Topthema
März 2020
So viel geben Konsumierende in der Europäischen Union jährlich für Cannabis, Kokain und andere illegale Drogen aus. Der Drogenhandel gilt als eine Haupteinnahmequelle der organisierten Kriminalität. Eine Analyse zeigt auf, wie Gewalt bis hin zu Mord mit dem illegalen Drogenhandel in Verbindung stehen.
Bild: Witthaya Prasongsin / istockphoto.com
Vor einer Amsterdamer Shisha-Bar liegt ein abgetrennter Kopf. Der enthauptete Körper wird weiter entfernt in einem brennenden Auto gefunden. Das Opfer war ein 23-jähriges Mitglied einer marokkanischen Drogenbande. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, EMCDDA, hat diese grausame Tat aus dem Jahr 2016 neben anderen Fallbeispielen in einem Bericht über den Drogenmarkt in der EU beschrieben. Am Bericht mitgewirkt hat auch die europäische Strafverfolgungsbehörde Europol. Beide Organisationen weisen auf die weitreichenden Folgen hin, die mit der Drogenkriminalität verbunden sind.
Der Tötung des 23-Jährigen ist ein Bandenkrieg vorausgegangen, der 2012 seinen Anfang im Hafen von Antwerpen, Belgien, nahm. Eine marokkanische Gang habe einer anderen Bande Kokain im Wert von 15,6 Millionen Euro gestohlen. Das Kokain sei Teil einer größeren Ladung gewesen, die für den britischen Markt bestimmt gewesen sei.
Seitdem habe es eine Reihe von Angriffen von Mitgliedern der „Mocro-Mafia“ gegeneinander gegeben. Als „Mocros“ werden in den Niederlanden umgangssprachlich Menschen marokkanischer Abstammung bezeichnet. Der abgetrennte Kopf sei so auf dem Gehweg abgelegt worden, als würde er in das Café schauen. Dies wurde als klare Botschaft gesehen, gerichtet an die rivalisierende Bande. Das Café sei bekannt dafür, dass hier Mitglieder der „Mocro-Mafia“ abhängen. Die Fehde zwischen den Banden habe mindestens 16 Tötungen in Belgien, den Niederlanden und Spanien zur Folge gehabt.
Ein anderes Beispiel für gezielte Tötungen im Drogenhandel ist der Fall einer schwedischen Bande, die als „Todespatrouille“ (Dödspatrullen) bekannt wurde. Zwischen Dezember 2018 und Februar 2019 sind 20 Mitglieder der Bande festgenommen worden. Die kriminelle Vereinigung soll aus einem Vorort in Stockholm hervorgegangen sein, der überwiegend von Migranten bewohnt wird. Mindestens 15 Tötungen in Schweden und Spanien würden auf das Konto der „Todespatrouille“ gehen. Bei den Tötungen soll es sich um Auftragsmorde an Mitgliedern rivalisierender Drogengangs gehandelt haben, darunter auch kolumbianische Kokainkartelle.
Gewalt und Mord gehören dem EMCDDA-Bericht zufolge zu den „wesentlichen Manifestationen“ des illegalen Drogenhandels. Ein Forschungsteam aus den Niederlanden hat sich mit Tötungen im Drogengeschäft befasst. Demnach erfolgen Tötungen meist als „Kompensation“, wenn Drogen nicht geliefert oder nicht bezahlt werden. Tötungen erfolgen auch mit dem Ziel der Einschüchterung, wie im beschriebenen Fall der Enthauptung eines Mitglieds einer rivalisierenden Gang. Oder schlicht, um die eigene Position im Drogenmilieu zu festigen. Dabei würden zunehmend auch automatische Waffen eingesetzt.
Die Tötungen erfolgen meist innerhalb des Drogenmilieus, allerdings können auch Unbeteiligte davon betroffen sein. So starb einem Medienbericht zufolge ein 30-Jähriger Amsterdamer im Kugelhagel einer automatischen Waffe, als er aus seinem Auto stieg. Seine Mörder hätten ihn mit jemand anderen verwechselt.
Im Drogengeschäft konkurrieren kriminelle Vereinigungen mit Mitteln der Gewalt, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Denn der illegale Drogenhandel lockt mit enormen Gewinnen. Insgesamt schätzen die EMCDDA und Europol den Drogenmarkt in der EU auf 30 Milliarden Euro. So viel würden Konsumierende in der EU jährlich für Drogen ausgeben. Der größte Anteil entfällt auf Cannabis. 39 Prozent oder etwa 11,6 Milliarden Euro werden für Haschisch, Marihuana und andere Cannabisprodukte ausgegeben. 31 Prozent entfallen auf Kokain, 25 Prozent auf Heroin und 5 Prozent auf Amphetamine und Ecstasy.
Europa ist sowohl Ziel des Handels mit Drogen als auch Produktionsregion. So gilt Europa inzwischen als ein wichtiger Produzent von Cannabis. Jährlich werden mindestens 20.000 Produktionsstätten enttarnt. Lange galten die Niederlande als größter Produzent von Cannabis. Beschlagnahmungen deuten darauf hin, dass Spanien inzwischen zum größten Cannabisproduzenten der EU aufgestiegen ist.
In Spanien haben sich laut dem EMCDDA-Bericht hunderte von so genannten Cannabis Social Clubs etabliert, die Cannabis vorwiegend für ihre eigenen Mitglieder produzieren. Daneben habe sich auch ein Netzwerk aus Grow Shops entwickelt, in denen Equipment und Literatur für den Cannabisanbau vertrieben wird. Sowohl die Clubs als auch die Shops seien dem EMCDDA-Bericht zufolge „anfällig“ dafür, durch kriminelle Organisationen infiltriert zu werden. Diese Gruppierungen seien vor allem am Verkauf ihrer Produkte interessiert. Nach Polizeiangaben gibt es Kooperationen zwischen kriminellen Vereinigungen aus Spanien und den Niederlanden, die Cannabisanbau in großem Stile betreiben.
Auch die Coffee-Shops in den Niederlanden, in denen der Verkauf von kleinen Mengen Cannabis toleriert wird, seien mit kriminellen Vereinigungen verflochten, denen vor allem am Absatz ihres Produkts gelegen ist. In diesem Zusammenhang hätten kriminelle Organisation in den Niederlanden ein spezielles Geschäftsmodell entwickelt: Die Organisation versorgt Cannabisproduzenten mit professionellem Anbauequipment und Know-how und erhält im Gegenzug einen Teil oder die gesamte Cannabisernte. Ein Teil des Cannabis ist für Coffee-Shops in den Niederlanden bestimmt, ein anderer Teil für den Export.
Welche Dimensionen der Anbau allein in den Niederlanden hat, veranschaulichen Schätzungen der niederländischen Stromanbieter. 2018 war es den Stromgesellschaften gelungen, das Ausmaß des Stromdiebstahls zu ermitteln, der 2.600 illegalen Cannabisplantagen zugeordnet werden konnte. Die Betreiber dieser Plantagen haben insgesamt 95 Millionen Kilowattstunden Strom illegal entwendet. Damit sei den Stromanbietern umgerechnet ein Schaden von 60 Millionen Euro entstanden.
Die niederländische Polizei schätzt, dass auf etwa 30.000 illegalen Anlagen Cannabis angebaut wird. Diese würden vermutlich rund eine Milliarde Kilowattstunden Strom abzweigen. Das wäre genug Strom, um alle Haushalte der 650.000 Einwohner zählenden Stadt Rotterdam ein Jahr lang mit Elektrizität zu versorgen.
Vor allem der Indoor-Anbau von Cannabis verschlingt eine große Menge an Energie und Wasser und benötigt häufig auch Chemikalien, die vermutlich illegal in der Umwelt entsorgt werden. Schätzungen zufolge wird für die Herstellung von einem Kilogramm Cannabis, der an Konsumierende verkauft wird, 4.600 Kilogramm des Treibhausgases Kohlendioxid produziert.
Der gemeinsame Bericht der EMCDDA und Europol macht darüber hinaus klar, dass die organisierte Drogenkriminalität eng verflochten ist mit weiteren illegalen Geschäften, darunter die Finanzierung von Terrorismus, Waffenhandel und der Schleusung von Migranten. So gilt der Drogenhandel als eine wichtige Einnahmequelle terroristischer Vereinigungen in Latein-Amerika oder im Mittleren Osten.
Über das genaue Ausmaß der Verquickung des Drogenhandels mit der Finanzierung terroristischer Aktivitäten in der EU gibt es laut dem Drogenmarktbericht nur wenig Informationen. In einem Fallbeispiel wird veranschaulicht, wie diese zumindest in kleinem Rahmen vonstattengehen kann. So wurden 2015 mehrere Personen in den spanisch-autonomen Regionen Ceuta und Mellila in Nord-Afrika wegen terroristischer Aktivitäten festgenommen. Von den meisten der Festgenommenen gab es bereits polizeiliche Akten wegen Drogenhandels. Keine der Personen hatte einen Job oder eine sonstige legale Einnahmequelle. Jedoch fiel auf, dass sie angesichts ihrer Autos, die sie fuhren, und den Häusern, in denen sie wohnten, offenkundig einen hohen Lebensstandard pflegten.
Konsumierende in der Europäischen Union geben jährlich geschätzte 30 Milliarden Euro für illegale Drogen aus. Kriminelle Vereinigungen konkurrieren untereinander, um sich finanzielle Vorteile auf dem Drogenmarkt zu verschaffen. Ein gemeinsamer Bericht der EMCDDA und Europol macht deutlich, wie Gewalt bis hin zu Mord das Drogengeschäft prägen. Zudem sei die Produktion von Drogen innerhalb der Europäische Union mit negativen Auswirkungen für die Umwelt verbunden.
Der Drogenhandel sei nicht nur eine lukrative Einnahmequelle für die organisierte Kriminalität, dem Bericht zufolge ist er auch verflochten mit anderen illegalen Geschäften wie der Finanzierung von Terrorismus, Waffenhandel und der Schleusung von Migranten.
Quelle:
Kommentare
Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.