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Oktober 2022
Das Aufputschmittel Methamphetamin macht nicht nur extrem wach, sondern auch schnell abhängig. Warum ist das so und wie finden Abhängige den Weg aus der Sucht?
Bild: johny schorle / photocase.com
Heute ist Max clean. Lange bestimmte Crystal sein Leben. Verschiedene Umbrüche haben seinen Weg in die Sucht geebnet. Eine langjährige Beziehung war auseinandergegangen, seine Ausbildung hatte er abgebrochen. Für einen neuen Job ist Max in eine Großstadt gezogen. Dort hat er sich einem neuen Bekanntenkreis angeschlossen.
„Ich habe mich nirgendwo dazugehörig gefühlt. Die Clique hatte mich aufgefangen“, erzählt Max in einem Dokumentarfilm der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Er sei viel mit der Gruppe unterwegs gewesen. „Und das Crystal kam ins Spiel, als wir weggehen wollten in eine Disco.“ Es fing mit Alkohol an. „Dann wurde mir, haben die was gezogen, haben mir was angeboten. So kam ich in das Spiel mit rein, hab’s probiert.“ Es dauerte nicht lange, bis Max regelmäßig Crystal nahm.
Bei Laura waren es ebenfalls Umbrüche, die zur Abhängigkeit führten. Ihr stand eine vielversprechende Zukunft als Sportlerin offen. Doch nach einer Verletzung musste sie ihren Traum von einer Sportkarriere begraben. Im Film der BZgA berichtet sie, wie Crystal eine Lücke für sie gefüllt hat: „Und als das mit dem Sport vorbei war, war ich halt jemand, der irgendwie einen totalen Durchhänger hatte und nichts so richtig konnte. Und ich hatte irgendwie auch das Gefühl, grundsätzlich zu versagen. Und ich denk‘, durch die Drogen, hatte ich halt das Gefühl, dass ich mir mein Selbstbewusstsein holen kann.“
Max und Laura hatten Crystal zunächst nur probiert. Doch die Droge hat ihnen in einer durch persönliche Krisen geprägten Zeit „geholfen“, sich besser zu fühlen. Das Tückische an Crystal ist, dass die Droge scheinbar hilft, im Alltag besser zu funktionieren. Crystal betäubt nicht wie Heroin oder Alkohol. Kristallines Methamphetamin, so die Fachbezeichnung von Crystal, ist eine leistungssteigernde Droge.
Crystal hat eine deutlich stärkere Wirkung als das chemisch verwandte und als Speed bekannte Amphetamin. Crystalkonsumierende fühlen sich anfänglich enorm aufgeputscht, euphorisch und selbstbewusst. In bestimmten Situationen kann dies Vorteile mit sich bringen.
Beim Partyfeiern bleiben Konsumierende länger wach, fühlen sich enthemmt und sind gut drauf. Manche Menschen benutzen die Droge bei der Arbeit oder zum Lernen. Auch eher langweilige Aufgaben wie das Putzen der eigenen Wohnung oder das Sortieren von Dingen können unter der Wirkung der Droge teils stundenlang ausgeführt werden.
Die Kehrseite der Medaille ist eine schnelle Abhängigkeitsentwicklung. Eine verminderte Wirkung ist eines von mehreren Kennzeichen einer Abhängigkeit. Als Toleranzentwicklung wird die körperliche Anpassung bezeichnet. Die Dosis muss erhöht werden, um noch die gleiche Wirkung zu verspüren. Bei Laura hatte anfangs eine „sehr kleine Line“ gereicht, um einen ganzen Tag gut drauf zu sein. „Später dann, als wir dann öfters solche Sessions gemacht haben, da haben wir schon mehr genommen. Also, wenn du dann richtig durchzechen wolltest, ja, da hast du dann schon einige Gramm auf jeden Fall gebraucht“, berichtet sie.
Max fing sogar an, sich die Droge zu spritzen. „Nach paar Monaten, wo ich gespritzt hab, war’s bei mir so irgendwie, dass ich die Dosis extrem angestiegen habe, ich mir jede halbe Stunde fast einen machen musste und ich gemerkt habe, dass es hier so nicht weiter gehen kann.“
Crystal führt dem Körper allerdings keine Energie zu, sondern zwingt ihn, seine Energiereserven auszubeuten. Der Körper wird dadurch in eine Art Alarmbereitschaft versetzt. Dies bringt erhebliche Risiken mit sich. So kann Crystal Nerven im Gehirn zerstören, schwere Herzschäden und Schlaganfälle verursachen.
Konsumierende leiden unter Schlafstörungen, kriegen aggressive Ausbrüche oder auch Angstzustände mit Wahnvorstellung und Halluzinationen. In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass Crystal die Wahrscheinlichkeit für eine Psychose um das 5-fache erhöht. Bei einem Konsum an mehr als 15 Tagen pro Monat steigt das Psychoserisiko sogar um das 11-fache.
Hinzu kommen die sozialen Folgen des Konsums. Das können Probleme mit nahestehenden Menschen oder bei der Arbeit sein. Max wurde beim Fahren unter Drogeneinfluss erwischt. Er verlor seinen Führerschein und wenig später auch seinen Job als Gabelstaplerfahrer. Als er dann anfing zu dealen, rutsche er immer weiter ab. „Ich hab Riesengerichtsverfahren am Hals, jetzt hab ich noch ‘n Berufungsverfahren. Mir haben’s zwei Jahre, sechs Monat an, also ich müsste normalerweise für zwei Jahre, sechs Monate in ‘n Knast.“ Max hatte die Wahl: Haft oder Therapie. Die Entscheidung zur Therapie ermöglichte ihm die Rückkehr in ein Leben ohne Crystal.
Der Ausstieg aus dem Crystalkonsum ist oft nicht gradlinig und braucht manchmal mehrere Anläufe. Doch irgendwann kommen Konsumierende wie Max an einen Punkt, an dem sie merken, dass sie so nicht weiter machen können.
Das zeigen auch Studien der US-Soziologin Diane Herbeck. Mit ihrem Team von der University of California in Los Angeles hat sie Interviews mit Crystal-Konsumierenden geführt. Erfahrung mit Crystal hatten die Teilnehmenden der Studie zur Genüge: Bei einem durchschnittlichen Alter von 46 Jahren hatten sie im Schnitt zwölf Jahre lang Crystal konsumiert. Viele hatten den Crystal-Konsum jedoch seit mehreren Jahren komplett eingestellt, lebten also abstinent. Die persönlichen Erfahrungen der Befragten nutzen Herbeck und ihr Team um herauszuarbeiten, was den Betroffenen geholfen hat, abstinent zu werden oder was hinderlich dabei war.
Neben den unerwünschten Nebenwirkungen von Crystal war es häufig die Sorge oder der Druck von Familienmitgliedern, die den Impuls gaben, erste Ausstiegsversuche anzugehen. Einen langfristigen Ausstieg aus dem Konsum erreichten die Konsumierenden hingegen erst, wenn es zu einer Veränderung der Selbstwahrnehmung gekommen ist, so Herbeck. Es müsse zu einem Umdenken kommen, zu einer Realisierung und Ablehnung des Konsumverhaltens.
Doch selbst wenn Crystal-Konsumierende ihren Konsum mit all seinen Nebenwirkungen als problematisch erleben, kostet der Ausstieg den meisten Betroffenen enorme Kraft. Sie müssen einen zentralen Faktor überwinden, der den Konsum aufrechterhält und die Rückfallgefahr dramatisch erhöht: ihr soziales Umfeld. Denn das konsumiert womöglich weiterhin Crystal. Sich aus dem altbekannten Freundes- und Bekanntenkreis herauszulösen fällt den Betroffenen oft schwer. Auch das Entwickeln einer neuen Selbstwahrnehmung ist leichter gesagt als getan.
Entsprechend hoch ist die Rückfallquote bei der Therapie von Crystal-Abhängigen, wie Diane Herbeck gemeinsam mit einer Kollegin in einer weiteren Studie ermittelte. 61 Prozent der befragten Crystal-Abhängigen hatten einen Rückfall innerhalb von zwölf Monaten nach Ende der Behandlung, konsumierten also wieder Crystal. Nach fünf Jahren waren sogar bis zu 77 Prozent der Stichprobe rückfällig. Einen Rückfall in alte Verhaltensmuster dauerhaft zu vermeiden ist eine Herausforderung.
Die hohe Rückfallgefahr sollte daher ein zentrales Thema im Ausstiegsprozess sein. Das schreiben Sascha Milin und Ingo Schäfer vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung in einer Fachpublikation. Rückfälle würden Resignation, Scham und Hoffnungslosigkeit erzeugen und könnten zum Anlass genommen werden, den Ausstieg abzubrechen. Das Phänomen wird als „Abstinenzverletzungseffekt“ bezeichnet. Es sei bereits hilfreich, wenn Konsumierende darüber Bescheid wissen und lernen, dieses als Teil des Ausstiegsprozesses zu akzeptieren.
Der Einstieg in den Ausstieg erfolgt in der Regel über eine Suchtberatungsstelle. Diese vermittelt bei Bedarf in eine Entzugsbehandlung. Milin und Schäfer schätzen den Unterstützungsbedarf bei einer Crystalabhängigkeit ähnlich hoch ein wie bei einer Heroin- oder Kokainabhängigkeit. Daher solle Betroffenen ein so genannter qualifizierter Entzug angeboten werden.
Ein qualifizierter Entzug dauert mindestens drei Wochen und findet stationär in einer speziellen Einrichtung statt. Das bedeutet: Für die Zeit des Entzugs leben die Betroffenen in einer Klinik. Während der körperlichen Entgiftung können starke Entzugssymptome auftreten. Meist erleben Betroffene einen sehr starken Suchtdruck, sind innerlich unruhig, haben Schlafstörungen und erleben depressive Zustände.
Milin und Schäfer warnen, dass Betroffene häufig Gedanken an eine Selbsttötung haben. Daher solle ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Suizidgedanken Bestandteil der Erkrankung sind. Eine Klinik bietet hierfür eine schützende Umgebung und Ansprechpersonen im Falle des Falles.
Generell werden Gespräche als wichtiges Element des Ausstiegsprozesses erachtet, sei es mit professionell Tätigen oder auch mit Gleichgesinnten. Denn auch nach dem Entzug, kann der Suchtdruck noch eine ganze Weile für Rückfallgefahr sorgen. Der Entwöhnungsprozess wird zum einen durch psychotherapeutische Verfahren unterstützt. Zum anderen werden Selbsthilfegruppen und Online-Foren als hilfreich von Betroffenen wahrgenommen.
Es gibt Fälle, in denen Betroffene in Eigenregie den Ausstieg schaffen. Auch hier dürfte der Schlüssel zum Erfolg darin liegen, sich aktiv mit dem Entzug auseinanderzusetzen und Unterstützung bei anderen Menschen zu holen.
Ein weiterer Aspekt, der beim Ausstieg aus dem Crystalkonsum von Bedeutung sein kann, ist der Wunsch nach mehr Normalität im Leben. Dazu gehören unter anderem gute soziale Beziehungen und Aktivitäten, die als sinnstiftend empfunden werden.
Für Max kommt ein Rückfall in den Crystalkonsum nicht mehr in Frage, da er seine Ziele klar abgesteckt hat: „Meine Perspektiven sind: Ich will meine Ausbildung mit Bravour abschließen. Ich will ein Mädchen – normales – kennenlernen, ‘ne Familie gründen, was erreichen im Leben, mein‘ Führerschein wieder nachmachen. Das hält alles mich richtig davon ab, dass ich das wieder nehme oder rückfällig werde.“
Crystal kann eine starke psychische Abhängigkeit nach sich ziehen, von der Betroffene oft nur schwer wieder loskommen. Manche brauchen mehrere Anläufe oder sogar eine stationäre Entgiftungsbehandlung. In einem ersten Schritt ist es hilfreich, eine Beratung, entweder in einer Drogenberatungsstelle vor Ort oder online zu nutzen. Die Beratung ist anonym möglich. Beraterinnen und Berater unterliegen in der Regel der Schweigepflicht.
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