Soldaten in „aggressive und ausdauernde Kampfmaschinen“ verwandelt hätten. So soll der Pervitin-Missbrauch einen nicht unbeträchtlichen Anteil an den schnellen militärischen Erfolgen der deutschen Wehrmacht gehabt haben. Allerdings war die Einnahme von Amphetaminen unter Soldaten nicht beschränkt auf die deutsche Wehrmacht. Auch in den USA, in Großbritannien und Japan nahmen Soldaten im Zweiten Weltkrieg Amphetamine ein.

Erste Bedenken wegen Nebenwirkungen

Mit dem hohen Verbrauch von Amphetaminen in den Streitkräften wurden bald auch Nebenwirkungen sichtbar. Denn Amphetamine setzen die Urteilskraft herab, lösen Psychosen aus oder können Herzinfarkt und Schlaganfall verursachen. Otto F. Ranke, Leiter des Instituts für Allgemeine und Wehrphysiologie in Berlin, hatte daher bereits 1939 Empfehlungen für die Einnahme ausgesprochen, die darauf abzielen, die Nebenwirkungen und die Suchtgefahr zu mindern. Er stellte fest, dass Pervitin einen physischen Kollaps verursachen könne, wenn es länger als 24 Stunden eingenommen wird. Die Einnahme sollte nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen und immer von einem langen, erholsamem Schlaf gefolgt werden.

Ranke hatte vorher klinische Studien mit Studierenden durchgeführt, die er jedoch vorzeitig abbrechen musste. Einige seiner Probanden erlitten Herzrhythmusstörungen oder sind auf den Geschmack gekommen und konsumierten Pervitin auch außerhalb der Studie weiter. Da insbesondere die Suchtgefahr und die Nebenwirkungen immer stärker in den Vordergrund gerückt sind, wurde Pervitin schon 1941 unter das Opium-Gesetz gestellt, dem Vorläufer des heutigen Betäubungsmittelgesetzes.

Benzedrin gegen Asthma

Acht Jahre vor der Wiederentdeckung von Methamphetamin durch Fritz Hauschild wurde in den USA ein anderes Mittel mit ähnlichen Wirkungen entwickelt. Hintergrund war die Suche nach einem Medikament gegen Asthma. Zwar stand eine Pflanze namens Ma huang zur Verfügung, dessen Wirkstoff Ephedrin bei Asthmaanfällen half, die Bronchien zu erweitern. Ein Problem war aber die Seltenheit dieser Pflanze. Adrenalin, ein körpereigenes Hormon, war ebenfalls geeignet, die Atemnot bei Asthma zu lindern. Adrenalin hat jedoch den Nachteil, dass es nur intravenös verabreicht werden kann.

1929 ist dem Chemiker Gordon Alles dann der Durchbruch gelungen: Er hatte erstmals Amphetamin synthetisiert, ein vollständig künstlich hergestelltes Stimulanzium, das als flüchtige Substanz inhaliert werden konnte. Der Chemiker ließ die Substanz 1932 patentieren. 1934 wurde Methamphetamin von dem Unternehmen Smith, Kline and French (SKF) unter dem Handelsnamen Benzedrin auf den Markt gebracht. Benzedrin war anfänglich so leicht zugänglich wie Aspirin und erzielte bald große Umsätze.

Studierende nutzten leistungssteigernde Wirkung von Benzedrin

Studien mit Benzedrin belegten zudem einen Weckeffekt sowie Verbesserungen der kognitiven Leistungsfähigkeit bei niedrigen Dosierungen. Diese Eigenschaften haben sich, wie bei Pervitin, auch bald Studierende zunutze gemacht, um sich beim Lernen oder bei den Vorbereitungen auf eine Prüfung wach und bei guter Laune zu halten. Schon 1937 warnte die Zeitschrift Time vor den Gefahren des Konsums von Benzedrin unter Studierenden. Doch trotz der sich bereits abzeichnenden Suchtgefahr hielten Ärzte an dem Mittel fest.

Aufgrund der Berichte über Stimmungsverbesserungen wurden Studien mit Benzedrin durchgeführt, um psychiatrische Erkrankungen zu behandeln. Allerdings wurde deutlich, dass sich Verbesserung nur bei leichten depressiven Erkrankungen zeigten, aber Verschlechterungen bei schweren Depressionen, Psychosen und Angsterkrankungen. In den USA und Großbritannien wurde Benzedrin daraufhin zur Behandlung milder Depressionen vermarktet. In Deutschland hatte diese Rolle Pervitin eingenommen.

Eine weitere Anwendung der Amphetamine war die Gewichtskontrolle aufgrund der appetithemmenden Wirkung. Schon in den ersten klinischen Studien wurde beobachtet, dass die Personen nach einigen Wochen an Gewicht verloren. Bis in die späten 1960er Jahre war der Gebrauch von Amphetaminen wie Benzedrin und Pervitin eine der häufigsten zugelassenen Anwendungen zur Gewichtskontrolle.

Der Gebrauch von Amphetaminen zu medizinischen Zwecken war allerdings immer auch von Missbrauch und Abhängigkeit begleitet. Einem Bericht aus den 1960er Jahren zufolge haben immerhin 10 Prozent der Personen, denen Amphetamine verschrieben wurden, eine Abhängigkeit entwickelt.

Medizinischer Gebrauch und Missbrauch schlecht zu trennen

Es wurden noch weitere Amphetamine entwickelt, doch der medizinisch begründete Gebrauch ließ sich nie wirklich erfolgreich vom missbräuchlichen Konsum der Substanz trennen. Methamphetamin und Amphetamin wurden jeweils schon kurz nach der Markeinführung als Medikament sowohl im beruflichen wie auch im Freizeitbereich missbraucht, um sich wach zu halten, um depressive Stimmungen zu lindern oder einfach um beim Feiern gut drauf zu sein. Die Motive beim Konsum der heutigen „Modedrogen“ Crystal Meth und Speed sind daher vermutlich nicht sehr viel anders als in den Anfängen, als die Wirkstoffe noch als Pervitin und Benzedrin legal erhältlich waren.

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