Home > News > Aktuelle Meldungen > Moderne Formen der Sklaverei auf Cannabis-Farmen im Vereinigten Königreich
04.11.2020
Im Vereinigten Königreich gibt es Geflüchtete, die wegen des Anbaus von Cannabis von der Polizei festgenommen wurden. Einer Fall-Studie zufolge werden manche der Betroffenen von Kriminellen wie Sklaven behandelt.
Bild: West Midlands Police
Ein 34-jähriger Mann ist aus Vietnam in das Vereinigte Königreich geflüchtet. Nachdem er gegen die Errichtung einer chinesischen Ölbohrplattform protestiert habe, sei er von der Polizei eingeschüchtert worden. Er würde sein Land verraten. Als ein ebenfalls an den Protesten beteiligter Freund festgenommen und nie mehr wiedergesehen wurde, habe er um sein Leben gefürchtet.
Der 34-Jährige habe daraufhin Kontakt zu Schleusern aufgenommen. Für 20.000 britische Pfund würden sie ihm dabei helfen, das Land zu verlassen. Umgerechnet sind das etwa 22.000 Euro. „Ich konnte es mir nur leisten, ihnen sechstausend Pfund zu zahlen“, erklärte der Mann im Interview mit einem Forschungsteam. Um die Schulden zurückzuzahlen, müsse er ein Jahr lang für die Schleuser arbeiten.
Ihm sei gesagt worden, dass er als Arbeiter, Küchenhilfe oder Reinigungskraft arbeiten würde. Der 34-Jährige willigte ein. Über mehrere Stationen gelangte er ins Vereinigte Königreich, zum Teil auf tagelangen Fußmärschen oder im Frachtraum eines Lastwagens. Ein Mann habe ihn schließlich zu einem Haus gebracht, in dem Cannabis gezüchtet wurde. Er müsse sich jetzt um die Pflanzen kümmern, wurde ihm gesagt. Gleichzeitig drohten sie ihm: „Sie sagten mir, wenn ich versuche zu fliehen, würden sie meiner Familie schaden.“
Studienleiter Adam Ramiz und sein Team haben den 34-Jährigen sowie zwei weitere Männer in einer Fallstudie interviewt. Alle drei Männer seien wegen illegalen Cannabisanbaus inhaftiert. Zwischen 2014 und 2017 habe es allein in der Region Surrey/Sussex 19 Fälle gegeben, in denen Menschen aus Vietnam wegen des Anbaus von Cannabis verhaftet wurden.
Nach Einschätzung des Forschungsteams müsse in Betracht gezogen werden, dass viele der Inhaftierten unter Androhung von Gewalt zu illegalen Handlungen gezwungen worden seien und insofern auch Opfer einer modernen Form der Sklaverei seien. Schätzungen zufolge gibt es 136.000 Menschen im Vereinigten Königreich, die Opfer moderner Sklaverei oder Menschenhandel sind.
Die Cannabisfarmen entsprächen nicht dem traditionellen Bild von Sklaverei, erklärt Mitautorin Heather Strang. Dennoch sei von Sklaverei auszugehen. „Die Opfer werden möglicherweise gegen ihren Willen festgehalten, zur Arbeit gezwungen und trotz einer unverschlossenen Tür nicht in der Lage sein, die Farm zu verlassen“, sagt Strang. Ihnen werde meist extreme Gewalt gegen sich oder ihren Familien angedroht.
Bei polizeilichen Vernehmungen brauche es daher mehr Sensibilität, um das Phänomen moderner Sklaverei besser aufzudecken. Viele der Betroffenen seien aber meist eingeschüchtert und wüssten nicht um ihre Rechte. So auch der interviewte 34-Jährige, der sich für schuldig bekannt hat. Er habe sich selbst nicht als Opfer gesehen, da es seine Entscheidung gewesen sei, ins Vereinigte Königreich zu fliehen.
Zwar könnten sich die festgenommenen Cannabisanbauer tatsächlich strafbar gemacht haben, das Strafrechtssystem stehe nach Aussagen des Forschungsteams aber vor einem Dilemma, da zu klären sei, ob die betreffende Person eher als Täter oder als Opfer zu betrachten sei.
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