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20.07.2022
Erst wird gehungert, um Kalorien einzusparen. Danach wird umso stärker beim Trinken über die Stränge geschlagen. In der Forschung wird das Phänomen unter dem Begriff Drunkorexie untersucht.
Bild: drante / istockphoto.com
Eine Portion Pommes oder ein Cocktail. Beides enthält etwa gleich viele Kalorien. Beim Rauschtrinken, also ab vier bis fünf Gläsern Alkohol, steigt nicht nur der Blutalkohol. Es kommen auch jede Menge Kalorien zusammen. Manche jungen Menschen hungern, um die Kalorien einzusparen, die sie beim Rauschtrinken zu sich nehmen. Für das Phänomen wurde der Begriff Drunkorexie geprägt. Das Kunstwort ist zusammengesetzt aus dem englischen Begriff „drunk“ für betrunken und Anorexie, die medizinische Bezeichnung für Magersucht.
Die Forscherinnen Alycia Powell-Jones und Susan Simpson haben Drunkorexie unter jungen Australierinnen untersucht. Studentinnen im Alter von 18 bis 24 Jahren waren an der Studie beteiligt. Die nicht-repräsentative Befragung war auf Frauen beschränkt.
Immerhin 28 Prozent der Studentinnen gaben zu, ihre Kalorienaufnahme schon mal bewusst für das Rauschtrinken reduziert zu haben. Stellt sich die Frage: Ist Drunkorexie ein Phänomen, das durch das Rauschtrinken motiviert wird oder leiden die betroffenen Frauen ohnehin unter einer Essstörung?
Den Ergebnissen zufolge scheint Drunkorexie eher mit Rauschtrinken in Verbindung zu stehen als mit Essstörungen allgemein. Die befragten jungen Frauen würden sich ansonsten eher normal ernähren. Drunkorexie würde also weitestgehend unabhängig von anderen Essstörungen auftreten.
Die Forscherinnen konnten herausarbeiten, dass Drunkorexie mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften in Zusammenhang steht. Vor allem der Hang zum Perfektionismus scheint zur Drunkorexie beizutragen.
Jeder Mensch verinnerlicht soziale und kulturelle Normen. Von Drunkorexie betroffene Frauen scheinen den Ergebnissen zufolge in besonderer Weise gleichzeitig den Anspruch auf eine schlanke Figur verinnerlicht zu haben als auch sozialen Druck wahrzunehmen, beim Rauschtrinken mitmachen zu müssen. Wer glaubt, bestimmten Normen entsprechen zu müssen, muss sein Verhalten bewusst kontrollieren. Das kann stressig sein. Aus Sicht der Forscherinnen könnte das Rauschtrinken auch eine Art Ventil sein, um sich Erleichterung von dem sozialen Druck und dem damit verbundenen Stress zu verschaffen.
Ein Forschungsteam aus Italien hat zwei weitere Eigenschaften herausgearbeitet, die mit Drunkorexie in Zusammenhang stehen: Probleme im Umgang mit den eigenen Gefühlen und der Hang zu asketischem Verhalten. An der Befragung hatten junge Menschen zwischen 14 und 22 Jahren teilgenommen. Drunkorexie kommt demnach auch bei männlichen Jugendlichen vor, häufiger aber bei weiblichen.
In beiden Publikationen wird hervorgehoben, dass junge Menschen darin unterstützt werden sollten, bessere Strategien im Umgang mit ihren Gefühlen zu entwickeln. Insbesondere die Fähigkeit, gute wie schlechte Gefühle zu tolerieren und angemessen mit wahrgenommenen Normen umzugehen, müsse trainiert werden.
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