Woran Menschen beim Thema Sucht denken

22.11.2023

Es gibt exzessives Verhalten mit und ohne Drogen. Eine Studie hat sich damit befasst, wie Menschen darüber denken und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es gibt.

Bild: David-W- / photocase.de

Vorweg eine Aufgabe: Denke an eine Tätigkeit, die du exzessiv betreibst und die dich am meisten stört. Schreibe die ersten fünf Wörter auf, die dir dazu einfallen.

Fertig? Gut, denn das war die zentrale Methode, mit der Studienleiter Domonkos File und sein Team süchtigem Verhalten auf der Spur waren. Genau genommen ging es den Forschenden nicht um das Verhalten, sondern darum, was im Kopf der Menschen vor sich geht, wenn sie an Sucht denken. In der Fachsprache wird von der „mentalen Repräsentation“ gesprochen.

Sucht ist ein Phänomen, dass häufig mit Drogen in Verbindung steht. Es gibt aber auch Verhaltensweisen, bei denen zwar keine psychoaktiven Substanzen eingenommen werden, die aber dennoch einen suchtähnlichen Charakter haben. Zum Beispiel beschäftigen sich manche Menschen so intensiv mit Glücksspiel oder Online-Shopping, dass man von einer Verhaltenssucht sprechen kann.

Bewusste Vermeidung des Begriffs „Sucht“ in der Befragung

File und sein Team wollten herausfinden, ob sich die mentalen Repräsentationen bei substanzgebundenen Süchten von denen bei Verhaltenssüchten unterscheiden. 661 Personen hat das Team hierzu befragt. Um die Teilnehmenden nicht durch die Fragestellung zu beeinflussen, haben sie bewusst vermieden, den Begriff „Sucht“ zu verwenden. Stattdessen fragten sie nach einer „exzessiven Tätigkeit“. Es blieb den Befragten vorbehalten, was sie darunter verstehen.

Erst in einem nächsten Schritt legte das Forschungsteam den Befragten eine Liste vor, die sowohl Substanzen wie Alkohol oder Tabak als auch Verhaltenssüchte enthielt. Die Verhaltenssüchte bezogen sich aufs Glücksspiel, auf die Internetnutzung, auf Computerspiele, Pornographie, Kaufen, Essen, Sex, Arbeiten, Seriengucken und auf die Nutzung von Social Media. Wie sich zeigte, ordneten rund zwei Drittel der Befragten ihre Gedanken einem Thema zu, das auf der Liste stand. Teilnehmende, die an andere Dinge dachten, wurden aus der weiteren Analyse ausgeschlossen.

Vier verschiedene „mentale Repräsentationen“ zu „exzessiven Tätigkeiten“

Anschließend nahm sich das Forschungsteam die Wörter vor, die von den Befragten genannt wurden, und bildete daraus Begriffsnetzwerke. Je häufiger Wörter gemeinsam genannt wurden, desto enger standen sie beieinander. Insgesamt ließen sich vier Netzwerke voneinander unterscheiden. Jedes stellte eine andere mentale Repräsentation dar.

Ein Netzwerk wurde mit „Sucht und Gesundheit“ betitelt. Wie sich zeigte, standen Begriffe rund um Sucht und Gesundheit stärker mit Substanzkonsum als mit Verhaltenssüchten in Zusammenhang. Das Netzwerk mit dem Titel „Prokrastination/Langeweile“ war hingegen stärker mit Verhaltenssüchten verbunden. Der Fachbegriff Prokrastination steht umgangssprachlich für Aufschieberitis, also die Neigung, zu erledigende Dinge vor sich her zu schieben.

Ein drittes Netzwerk, bei dem die Begriffe „Schuld“ und „Scham“ zentral waren, stand zwar mit beiden Suchtkategorien, also mit und ohne Substanz in Zusammenhang. Jedoch wurden „Schuld“ und „Scham“ umso öfter genannt, je häufiger die Person Drogen konsumierte. Bei Verhaltenssüchten war diese Verbindung nicht so stark ausgeprägt. Das vierte Begriffsnetzwerk mit dem Titel „Stress/Entspannung“ wurde hingegen sowohl bei substanzgebundenen Süchten als auch bei Verhaltenssüchten etwa gleichermaßen genannt.

„Schuld“ und „Scham“ besonders stark bei häufigem Drogenkonsum

In der Studie ließen sich somit sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten in der mentalen Repräsentation von Substanzkonsum und Verhaltenssucht feststellen. Menschen, die sich wegen ihres Konsums von Substanzen Sorgen machen, denken eher an Begriffe, die mit „Sucht“ in Verbindung stehen, als Personen, bei denen ein Verhalten wie Glücksspiel oder Kaufen aus dem Ruder gelaufen ist. Sowohl beim Konsum von Drogen als auch bei verhaltensbezogenen Süchten empfinden Menschen Schuld und Scham. Dies ist aber umso stärker der Fall, wenn der Drogenkonsum zunimmt.

Aus Sicht des Forschungsteams mag dies unter anderem daran liegen, dass Drogenkonsum stärker stigmatisiert ist, als ausufernde Verhaltensweisen mit suchtähnlichem Charakter. Wer beispielsweise exzessiv Serien schaut oder mit Computerspielen seine gesamte freie Zeit füllt, denkt anscheinend nicht automatisch an eine Sucht. Dennoch scheinen Betroffene sich bewusst zu sein, dass das nicht in Ordnung ist, Stichwort: Aufschieberitis.

Die Studie könne nach Einschätzung des Forschungsteams dazu beitragen, bei der Diagnose von Sucht stärker darauf einzugehen, wie Menschen Sucht oder süchtiges Verhalten wahrnehmen. Auch ließen sich Hinweise für die Behandlung von Suchtproblemen ableiten. So könnten die Aspekte „Schuld“ und „Scham“ ein Ansatz in der Behandlung einer Drogensucht sein. Hingegen sei bei Verhaltenssüchten die Verbesserung des Zeitmanagements ein möglicher Behandlungsansatz, weil hier Prokrastination und Langeweile treibende Kräfte sind.

 

Quelle:

File, D., File, B., Böthe, B., Griffiths, M. D. & Demetoviscs, Z. (2023). Investigating mental representations of psychoactive substance use and other potentially addictive behaviors using a data driven network-based clustering method. PLoS ONE, 18(19),e0287564. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0287564


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