Cannabis und Psychose: Wird der Zusammenhang überschätzt?

20.10.2021

Kann Kiffen eine länger anhaltende Psychose auslösen? Die Ergebnisse einer aktuellen US-amerikanischen Studie mit Zwillingen legt nahe, dass eher andere Faktoren verantwortlich sind.

Bild: french_03 / photocase.de

Menschen mit größeren Füßen haben meist ein größeres Einkommen. Lässt sich also sagen, dass Füße einen ursächlichen Einfluss auf das Einkommen haben? Wohl kaum. In Wirklichkeit erklärt das Geschlecht den Zusammenhang. Frauen verdienen in Deutschland durchschnittlich weniger als Männer. Und Frauen haben in der Regel die kleineren Füße. Manche Zusammenhänge sind nur Scheinkorrelationen. Wie steht es um den Zusammenhang zwischen Cannabis und Psychose?

In Studien wurde beobachtet, dass Menschen mit einer Psychose häufiger Cannabis konsumiert haben als Menschen, die nicht psychotisch geworden sind. Es gibt sogar Hinweise auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Je stärker der Cannabiskonsum, desto wahrscheinlicher ist eine länger anhaltende Psychose wie Schizophrenie. Dennoch ist die Frage nach der Ursache-Wirkungsbeziehung nicht so einfach zu beantworten.

In der Wissenschaft gibt es eine Debatte darüber, ob Cannabis als Ursache für Psychosen betrachtet werden kann oder der Konsum der Droge nicht doch eher in die Kategorie „Füße“ einzuordnen wäre, also in Wirklichkeit andere Faktoren entscheidend sind. So gibt es Studien, denen zufolge bestimmte Gene eine maßgebliche Rolle dabei spielen, wenn Menschen an Schizophrenie erkranken. Dieselben Gene würden Menschen zugleich empfänglicher machen für das Kiffen. Cannabiskonsum wäre dann nur eine Art Begleiterscheinung, aber keine Ursache für Psychose.

Studie mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen

Die Ergebnisse einer aktuellen Kohortenstudie der University of Minnesota mit über 3.000 Teilnehmenden weisen in dieselbe Richtung. Die Befragungen umspannten einen Zeitraum von über zwei Jahrzehnten. Bei der ersten Befragung waren die jüngsten der Teilnehmenden 11 Jahre alt. Alle drei bis sieben Jahre wurden dieselben Personen erneut interviewt.

Das Besondere an der Studie: Alle Teilnehmenden waren Zwillinge. Methodisch betrachtet waren dies beste Voraussetzungen, um herauszufinden, ob ein bestimmtes Verhalten wie Kiffen, gesundheitliche Folgen nach sich zieht. Denn sowohl der Einfluss der Gene als auch der familiäre Hintergrund ließen sich so „kontrollieren“, wie es in der Wissenschaftssprache heißt.

Wie andere Untersuchungen zuvor haben auch Studienleiter Jonathan Schaefer und sein Team mit den Daten der Kohortenstudie belegen können, dass Cannabiskonsum in der Jugend mit höherer Wahrscheinlichkeit psychotische Symptome im Erwachsenenalter nach sich zieht. Die Analyse von Zwillingspaaren offenbarte aber ein anderes Bild.

Kein Einfluss von Cannabiskonsum auf Psychoserisiko bei Zwillingspaaren

Unter den Zwillingen gab es auch Paare, die sich in Hinblick auf ihren Cannabiskonsum unterschieden. Während der eine Zwilling kiffte oder sogar einen problematischen Konsum entwickelt hat, blieb der andere abstinent. Sofern Cannabis einen bedeutsamen Einfluss auf die Neigung zur Psychose haben sollte, müsste sich dies auch bei den Zwillingspaaren niederschlagen, die sich in eben diesem Aspekt unterscheiden. Bei den kiffenden Zwillingen müssten sich mehr Personen finden, die psychotische Symptome entwickelt haben als bei ihren abstinenten Brüdern und Schwestern. Dies war aber nicht der Fall. Die Geschwister eines Zwillingspaares unterschieden sich nicht, wenn nach psychotischen Symptomen gefragt wurde, obwohl ihr Konsumverhalten unterschiedlich war.

Darüber hinaus testete das Forschungsteam auch auf einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und einem genetisch bedingten Risiko für Schizophrenie. Denkbar sei, dass starker Cannabiskonsum in der Jugend vor allem dann psychotische Symptome nach sich zieht, wenn die Person ein entsprechendes genetisch bedingtes Risiko in sich trägt. Jedoch fand das Forschungsteam auch für diese Hypothese keine Bestätigung in ihrer Studie.

Ihre Ergebnisse würden somit nicht dafürsprechen, dass Cannabis einen bedeutsamen Anteil daran hat, wenn eine Psychose ausbricht. Vielmehr seien es eher andere familiär bedingte Faktoren, also die Gene oder die Erziehung, wenn eine psychische Erkrankung wie Psychose ausbricht. Es sei zwar nicht ganz auszuschließen, dass Cannabis mit anderen Faktoren in Zusammenhang steht, die nicht in der Studie untersucht wurden. Der Einfluss von Cannabis auf das Psychoserisiko werde nach Einschätzung des Forschungsteams aber vermutlich überschätzt.

 

Quelle:

Schaefer, J. D., Jan, S.-K., Vrieze, S., Iacono, W. G., McGue, M. & Wilson, S. (2021). Adolescent cannabis use and adult psychoticism: A longitudinal co-twin control analysis using data from two cohorts. Journal of Abnormal Psychology, https://doi.apa.org/doi/10.1037/abn0000701


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