Hat Cannabis Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit?

Spermien sind kleine hochspezialisierte Zellen mit nur einer einzigen, aber umso wichtigeren Aufgabe: Finde die Eizelle und befruchte sie. Jeder Samenerguss schickt etwa 300 Millionen männliche Keimzellen auf die Reise. Aber nur ein einziges Spermium wird sein endgültiges Ziel erreichen und das Ei befruchten - oder auch nicht. Denn eine Reihe an Faktoren können sowohl die biologische Fruchtbarkeit des Mannes als auch sein Lustempfinden beeinflussen. Dabei spielen bestimmte Erkrankungen eine Rolle, aber auch der Lebensstil. So hat die Wissenschaft Belege dafür erbracht, dass Männer, die regelmäßig Cannabis konsumieren, möglicherweise riskieren, unfruchtbar zu werden.

Lange Reise

Sie haben es nicht leicht, die Keimzellen des Mannes. Während das Ei im Eileiter der Frau mit Hilfe der Schwerkraft abwärts wandert, müssen sich die Spermien des Mannes aus eigener Kraft aufwärts schlängeln und dabei eine Reihe an Hürden überwinden. Von den ursprünglich rund 300 Millionen Keimzellen, werden nur etwa 200 bis 300 erfolgreich den Muttermund und die Gebärmutter durchqueren. Anschließend gilt es noch, das Ei im Eileiter zu finden, und zwar idealerweise im ersten Abschnitt des Eileiters, der Ampulle genannt wird. Um die aus Spermienperspektive kilometerlange Wegstrecke zu überwinden ist also nicht nur Schnelligkeit, sondern auch das richtige Timing gefragt, um die zur Verfügung stehende Energie richtig einzuteilen.

Lebensstil beeinflusst Fruchtbarkeit

Die Fruchtbarkeit des Mannes hängt somit letztlich davon ab, wie viele Spermien ins Rennen geschickt werden, wie agil die Einzeller sind und ob sie zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Was viele Männer nicht wissen: Nicht nur bei Frauen, auch beim männlichen Geschlecht tickt die biologische Uhr. Etwa vom 35. Lebensjahr an verschlechtert sich die Samenqualität. Doch schon bei jungen Männern kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigt sein. Der Lebensstil ist von entscheidender Bedeutung. Stress, Alkohol, bestimmte Medikamente und auch Drogen können Einfluss nehmen. Die am häufigsten konsumierte illegale Droge Cannabis gilt aktuellen Forschungsstudien zufolge als eine mögliche Ursache für Unfruchtbarkeit.

Falsches Timing

Als einer der ersten Forscher fand Herbert Schuel von der Universität in Buffalo in den USA heraus, dass Cannabis die Spermienqualität beeinträchtigen kann. Sein Team verwendete allerdings ein synthetisches Anandamid, das dem natürlichen Wirkstoff von Cannabis ähnelt. Dabei stellten sie fest, dass niedrige Dosen der Chemikalie die Spermien zur Hyperaktivität anstachelt, hohe Dosen jedoch aus den Sprintern lahme Enten macht. Zudem scheint das synthetische Anandamid die Spermien daran zu hindern, an der Eizelle anzudocken. Allerdings war noch fraglich, ob die im Reagenzglas beobachteten Folgen sich in der Form auch im menschlichen Körper abspielen.

Eine Universitätskollegin Schuels, Lani Burkman, ging daher einen Schritt weiter. Sie und ihr Team untersuchten die Spermien von 22 Cannabiskonsumenten und verglichen die Ergebnisse mit denen von 59 nachweislich fruchtbaren Männern. Bei den im Schnitt seit 5 Jahren kiffenden Männern waren sowohl das Volumen des Ejakulats als auch die Anzahl der Spermien signifikant reduziert. Überraschenderweise waren die Spermien abnormal hyperaktiv, verglichen mit den Keimzellen der nicht kiffenden Männer. Diese Turbo-Spermien verbrauchten ihre Energie jedoch sinnlos und machten schlapp bevor sie das Ei erreichten. „Die Spermien von Cannabiskonsumenten bewegten sich zu schnell zu früh. Das Timing war falsch“, sagte Burkman. „ Diese Spermien erleben ihr Burn-out bevor sie das Ei erreichen und werden nicht mehr in der Lage sein, es zu befruchten.“

Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein britisches Forschungsteam um Leiterin Sheena Lewis von der Queen’s Universität in Belfast. Das Team stellte zudem fest, dass Spermien, die mit THC behandelt werden, nicht mehr die Enzyme freisetzen, die nötig sind, um den Schutzmantel der Eizelle zu durchdringen. Lewis ist der Ansicht, dass es möglicherweise einen Zusammenhang gibt zwischen dem Cannabiskonsum und der steigenden Zahl ungewollt kinderloser Paare in Großbritannien. „Von Unfruchtbarkeit ist etwa jedes sechste Paar betroffen; in 40 Prozent dieser Fälle gibt es Probleme mit dem Sperma“, wird Lewis auf Spiegel Online zitiert.

Orgasmusprobleme

Neben dem rein biologischen Aspekt der Befruchtung kann auch die Sexualität des Mannes durch Cannabiskonsum beeinflusst werden, so das Ergebnis einer australischen Studie. Marian Pitts und ihr Team haben fast 9.000 Personen im Alter zwischen 16 und 64 Jahren zu ihrem Cannabiskonsum und ihrer Sexualität befragt. Während es bei Frauen keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Cannabiskonsums und sexuellen Problemen zu geben scheint, zeigt sich bei den Männern ein anderes Bild. Demnach haben Männer mit täglichem Cannabiskonsum häufiger Orgasmusprobleme. Sie haben eine 4-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, keinen Orgasmus zu erreichen. Zudem beklagen täglich kiffenden Männer auch signifikant häufiger, dass der Samenerguss zu früh kommt. Allerdings stehe noch nicht fest, dass Cannabis die alleinige Ursache ist. Denn die menschliche Sexualität wird durch eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst.

Erhöhtes Hodenkrebsrisiko?

Neben Orgasmusproblemen könnte kiffende Männern weiteres Ungemach drohen. So wurde in einer US-amerikanischen Studie um Studienleiterin Janet Darling ermittelt, dass Cannabiskonsumenten ein um 70 Prozent erhöhtes Risiko aufweisen, an Hodenkrebs zu erkranken. Männer mit besonders intensivem oder langjährigem Konsum hätten sogar ein doppelt so hohes Risiko wie Nichtkonsumenten.

Über den Mechanismus der zum erhöhten Hodenkrebsrisiko führt, können die Autorinnen und Autoren der Studie bislang noch nicht viel sagen. Sie vermuten, dass Cannabiskonsum die Wirkung einer bestimmten körpereigenen Cannabinoid-ähnlichen Substanz schwächt, die im Hoden produziert wird. Von dieser Substanz wird angenommen, dass sie den Körper vor Krebs schützt.

Fazit

Die Studienergebnisse geben Hinweise darauf, dass Cannabiskonsums, vor allem täglicher, die Fruchtbarkeit des Mannes signifikant verschlechtern kann. Davon betroffen sein könnten vor allem Männer, deren Spermaqualität ohnehin an der Grenze zur Unfruchtbarkeit steht. So betont Lani Burkman, dass Cannabiskonsum womöglich dazu führen könne, dass die Grenze überschritten wird.

Bislang wisse man auch noch nicht, ob die Unfruchtbarkeit wieder umkehrbar ist, wenn das Kiffen eingestellt wird. Burkman sagt dazu: „THC bleibt lange im Fettgewebe gespeichert, so dass der [umkehrende] Prozess möglicherweise sehr langsam vonstattengeht. Wir können noch nicht sagen, dass sich alles wieder normalisiert. Die meisten Männer mit grenzwertiger Fruchtbarkeit sind sich dieser Tatsache nicht bewusst. Es ist schwierig zu wissen, wer gefährdet ist. Ich würde definitiv jedem, der Kinder bekommen will, raten, nicht Cannabis zu rauchen, und das schließt Männer wie Frauen ein.“