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14.03.2014
Crystal in deutschen Büros? Amphetamine in der Schule? Die mediale Berichterstattung klingt bedrohlich. Von einer Drogen-Welle ist die Rede, die scheinbar unaufhaltsam über das Land rollt. Stimmt das?
Bild: *princessa* / photocase.com
„Alle haben ‘nen Job - ich hab Langeweile! Keiner hat mehr Bock auf Kiffern, Saufen, Feiern“ lamentiert der Rapper Materia in „Kids (2 Finger am Kopf)“. Folgt man den Schlagzeilen zu einer aktuellen Studie über den Konsum von Stimulanzien kann allerdings der Eindruck entstehen, dass Drogen wie Crystal auch im Berufsleben stark verbreitet und sogar in der Schule gang und gäbe seien. Oder ist das völlig übertrieben?
Die Studie wurde im Auftrag des Gesundheitsministeriums vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) an der Universität Hamburg durchgeführt. Den Hintergrund der Studie liefern Berichte aus Bayern und Sachsen, wo der Konsum von Methamphetamin, auch bekannt als Crystal, insbesondere an der Grenze zu Tschechien stark zugenommen habe. Zwar gibt es bislang weder aus der Region noch bundesweit konkrete Zahlen zur Verbreitung von Crystal, aktuelle Zahlen aus der Suchthilfestatistik weisen aber tatsächlich auf eine Zunahme der Problematik hin.
Ziel der Studie war es allerdings nicht, Zahlen zur Verbreitung des Konsums zu ermitteln, sondern mehr über die Zielgruppen zu erfahren, die Crystal oder Amphetamin konsumieren. Hierzu wurden persönliche Interviews mit 145 Personen durchgeführt, die sich in einer stationären oder ambulanten Suchthilfeeinrichtung in Behandlung befanden. Weitere 247 Personen haben mittels einer Online-Befragung teilgenommen. Die Befragung fand teilweise im direkten Kontakt auf Festivals und in der Party-Szene statt.
Voraussetzung zur Teilnahme an der Studie war der Konsum von Amphetamin oder Methamphetamin an mindestens 5 Tagen im letzten Jahr. Es sind demnach ausnahmslos Konsumierende in die Studie einbezogen worden. Auf dieser Basis können keine Schlussfolgerungen über die Verbreitung in anderen Bevölkerungsgruppen gezogen werden, worauf die Autorinnen und Autoren der Studie auch ausdrücklich hinweisen.
Im Rahmen der Studie konnten vielmehr unterschiedliche Gruppen von Konsumierenden identifiziert werden. Der Konsum von Crystal und Amphetaminen sei demnach nicht nur auf den Freizeitkonsum beschränkt, sondern finde auch in zahlreichen anderen Kontexten statt, teilweise sogar während der Arbeit oder für das Studium. So haben 52 Prozent der Befragten angegeben, Crystal auch für den Beruf zu konsumieren. 26 Prozent würden Crystal sogar für die Schule oder die Ausbildung nutzen. Klingt nach viel. Daraus abzuleiten, die Droge würde sich in der Arbeitswelt oder in der Schule stark ausbreiten, ist jedoch falsch. Denn was für die Stichprobe gilt, muss nicht für den Rest der Bevölkerung gelten.
Das ist sogar eher unwahrscheinlich, da es sich um eine sehr spezielle Gruppe von Personen handelt, die hier untersucht wurde. Mehr als die Hälfte der Befragten hat schon einmal unter einer schweren Depression oder schweren Angstzuständen gelitten. 40 Prozent hatten bereits ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, sich das Leben zu nehmen. 91 Prozent der persönlich interviewten Teilnehmer/-innen mit Crystalkonsum sind bereits früh traumatisiert worden, etwa durch sexuellen Missbrauch, körperliche Gewalt oder Vernachlässigung. Unter den Amphetaminkonsumierenden waren 82 Prozent betroffen. Diese Menschen sind vermutlich schon lange vor der ersten „Line“ Speed oder Crystal psychisch stark belastet gewesen. Dass sie Drogen nehmen, um sich zu entlasten, ist unter diesen Voraussetzungen wenig verwunderlich.
Die Stichprobe ist daher kaum geeignet, Aussagen über die gesamte Bevölkerung zu machen, geschweige denn über die Verbreitung. Wie stark der Crystalkonsum tatsächlich verbreitet ist, ist nach wie vor nicht bekannt.
Die Studie liefert aber Hinweise darauf, dass es auch unter Konsumierenden Menschen gibt, die arbeiten, noch zur Schule gehen, studieren oder Kinder haben. Konsumierende von Crystal und Amphetamin nutzen die Stimulanzien nicht nur, um sich in der Freizeit besser zu fühlen, sondern konsumieren die Mittel auch, um im Alltag besser klar zu kommen. Damit wird jedoch lediglich für Deutschland das bestätigt, was Studien in den USA, England, Australien oder Thailand bereits herausgefunden hatten.
Diese Erkenntnis sowie eine differenzierte Beschreibung der Personen und ihrer Konsummotive sollen die Grundlage dafür sein, präventive Aktivitäten besser planen zu können. „Wir brauchen vielfältige, zielgruppenspezifische Maßnahmen, um den einzelnen Gruppen gerecht werden zu können“, sagt die Drogenbeauftragte Marlene Mortler. Davon, dass Crystal von der Party- zur Alltagsdroge geworden sei, steht aber nichts im Bericht und wäre auch eine unzulässige Verallgemeinerung.
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