Home > News > Aktuelle Meldungen > Basiert Mikrodosierung mit psychedelischen Drogen nur auf Placebo-Effekt?
19.05.2021
Können psychedelische Drogen in winzigen Dosen verabreicht das Wohlbefinden verbessern? Eine Citizen-Science-Studie mit „Selbst-Verblindung“ gibt Aufschluss.
Bild: yurok / istockphoto.com
Farben scheinen intensiver zu leuchten. Dinge, die sich normalerweise nicht bewegen, fangen plötzlich an zu fließen oder bilden wabernde Strukturen. Halluzinogene Drogen wie LSD können tiefgreifende Veränderungen der Wahrnehmung und des Bewusstseins auslösen. Doch beim so genannten „Microdosing“ geht es Konsumierenden nicht um ein Rauscherlebnis.
Der englische Begriff beschreibt vielmehr eine Form des Konsums, bei dem nur ein Bruchteil der üblichen Dosis eingenommen wird und keine der typischen halluzinogenen Effekte auftreten. Üblicherweise würden nur etwa zehn Prozent der normalen Dosis verwendet. Microdosing soll Berichten zufolge dennoch das Wohlbefinden steigern, die Kreativität fördern und sogar das kognitive Leistungsvermögen erhöhen.
Ein Forschungsteam des Imperial College in London und der Beckley Foundation in Oxford gibt jedoch zu bedenken, dass beim Microdosing auch der Placebo-Effekt am Werke sein könnte. Placebos sind Scheinmedikamente. Die Forschung mit Placebos hat zeigen können, dass allein die Erwartung an die Wirkung eines Medikaments entsprechende Effekte nach sich ziehen kann, obwohl die Person gar keinen Wirkstoff eingenommen hat. Könnten die beschriebenen positiven Effekte des Microdosings womöglich durch die Erwartungen der Konsumierenden provoziert worden sein?
Um dies herauszufinden haben Studienleiter Balázs Szigeti und sein Team wissenschaftliches Neuland betreten. Für gewöhnlich werden randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt, um die Wirksamkeit einer Substanz zu testen. Solche Studien sind aber aufwändig und kostspielig. Zudem ist es nicht immer einfach, genügend Personen zu finden, die sich für ein Experiment in ein Forschungsinstitut begeben. Das Forschungsteam hat seine Studie daher nach dem Prinzip der „Citizen Science“ umgesetzt, zu Deutsch: Bürgerwissenschaft. Bürgerinnen und Bürger werden als Forschende an wissenschaftlichen Studien beteiligt.
Für ihre Studie haben sich Szigeti und sein Team ein Konzept ausgedacht, bei dem Konsumierende dazu angeleitet werden, wie sie selbst einen Placebo-kontrollierten Ablauf beim Microdosing durchführen können. Wichtig war die so genannte Selbst-Verblindung. Konsumierende mussten sich selbst austricksen, damit sie nicht wissen, ob sie eine Mikrodosis eines Halluzinogens oder ein Placebo einnehmen.
Das ging so: Teilnehmende wurden instruiert, zwei Sorten von Kapseln zu präparieren. Da rein steckten sie entweder eine winzige Dosis eines Halluzinogens ihrer Wahl oder gar nichts. Waren die Kapseln verschlossen, ließen sie sich nicht mehr voneinander unterscheiden. Es wurden acht Wochenrationen von je vier Kapseln gebildet, die entweder Mikrodosen enthielten oder ausschließlich Placebos waren. Jede Wochenration wurde mit einem QR-Code versehen und in einen Umschlag gepackt. Mit den QR-Codes ließ sich nachträglich herausfinden, welche Sorte Kapseln sie eingenommen hatten. Die verschlossenen Umschläge wurden durchmischt und auf vier große Umschläge verteilt.
Das Experiment verlief über vier Wochen. Die Teilnehmenden wählten zufällig zwei große Umschläge und entnahmen die darin enthaltenen Wochenrationen. Von den ursprünglich acht Wochenrationen sind nur vier in das Experiment eingegangen. Bei korrekter Durchführung konnten die Teilnehmenden somit nicht wissen, ob und wann sie eine Kapsel mit einer Mikrodosis oder ein Placebo einnehmen. Vor, während und nach dem vierwöchigen Experiment absolvierten die Teilnehmenden Tests zu ihrem psychischen Befinden und zur kognitiven Leistungsfähigkeit. Alle Tests erfolgten über eine Internetplattform.
Anfänglich hatten 1.630 Personen ihr Interesse für das Experiment bekundet. 240 von ihnen starteten die Studie, 191 haben es vollständig durchgeführt. Nach Aussage des Forschungsteams sei dies die bislang größte Stichprobe einer randomisiert-kontrollierten Studie mit Halluzinogenen.
Den meisten der Teilnehmenden ging es nach der Testphase tatsächlich besser. Ihr Wohlbefinden und ihre allgemeine Lebenszufriedenheit seien gestiegen. Der Haken daran: Es machte keinen Unterschied, ob die Teilnehmenden Microdosing betrieben hatten oder Placebokapseln einnahmen. Auch zeigte sich keine bedeutsame Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Das heißt: Microdosing kann das Wohlbefinden zwar verbessern, allerdings ist diese Wirkung vermutlich vollständig auf den Placebo-Effekt zurückzuführen, also den Erwartungen der Konsumierenden an eine positive Wirkung.
Nach Ende der Studie durften die Teilnehmenden die nicht benötigten Umschläge und Kapseln öffnen. Manche von ihnen konnten es kaum fassen, dass sie in Wirklichkeit nur Placebos eingenommen hatten. „Ich bin einigermaßen überrascht […] Es scheint, dass ich in der Lage bin, eine starke ‚veränderte-Bewusstseins‘-Erfahrung zu erzeugen, die nur auf der Erwartung an die Möglichkeit einer Mikrodosis basiert“, hat ein Teilnehmender per E-Mail an das Forschungsteam geschrieben. Damit bestätigt die Studie auch ein anderes Laborexperiment, in dem einige Testpersonen ebenfalls von starken psychedelischen Effekten berichteten, obwohl sie nur ein Placebo eingenommen hatten.
Laut Szigeti und seinem Team habe ihre Citizen-Science-Studie zwar nicht die wissenschaftliche Güte eines kontrollierten Laborexperiments. Ihr Forschungsansatz sei aber nicht nur um ein Vielfaches günstiger durchzuführen als klassische Studien. Der Vorteil liege auch darin, dass die Teilnehmenden das Microdosing so vornehmen konnten, wie sie es gewohnt waren. Sowohl die Art der Droge, meist war es LSD, als auch die Dosierung war ihnen überlassen. Insofern bilde die Studie besser die Realität des Microdosings ab, als klinische Experimente im Labor.
Quelle:
Szigeti, B., Kartner, L., Blemings, A., Rosas, F., Feilding, A., Nutt, D., Carhart-Harris, R. L. & Erritzoe, D. (2021). Self-blinding citizen science to explore psychedelic microdosing. elife, 10, e62878. https://doi.org/10.7554/eLife.62878
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