Drogentrip ohne Drogen

06.05.2020

Die meisten Teilnehmenden einer kanadischen Studie waren geschockt, als sie die Wahrheit erfuhren. Einige konnten es kaum glauben, so hinters Licht geführt worden zu sein. Was war passiert?

Bild: Tero Vesalainen / istock.com

„Mein Freund hat letzte Woche an der Studie teilgenommen und hatte einen Riesenspaß.“ Scheinbar beiläufig erwähnte eine der Testpersonen dies, als die Gruppe in der Lobby der McGill Universität darauf wartete, zum Experiment abgeholt zu werden. Was die Teilnehmenden nicht wussten: Einige unter ihnen waren an der Studie beteiligt und sollten bestimmte Erwartungen bei den echten Testpersonen schüren.

Die Testpersonen waren Studierende der Universität. Sie hatten sich für ein Experiment gemeldet, in dem es vermeintlich um die Wirkung einer psychoaktiven Substanz geht. Ihnen wurden gesagt, dass sie den Wirkstoff Iprocin in geringer Dosierung bekämen. Die Substanz erzeuge ähnliche Effekte wie die halluzinogene Droge Psilocybin und in dem Experiment werde untersuchen, wie sich die Droge im Zusammenspiel mit der Umgebung auf die Kreativität auswirkt.

Provozierter Placebo-Effekt

Für die Studie wurde ein Raum der Universität speziell dekoriert. Sanftes rötliches Licht erhellte den Raum, auf dem Boden lagen Matten und Kissen, an den Wänden hingen gemalte Bilder, die durch farbwechselnde Lichter beleuchtet wurden. Auf einer Leinwand wurden die Filme Baraka und Samsara gezeigt, die nach Aussage des Forschungsteams bekannt seien für ihre spektakulären Bilder, die ohne Sprache auskommen. Musikalisch sorgte ein DJ für eine gechillte Atmosphäre.

Der ganze Aufwand zielte darauf ab, einen so genannten Placebo-Effekt bei den Teilnehmenden zu provozieren. Den Teilnehmenden wurde eine rosa Pille gegeben, die jedoch keine psychedelisch wirkende Droge, sondern lediglich Zellulosepulver enthielt, das keine psychoaktive Wirkung hat. Studienleiter Jay Olson, der früher als professioneller Magier tätig war, vermittelte den Studierenden, dass die „Wirkung“ nach rund 15 Minuten einsetzen würde, nach ein bis zwei Stunden ihren Höhepunkt erreiche und dann wieder verblasse. Bis zum Ende des vierstündigen Experiments seien alle wahrscheinlich wieder „nüchtern“. Zu Beginn und zwischendurch füllten die Teilnehmenden Fragebögen aus, mit denen die Stärke aufkommender psychedelischer Effekte erfasst wurde.

High durch sozialen Kontakt

Während des Experiments war es Aufgabe der Eingeweihten unter den Testpersonen, den Placebo-Effekt noch ein wenig zu verstärken. Machte eine Person beispielsweise den Eindruck, dass sich ihre Stimmung verbessert, haben die unechten Testpersonen dies aufgegriffen und sich ähnlich verhalten, um die andere Person in ihrem Verhalten zu bestärken. Olson und sein Team sprechen hier vom „contact high“, also von einem Rauscherleben, das durch den sozialen Kontakt zu anderen berauschten Personen hervorgerufen wird.

Vor und während des Experiments maß das in weißen Kitteln gekleidete Forschungspersonal zusätzlich Herzschlag und Blutdruck der Teilnehmenden. Ihnen wurden jedoch falsche Werte rückgemeldet, um den Eindruck zu vermitteln, die „Droge“ würde wirken.

Große Unterschiede bei den Testpersonen

Bei sechs von zehn der Teilnehmenden zeigte der Aufwand tatsächlich Wirkung. Einige meinten sogar, sehr starke psychedelische Effekte zu erleben. Sie berichteten von spirituellen Erfahrungen oder hatten das Gefühl, als wenn die Farben auf den Bildern anfangen, sich zu bewegen und neu anzuordnen. Entsprechend geschockt zeigten sie sich, als ihnen nach Abschluss des Experiments offenbart wurde, dass sie lediglich ein Placebo eingenommen hatten. Allerdings ließen sich nicht alle Teilnehmenden austricksen. Immerhin hatten 35 Prozent zumindest geahnt, dass die rosa Pille nur ein Fake war.

Und was sagt uns die Studie? In erster Linie wurde deutlich, wie die Erwartungen an eine vermeintliche Droge sowie die Umgebung während des Konsums die erlebte Wirkung beeinflussen kann. Olson und sein Team heben insbesondere die großen Unterschiede hervor, die sich zwischen den Teilnehmenden gezeigt haben. Manche erlebten starke psychedelische Effekte, andere spürten nichts. Dieser Umstand müsse bedacht werden, wenn die Wirkung echter psychedelischer Drogen untersucht wird, wenn diese mit einem scheinbar wirkungslosen Placebo verglichen werden. Denn offenkundig können Placebos bei manchen Personen ebenfalls halluzinogenartige Effekte auslösen.

Dieser Umstand gelte besonders für Studien, in denen Halluzinogene in Mikrodosierungen verwendet werden. Darin wird erforscht, ob und welche Effekte Drogen wie LSD haben, wenn sie in Dosierungen verabreicht werden, die unterhalb der üblichen Wirkschwelle liegen. Die Studienergebnisse könnten mitunter durch Placebo-Effekte beeinflusst werden. Daher sollten derartige Studien sehr genau über die Bedingungen während des Experiments berichten und auch so genannte Ausreißer, also Personen mit starken Effekten, detailliert beschreiben.

 

Quelle:

Olson, J. A., Suissa-Rocheleau, L., Lifshitz, M., Raz, A. & Veissière, S. P. L. (2020). Tripping on nothing: placebo psychedelics and contextual factors. Psychopharmacology, https://doi.org/10.1007/s00213-020-05464-5.


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