Gibt es eine Rangfolge der Schädlichkeit von Drogen?

23.09.2011

Ist Alkohol schädlicher als Heroin? Diese scheinbar einfache Frage ist Teil einer aktuellen Debatte in der Suchtforschung. Ausgelöst wurde der Disput durch die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Rangliste, in der Drogen ihrer Schädlichkeit nach aufgelistet werden. Zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin aus den USA haben diese Skala in einem Artikel heftig kritisiert.

Maßband bis 6 cm ausgezogen

Bild: andrey-fo / photocase.com

Die Veröffentlichung der Rangliste hatte 2010 nicht nur in der Fachöffentlichkeit für Aufsehen gesorgt. In der Publikation werden beispielsweise Alkohol und Tabak als schädlicher eingestuft als viele illegale Drogen, darunter Ecstasy, Cannabis und LSD. Professor David Nutt, Hauptautor des Artikels, kritisierte die britische Regierung daher dafür, dass die gesetzliche Einstufung der Drogen nicht auf wissenschaftlichen Kriterien basiere. Das britische Innenministerium reagierte daraufhin: es entließ Nutt als Leiter des offiziellen Drogenrats der Regierung.

Nun gibt es Gegenwind auch aus den eigenen Reihen. Ein US-amerikanisches Forschungsteam hat ihre Kritik in der renommierten Suchtzeitschrift Addiction veröffentlicht. Jonathan Caulkins, Peter Reuter und Carolyn Coulson werfen Nutt vor, grobe Fehler bei der Entwicklung der Schädlichkeitsskala begangen zu haben.

Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass Nutt und seine Mitautoren den Eindruck vermitteln, als könne man einen quantifizierbaren Gesamtwert für die Schädlichkeit einer Substanz ermitteln. Nutt habe die Schädlichkeit zwar unterschieden in Schäden für den Einzelnen und Schäden für die Gesellschaft. Beide Kriterien seien dann aber in einen Topf geworfen worden, um einen Gesamtwert zu erhalten, was aus Sicht von Caulkins und seinem Team unzulässig ist.

So dürfe der Schaden, den ein Individuum aufgrund des Konsums erleidet, nicht vermengt werden mit dem Schaden für die Gesellschaft. Beispielsweise sei es für einen Einzelnen sehr schädlich, von einem Meteoriten erschlagen zu werden - zumal diese Begegnung meist tödlich endet. Für die Gesellschaft seien Einschläge von Meteoriten aber ein zu vernachlässigender Risikofaktor, weil sie extrem selten Menschen treffen würden. Hingegen sei zum Beispiel Zyankali auf individueller Ebene deutlich giftiger als Alkohol. Für die Gesellschaft sei Alkohol aber aufgrund seiner weiten Verbreitung ein weit größeres Problem.

Selbst wenn es eine wie auch immer geartete perfekte Skala der Schädlichkeit von Drogen gäbe, argumentieren Caulkins und sein Team, könne diese nicht das Maß aller Dinge sein, wenn es um die Frage der gesetzlichen Klassifizierung geht. Denn die tatsächliche Schädlichkeit einer Droge sei ein Produkt der Interaktion zwischen den chemische Eigenschaften der Substanz und dem Kontext, in dem gesetzlichen Bedingungen Anwendung finden. Würde man zum Beispiel Alkohol aufgrund der Einstufung in der Skala von Nutt und Kollegen als illegal klassifizieren und andere Drogen unterhalb einer Gefährdungsschwelle legalisieren, so könnten die nun frei erhältlichen Substanzen aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit neue Probleme erzeugen. Ebenso zeige die Prohibition von Alkohol, dass sie in Ländern wie den USA offenkundig nicht zum erwünschten Ergebnis geführt haben, während es in den arabischen Ländern derartige Entwicklungen wie zu Zeiten der Prohibition nicht gäbe.

Caulkins und sein Team argumentieren, dass es nicht zulässig sei, die Schädlichkeit einer Droge auf eine simple Zahl zu reduzieren. Drogenkonsum sei vielmehr ein multidimensionales Problem, das sich nicht vereinfachen lasse.

In derselben Ausgabe der Zeitschrift Addiction werden weitere Statements von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern veröffentlicht, die das Papier von Caulkins, Reuter und Coulson kommentierten, unter anderem von David Nutt selbst. Er gibt den Kritikern insofern Recht als seine Skala tatsächlich vereinfachend sei und möglicherweise nicht alle wichtigen Aspekte berücksichtige. Doch sei es immer noch besser eine zwar verbesserungswürdige, aber einfach zu handhabende und zudem wissenschaftlich basierte Skala zur Verfügung zu haben, als gar keine.

Ähnlich argumentieren auch Benedikt Fischer und Perry Kendall. Das primäre Problem sei, die Politik davon zu überzeugen, sich überhaupt an wissenschaftlichen Kriterien zu orientieren, als noch komplexere Modelle zu entwerfen, die ohnehin ignoriert würden. Jedes Land, das die noch unvollkommene Skala von Nutt und Kollegen anwendet, würde einen „Quantensprung“ in Richtung einer evidenzbasierten Drogenpolitik vollziehen.

Quellen:

  • Caulkins, J., Reuter, P. & Coulson, C. (2011). Basing drug scheduling decisions on scientific ranking of harmfulness: false promise from false premises. Addiction, DOI: 10.1111/j.1360-0443.2011.03461.x. Artikel
  • Nutt, D. (2011). Commentary on Caulkins et al. (2011): Let not the best be the enemy of the good. Addiction, DOI: 10.1111/j.1360-0443.2011.03527.x. Artikel
  • Fischer, B. & Kendall, P. (2011). Commentary on Caulkins et al. (2011): Nutt et al.‘s harm scale for drugs - room for improvement but better policy based on science with limitations than no science at all. Addiction, DOI: 10.1111/j.1360-0443.2011.03487.x. Artikel

Kommentare

Kommentare

Um Kommentare schreiben zu können, musst du dich anmelden oder registrieren.