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April 2016
Ist Kiffen schlecht für die Intelligenz? Frühere Studien haben einen Zusammenhang gefunden. Aktuelle Untersuchungen sehen jedoch nicht das Kiffen als Ursache für eine ungünstige Intelligenzentwicklung. Vielmehr seien Kiffen und verminderte Intelligenz die Folge anderer Faktoren.
Bild: cydonna / photocase.com
2012 hatte eine Studie aus Neuseeland für Aufmerksamkeit gesorgt. „Kiffen macht dumm“ lauteten die Schlagzeilen in den Medien. Wenn Jugendliche Cannabis konsumieren könne dies einen Rückgang des Intelligenzquotienten (IQ) um bis zu 8 Punkte verursachen. In zwei aktuellen Studien fand sich jedoch keine Bestätigung dafür, dass Cannabis die Ursache für einen IQ-Rückgang ist.
Bei der Frage, ob ein Verhalten wie das Kiffen Einfluss auf die Intelligenz nimmt, stehen Forscherinnen und Forscher meist vor dem Problem, dass sie viele andere mögliche Einflussfaktoren ausschließen müssen. So ist bekannt, dass Cannabiskonsum oft einhergeht mit einer Reihe weiterer Risikofaktoren wie soziale Probleme in der Kindheit oder dem Konsum anderer psychoaktiver Substanzen. Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass Jugendliche, die mit dem Kiffen anfangen, schon vorher Probleme hatten oder andere Substanzen konsumieren, die sich ebenfalls ungünstig auf die Intelligenzentwicklung auswirken.
Ein britisches Forschungsteam um Claire Mokrysz vom University College London hat versucht, diese methodischen Probleme in einer Längsschnittstudie zu berücksichtigen. In der Studie wurden über 2.000 Jugendliche untersucht, die von Geburt an begleitet wurden. Im Alter von 8 Jahren wurde die Intelligenz erstmals gemessen. Mit 15 Jahren wurde die Messung wiederholt. Zudem wurden die Jugendlichen dazu befragt, ob und wie oft sie bereits Cannabis konsumiert hatten.
Dabei zeigte sich zunächst - wie in der Studie aus Neuseeland - ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Kiffens und dem IQ im Alter von 15 Jahren. Jugendliche, die schon mehr als 50-mal gekifft hatten, hatten einen um 2,9 Punkte niedrigeren IQ als Gleichaltrige, die noch nie Cannabis konsumiert hatten. Wenn das Forschungsteam aber weitere mögliche Einflussfaktoren wie Probleme in der Kindheit oder den Konsum anderer Substanzen mit in die Rechnung einbezog, gab es keinen signifikanten Zusammenhang mehr zwischen Cannabis und der IQ-Entwicklung.
Den stärksten Einfluss auf die IQ-Entwicklung hatte das Tabakrauchen. Das Forschungsteam überprüfte diesen Zusammenhang zusätzlich an einer Stichprobe von Jugendlichen, die zwar Tabak geraucht, aber noch nie gekifft hatten. Hier zeigte sich, dass rauchende Teenager einen um 6,2 Punkte niedrigeren IQ aufwiesen als nicht-rauchende Jugendliche. Wurden andere Risikofaktoren aus der Kindheit mit einbezogen, war der IQ nur noch 1,5 Punkte niedriger, blieb aber signifikant.
Mokrysz und ihre Team glauben jedoch nicht, dass Tabakrauchen ursächlich zu einer Verringerung des IQ beiträgt. Denkbar sei, dass Jugendliche mit schlechten Schulleistungen eher in das Rauchen einsteigen als gute Schülerinnen und Schüler. Rauchen könnte aber zudem ein Hinweis auf andere Probleme aus der Kindheit sein. Dies gelte auch für Cannabiskonsum. Mokrysz und ihr Team betonen daher, dass ihre Studie keinen Beleg dafür liefert, dass Cannabis ursächlich zu einer ungünstigen IQ-Entwicklung beiträgt.
Dieses Ergebnis wird durch eine zweite Studie bestätigt. Darin wurden sowohl die Umwelt, in der die Jugendlichen aufgewachsen sind, berücksichtigt als auch die Gene. Generell wird davon ausgegangen, dass unser Erbgut eine entscheidende Rolle spielt bei der Intelligenzentwicklung.
Studienleiter Nicholas Jackson und sein Team haben die Daten von zwei Längsschnittstudien ausgewertet, an denen über 3.000 Zwillinge beteiligt waren. Zwillinge, vor allem eineiige, sind sich genetisch sehr ähnlich. Zudem sind die Zwillinge gemeinsam aufgewachsen, waren in der Kindheit also überwiegend den gleichen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Bei der ersten Intelligenz-Messung waren die Zwillinge zwischen 9 und 12 Jahre alt. Im Alter von 17 bis 20 Jahren wurden die Tests wiederholt. Zwischen den Messzeitpunkten haben einige von den Zwillingen angefangen zu kiffen, andere sind abstinent geblieben. Darunter gab es auch eineiige Zwillinge, von denen einer gekifft hat und der andere nicht.
Beim Vergleich der IQ-Werte zwischen den Messzeitpunkten zeigten sich erneut schlechtere Werte bei den Jugendlichen, die angefangen hatten zu kiffen. Der Unterschied betrug bis zu vier IQ-Punkte. Allerdings konnte das Forschungsteam keine IQ-Unterschiede bei den Zwillingen feststellen, von denen nur einer mit dem Kiffen angefangen hatte. Der nicht-konsumierende Zwilling zeigte ebenfalls schlechtere IQ-Werte zum zweiten Messzeitpunkt. Wenn Cannabis eine schädliche Wirkung auf die Intelligenzentwicklung nehmen würde, hätte der abstinente Zwilling jedoch besser als sein Bruder oder seine Schwester abschneiden müssen.
Das bedeutet: Nicht Cannabiskonsum, sondern ein anderer Faktor, den beide Zwillinge teilen, bewirkt einen IQ-Rückgang bei ihnen. Was genau das ist, darüber kann das Forschungsteam nur spekulieren. Anders als der norwegische Forscher Ole Rogeberg gehen sie nicht davon aus, dass es sozio-ökonomische Unterschiede sind. Den sozio-ökonomischen Status hatten sie bereits in ihren Analysen berücksichtigt.
Jackson und sein Team vermuten hingegen, dass familiär-kulturelle Defizite eine Rolle spielen. Wenn die Eltern generell keinen guten Kontakt zu ihren Kindern haben oder sich wenig um den Bildungserfolg ihrer Kinder kümmern, dann könne dies auch negative Auswirkungen auf die Intelligenzentwicklung haben.
Unterstützt wird die Vermutung dadurch, dass die gefundenen IQ-Unterschiede sich ausschließlich auf die so genannte kristalline Intelligenz beziehen. Die kristalline Intelligenz steht im weitesten Sinne für das Allgemeinwissen, während die fluide Intelligenz Ausdruck der Flexibilität und Geschwindigkeit des Denkens ist, das unabhängig ist von gelernten Inhalten. Jackson und sein Team argumentieren, dass Jugendliche, die auf ihrem Bildungsweg nicht so gut von ihren Eltern unterstützt werden, weniger auf eine gute Bildung fokussiert sind und sie deshalb eine geringer ausgeprägte kristalline Intelligenz entwickeln.
Zudem sei bekannt, erklärt das Forschungsteam, dass Jugendliche, die nicht so gut in der Schule sind, auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in den Cannabiskonsum einsteigen. Kiffen in der Jugend ist somit nicht Ursache für einen niedrigeren IQ, sondern ebenso wie die kristalline Intelligenz vor allem eine Folge der Eltern-Kind-Beziehung argumentiert das Forschungsteam.
Generelle Entwarnung, dass Cannabis für Jugendliche ungefährlich sei, ist dennoch fehl am Platze, erläutert Professor George Patton von der Universität Melbourne im Magazin der renommierten Zeitschrift Science. So weist er daraufhin, dass die Jugendlichen in der Studie von Jackson und seinem Team noch vergleichsweise moderat konsumiert haben. Eine Reihe von Studien hat aber gezeigt, dass starker Konsum in der Jugend nachweislich negative Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung und die kognitiven Fähigkeiten hat.
Auch Jackson will dem Kiffen keinen Freifahrtschein erteilen. Die Ergebnisse der Studie „bedeuten nicht, dass starker Cannabiskonsum in der Jugend unproblematisch ist“, erklärt er. Andere wichtige Fähigkeiten im Alltag können ebenso durch das Kiffen beeinträchtigt sein. Jackson sieht die Probleme vor allem in der Eltern-Kind-Beziehung: „Am meisten mache ich mir Sorgen darüber, was im Umfeld eines Kindes vor sich geht, wenn es sich im Alter von 14 Jahren in Drogen flüchtet.“
Welchen Einfluss Cannabis auf die Intelligenzentwicklung hat, bleibt in der Wissenschaft umstritten. Zwei aktuelle Studien werfen Zweifel auf, dass Kiffen in der Jugend verantwortlich ist für eine niedrigere Intelligenz. Allerdings können beide Studien die Möglichkeit auch nicht ganz ausräumen, dass sich starker Cannabiskonsum doch negativ auf die Intelligenzentwicklung auswirkt. So deuten andere Studien darauf hin, dass der frühe Einstieg und regelmäßiger Konsum in der Jugend sich nachhaltig auf die Gehirnentwicklung und kognitiven Fähigkeiten auswirken.
Beide Studien haben jedoch auch deutlich gemacht, dass durch den einseitigen Fokus auf den Substanzkonsum womöglich andere wichtige Faktoren aus dem Blick geraten. Denn die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung scheint einen maßgeblichen Anteil nicht nur an der Intelligenzentwicklung, sondern auch am Substanzkonsum der Kinder zu haben.
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